20 Tage clean: Warum ich meine Emotionen nicht kontrollieren kann

20 Tage clean: Warum ich meine Emotionen nicht kontrollieren kann



20:30 Uhr – Guten Abend Berlin, guten Abend an den Rest der Welt. Ja, ich sitze schon wieder an den Tasten, weil sich der gute Zustand von heute Morgen im Minutentakt geändert hat. Heute geht es um das Thema Emotionen.

Warum Emotionen so überfordern: 13 Jahre unter Polamidon

Für alle, die neu hier sind: Ich war 13 Jahre im Substitutionsprogramm (20 ml Polamidon täglich). Das Zeug ist wie Methadon und soll eigentlich nur kurz helfen. Die Realität? Du bist lebenslang an die Pharmaindustrie gekettet. Ein Heroin-Entzug dauert ca. 1 Monat, ein Polamidon-Entzug 2 Jahre. Zwei Jahre kaum Schlaf, körperliche Qualen und ein Gehirn wie Brei. Das hält niemand aus.

Aber Polamidon betäubt nicht nur den Entzug, es tötet auch alle Emotionen. Du denkst, du kannst fühlen, aber das ist eine Illusion. Wenn du dann wirklich frei davon bist, prasseln die Gefühle auf dich ein wie eine unbekannte Droge. Die positiven sind toll, aber die negativen wie Wut oder Trauer sind völlig überfordernd.

Der Auslöser: Wie ein Nachbar meine Wut entfachte

Mir ging es den ganzen Tag gut, bis mein Nachbar mich wieder mit ungerechtfertigten Unterstellungen bombardierte. Ich soll dreimal täglich mit seinem Hund raus und illegale Dinge für ihn erledigen. Weil ich verstanden habe, dass illegale Praktiken bei mir immer zu Konsum führen, lehnte ich ab. Seine Antwort: „Aber Du bist doch Kriminell.“ Als wäre das unheilbar. 🤬

Diese Situation hat meine Stimmung komplett gekillt. Ich bin immer wieder raus zum Laufen, bis ich so k.o. war, dass ich kurz einnicken konnte – nur um vom „Affen“ (körperliche Unruhe) wieder gequält zu werden.


Ein Smartphone-Bildschirm mit wütenden Chat-Nachrichten, die aufploppen. Der Hintergrund ist dunkel und bedrohlich. Symbolisiert den Trigger von außen.  "Streit als Trigger", "Wut im Entzug", "Umgang mit Konflikten"

Der Geld-Trigger: 60 Euro Cash & der Kampf im Kopf

Dann poppt eine Kleinanzeige auf. Jemand will mein altes Fahrrad kaufen. Zack, 60 Euro in bar in der Hand. Für einen Junkie wie mich zu viel Trigger auf einmal.

Hyde malte sich schon aus, welche Substanzen man damit kaufen könnte, um die quälende Wut beiseitezuschieben. Aber Dr. Jäckel wusste, was zu tun ist. Es gab nur eine Möglichkeit:

Der Skill: Wie Ehrlichkeit den Suchtdruck besiegte

Ich kontaktierte sofort die Person, der ich noch Geld schuldete. „Ich habe 60 Euro für dich und bringe sie vor der Selbsthilfegruppe vorbei.“ Das war der Stein der Ehrlichkeit. Aber die Stunden bis dahin wurden immer länger. Ich zitterte so stark, dass ich keine Kippe mehr drehen konnte.

Also schrieb ich erneut: „Ich werfe es jetzt in deinen Briefkasten, der Suchtdruck wird zu stark.“ Ich wusste, ich kann mich selbst nicht mehr lange kontrollieren.

Skills gegen Aggression: Von Sperrmüll und kaputten Fernsehern

21:00 Uhr – Geld im Briefkasten, Gefahr gebannt. Dachte ich. Aber mein Gehirn fischte den Umschlag bildlich wieder raus und war schon am Kotti. Ich musste die Aggression loswerden. Auf der Straße sah ich Sperrmüll mit kaputten Fernsehern. Und ich tat, was ich in dem Moment für richtig hielt: Ich nahm einen und warf ihn mit voller Wucht auf den anderen. 📺💥 Es tat gut.

Das reichte nicht. Also ab in meinen Keller, allen Sperrmüll rausgeholt und zwei Stunden lang zum nächsten Sperrmüll-Platz geschleppt. Körperliche Arbeit bis zur Erschöpfung.


Ein alter Röhrenfernseher, der mit zersplittertem Bildschirm auf einem Haufen Schutt liegt. Symbolisiert die Katharsis und das Ablassen von Wut.  "Aggressionen abbauen", "Wut rauslassen", "Skill im Entzug"

Die Selbsthilfegruppe: Scham, Lebkuchen und eine neue Perspektive

Ich sitze also in der Gruppe, immer noch geladen, knete meinen Igelball wie ein Wahnsinniger. Dann nehme ich ein Lebkuchenherz in den Mund. Es schmeckt nach Alkohol. Ich springe auf, spucke es in den Müll. Nächstes Gefühl: Scham. Was denken die von mir?

Die letzte Rednerin rettete mich. Sie sagte, wir müssen unsere Sucht wie eine Allergie sehen. Jemand mit Nussallergie würde bei Nussgeschmack genauso handeln. Dieser Perspektivwechsel hat mich runtergebracht.

Mein stärkster Skill: Schreiben statt Schreien

Wieder zu Hause ging die Wut direkt wieder los. Wut auf die Dealer, die Polizei, das System. Und seitdem sitze ich hier und schreibe. Es ist, als würdet ihr vor mir sitzen und einfach zuhören. Das ist mein größter Skill. Die enormen Aufrufzahlen auf der Webseite geben mir zusätzlich das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Das hilft mehr als jeder Trick.

Danke für deine Zeit!


Häufige Fragen (FAQ) zum Thema „Emotionen im Entzug“


Warum fühlen sich Emotionen wie Wut im Entzug so extrem an?

Wenn man jahrelang Substanzen wie Polamidon konsumiert hat, die Emotionen chemisch unterdrücken, verlernt das Gehirn, sie normal zu verarbeiten. Im Entzug kommen diese Gefühle dann ungefiltert und mit voller Wucht zurück. Es ist, als würde man Fühlen neu lernen – aber bei maximaler Lautstärke.

Was sind konkrete „Skills“, um mit plötzlicher Wut oder Suchtdruck umzugehen?

  1. Verantwortung schaffen: Erzähle sofort jemandem von deinem Plan oder Druck (z.B. „Ich habe Geld und will Drogen kaufen“). Das schafft eine soziale Hürde.
  2. Trigger entfernen: Werde die Versuchung los. Wirf das Geld in einen Briefkasten, gib es einem Freund, schütte den Alkohol weg.
  3. Körperliche Abreaktion: Powere dich aus. Laufen, Gewichte heben, oder auch mal (sicher) etwas kaputt machen, wie auf dem Schrottplatz.
  4. Kreativer Ausdruck: Schreib deine Gedanken auf, male, mach Musik. Kanalisiere die Energie in etwas Produktives. </details>

Was mache ich, wenn ich mich in einer Selbsthilfegruppe schäme oder unwohl fühle?

Das ist ein normales Gefühl, besonders am Anfang. Wichtig ist: Bleib sitzen und halte es aus. Höre den anderen zu. Oft hilft die Geschichte eines anderen, die eigene Situation neu einzuordnen – wie die „Allergie“-Analogie. Du bist in einem Raum voller Menschen, die genau diese Gefühle kennen. Du bist nicht allein damit.


Über den Autor: NeelixberliN


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