Sportsucht: Wenn Sport zur Belastung wird

Sport ist gesund, hält fit und macht Spaß – so die allgemeine Annahme. Doch was passiert, wenn die Freude an der Bewegung in einen zwanghaften Drang umschlägt? Wenn der Gedanke an das nächste Training alle anderen Lebensbereiche dominiert und selbst Verletzungen nicht davon abhalten können, die Sportschuhe zu schnüren? Dann kann es sich um Sportsucht handeln, ein ernstzunehmendes Problem, das die körperliche und geistige Gesundheit gefährden kann.

Was ist Sportsucht?

Sportsucht, auch bekannt als Exercise Addiction, ist eine Verhaltensstörung, die sich durch exzessives und unkontrolliertes Training auszeichnet, trotz negativer Konsequenzen für die Gesundheit, das soziale Leben und die Psyche . Sie ähnelt in vielerlei Hinsicht einer Substanzabhängigkeit, da Betroffene oft einen starken Drang verspüren, Sport zu treiben, und Entzugserscheinungen erleben, wenn sie dies nicht tun können . Es ist wichtig zu betonen, dass Sportsucht jeden treffen kann, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Fitnesslevel . Leider wird dieses Problem oft missverstanden und fehl diagnostiziert, da viele Menschen exzessives Training mit einem gesunden, aktiven Lebensstil verwechseln .  

Formen der Sportsucht

Sportsucht kann in zwei Formen auftreten: primär und sekundär . Bei der primären Sportsucht steht die Abhängigkeit vom Sport selbst im Vordergrund. Die Betroffenen erleben durch den Sport einen Belohnungseffekt, der sie dazu bringt, immer mehr zu trainieren. Bei der sekundären Sportsucht hingegen dient der Sport als Mittel zum Zweck, um beispielsweise eine Essstörung zu kompensieren oder ein bestimmtes Körperbild zu erreichen. In diesen Fällen ist die Sucht nicht primär auf den Sport gerichtet, sondern auf das dahinterliegende Ziel.  

Symptome der Sportsucht

Sportsucht äußert sich in verschiedenen körperlichen und psychischen Symptomen. Dazu gehören:

  • Übermäßiges Training: Betroffene trainieren exzessiv, oft mehrere Stunden täglich, und vernachlässigen dabei Ruhezeiten und Erholungsphasen . So berichtet Kimmy Packebush, dass sie aufgrund ihres exzessiven Trainingsbedarfs sogar zwei Fitnessstudios besuchte .  
  • Training trotz Verletzungen: Selbst Schmerzen oder Verletzungen können Sportsüchtige nicht davon abhalten, zu trainieren . Ein Beispiel hierfür ist Mary, die trotz einer Knieverletzung weiter trainierte und sich schließlich das Kreuzband riss .  
  • Entzugserscheinungen: Bleibt das Training aus, treten körperliche und psychische Entzugserscheinungen wie Unruhe, Angst, Depressionen, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Muskelschmerzen, Appetitlosigkeit und Kopfschmerzen auf .  
  • Kontrollverlust: Versuche, das Training zu reduzieren oder zu pausieren, scheitern .  
  • Soziale Isolation: Das Training dominiert das Leben der Betroffenen, soziale Kontakte, Arbeit und Hobbys werden vernachlässigt . Ähnliches berichtet auch die Betroffene aus , die sich aufgrund ihrer Sportsucht sozial zurückzog und ihren Partner als „soziale Barriere“ nutzte.  
  • Verheimlichung des Trainingsumfangs: Sportsüchtige verheimlichen oft die Intensität und Häufigkeit ihres Trainings vor anderen .  
  • Ständige Beschäftigung mit Sport: Gedanken kreisen permanent um das nächste Training, die Ernährung und das körperliche Aussehen .  

Ursachen der Sportsucht

Die Ursachen für Sportsucht sind vielfältig und noch nicht vollständig erforscht. Zu den möglichen Risikofaktoren gehören:

  • Psychische Faktoren: Angststörungen, Depressionen, Essstörungen, Zwangsstörungen und Persönlichkeitsmerkmale wie Perfektionismus, Narzissmus und Neurotizismus erhöhen das Risiko für Sportsucht. So können beispielsweise Menschen mit Angststörungen Sport als Mittel nutzen, um ihre Angst zu kontrollieren, was im Laufe der Zeit zu einer Abhängigkeit führen kann.  
  • Soziale Faktoren: Gesellschaftlicher Druck, einem bestimmten Schönheitsideal zu entsprechen, kann zu exzessivem Sportverhalten führen. Die ständige Konfrontation mit vermeintlich perfekten Körpern in den Medien und sozialen Netzwerken kann das eigene Körperbild negativ beeinflussen und den Drang nach Sport verstärken.  
  • Biologische Faktoren: Eine genetische Veranlagung für Sucht kann das Risiko für Sportsucht erhöhen. Studien zeigen, dass Menschen mit einer familiären Vorbelastung für Suchtkrankheiten ein erhöhtes Risiko haben, auch eine Sportsucht zu entwickeln.  
  • Körperbildstörung: Menschen mit einem negativen Körperbild nutzen Sport oft als Mittel zur Gewichtskontrolle oder Körperformung. Dies kann zu einem Teufelskreis führen, da die Betroffenen trotz intensivem Training oft unzufrieden mit ihrem Körper bleiben und den Drang verspüren, noch mehr zu trainieren.  
  • Leistungsdruck: Insbesondere Leistungssportler stehen oft unter enormem Druck, was zu exzessivem Training führen kann . Der Wunsch nach Erfolg und Anerkennung kann dazu führen, dass die eigenen Grenzen ignoriert und die Gesundheit aufs Spiel gesetzt wird.  
  • Phasen der Suchtentwicklung: Die Entwicklung einer Sportsucht verläuft oft in Phasen. Zunächst wird Sport zum Vergnügen betrieben, doch mit der Zeit kann sich die Motivation verändern. In der zweiten Phase dient der Sport vermehrt als Mittel zum Stressabbau und zur Verbesserung des Selbstwertgefühls. In der dritten Phase treten erste negative Konsequenzen wie Verletzungen und Stimmungsschwankungen auf. In der vierten Phase schließlich ist die Sportsucht voll ausgeprägt und das Leben dreht sich nur noch um das Training.  
  • Obsessive Leidenschaft: Eine obsessive Leidenschaft für den Sport kann ebenfalls ein Risikofaktor für Sportsucht sein. Betroffene definieren sich stark über ihre sportlichen Leistungen und haben Schwierigkeiten, andere Lebensbereiche zu genießen.  
  • Fitnesstechnologie: Die Nutzung von Fitness-Trackern und -Apps sowie die Präsenz in sozialen Medien können die Entwicklung einer Sportsucht begünstigen. Der ständige Vergleich mit anderen und der Druck, immer bessere Leistungen zu erzielen, können zu exzessivem Training führen.  

Folgen der Sportsucht

Sportsucht kann schwerwiegende Folgen für die körperliche und geistige Gesundheit haben.

Körperliche Folgen:

  • Chronische Erschöpfung und Schlafstörungen  
  • Verletzungen des Bewegungsapparates, wie z.B. Stressfrakturen, Sehnenentzündungen und Gelenkprobleme  
  • Herz-Kreislauf-Probleme, wie z.B. Herzrhythmusstörungen und Bluthochdruck  
  • Hormonstörungen, wie z.B. ein Ungleichgewicht der Stresshormone  
  • Muskelschwund und Knochenschwund  
  • Menstruationsstörungen bei Frauen  
  • Schwächung des Immunsystems  

Psychische Folgen:

  • Depressionen und Angstzustände  
  • Essstörungen  
  • Soziale Isolation und Beziehungsprobleme  
  • Persönlichkeitsstörungen, wie z.B. Perfektionismus und Zwangsstörungen  
  • Geringes Selbstwertgefühl und negatives Körperbild  

Unterscheidung zwischen normalem Sportverhalten und Sportsucht

Die Unterscheidung zwischen normalem Sportverhalten und Sportsucht ist nicht immer einfach. Ein wichtiger Indikator ist die Motivation für den Sport. Gesunde Sportler trainieren, um ihre Gesundheit zu fördern, Spaß zu haben und soziale Kontakte zu pflegen. Sportsüchtige hingegen trainieren, um negative Gefühle zu vermeiden, ein Gefühl der Kontrolle zu erlangen oder einem bestimmten Schönheitsideal zu entsprechen. Sie erleben Sport nicht mehr als Freizeitbeschäftigung, sondern als Notwendigkeit.  

Ein weiteres wichtiges Kriterium ist der Kontrollverlust. Gesunde Sportler können ihr Training flexibel gestalten und an ihre Bedürfnisse anpassen. Sportsüchtige hingegen verspüren einen unwiderstehlichen Zwang zum Sport und können ihr Training nicht kontrollieren, selbst wenn es negative Konsequenzen hat. Sie erleben oft Schuldgefühle und Angstzustände, wenn sie ein Training ausfallen lassen müssen.  

Weitere Merkmale, die auf eine Sportsucht hindeuten können:

  • Anorexia athletica: Betroffene fühlen sich gezwungen, übermäßig Sport zu treiben, um ihr Gewicht zu kontrollieren, oft in Verbindung mit einer restriktiven Ernährung.  
  • Exercise Bulimia: Betroffene wechseln zwischen Phasen von Essanfällen und exzessivem Sport, um die aufgenommenen Kalorien wieder zu verbrennen.  
  • Body Dysmorphic Disorder: Betroffene sind besessen von vermeintlichen Makeln an ihrem Körper und nutzen Sport, um diese zu korrigieren.  

Prävention von Sportsucht

Um Sportsucht vorzubeugen, ist es wichtig, ein gesundes Verhältnis zum Sport zu entwickeln. Dazu gehört:

  • Realistische Ziele setzen: Die eigenen körperlichen Grenzen akzeptieren und sich nicht überfordern.
  • Ruhezeiten einhalten: Dem Körper ausreichend Zeit zur Regeneration geben.
  • Auf die Signale des Körpers achten: Schmerzen und Verletzungen ernst nehmen und rechtzeitig pausieren.
  • Alternative Entspannungstechniken erlernen: Yoga, Meditation oder progressive Muskelentspannung können helfen, Stress abzubauen und ein gesundes Körpergefühl zu entwickeln.
  • Soziale Kontakte pflegen: Sport sollte nicht der einzige Lebensinhalt sein. Freunde treffen, Hobbys nachgehen und Zeit mit der Familie verbringen sind wichtige Gegenpole zum Sport.
  • Sich über gesunde Ernährung informieren: Extreme Diäten und Essstörungen können das Risiko für Sportsucht erhöhen . Eine ausgewogene Ernährung, die den Körper mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt, ist die Grundlage für ein gesundes Sporttreiben.  

Behandlung von Sportsucht

Die Behandlung von Sportsucht erfolgt in der Regel durch Psychotherapie. Dabei kommen verschiedene Therapieansätze zum Einsatz, wie z.B. kognitive Verhaltenstherapie (KVT) und dialektisch-behaviorale Therapie (DBT). Ziel der Therapie ist es, die Ursachen für die Sportsucht zu erkennen, ungünstige Verhaltensmuster zu verändern und ein gesundes Verhältnis zum Sport zu entwickeln. In der Therapie lernen Betroffene, ihre Gedanken und Gefühle zu reflektieren, alternative Bewältigungsstrategien für Stress zu entwickeln und ihren Körper wieder bewusst wahrzunehmen.  

In einigen Fällen kann auch eine medikamentöse Behandlung sinnvoll sein, um Begleiterscheinungen wie Depressionen oder Angstzustände zu lindern. Antidepressiva oder angstlösende Medikamente können helfen, die psychische Belastung zu reduzieren und die Therapie zu unterstützen.  

Persönliche Geschichten und Fallbeispiele

Viele Menschen, die mit Sportsucht kämpfen, berichten von ähnlichen Erfahrungen. Sie beschreiben, wie der Sport zunächst ein positiver Teil ihres Lebens war, der ihnen half, Stress abzubauen und sich besser zu fühlen. Doch im Laufe der Zeit entwickelte sich der Sport zu einem Zwang, der ihr Leben immer stärker dominierte und negative Folgen für ihre Gesundheit und ihr soziales Umfeld hatte.  

Ein Beispiel ist die Geschichte von Erin Bahadur, einer ehemaligen Heroinabhängigen, die nach ihrem Entzug begann, exzessiv Sport zu treiben und ihre Ernährung streng zu kontrollieren. Der Sport gab ihr ein Gefühl der Kontrolle, das sie zuvor durch die Drogen erlangt hatte. Doch ihr exzessives Training führte zu Verletzungen und einer Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit. Sie musste schließlich professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, um ihre Sportsucht zu überwinden.  

Ein weiteres Beispiel ist die Geschichte einer jungen Frau, die aufgrund ihrer Sportsucht ihren Job verlor und sich sozial isolierte. Sie erkannte erst durch die Unterstützung ihres Partners und ihrer Familie, dass ihr Sportverhalten krankhaft war und begann eine Therapie.  

Ressourcen und Hilfsangebote

Wer den Verdacht hat, selbst sportsüchtig zu sein oder jemanden kennt, der betroffen ist, sollte sich professionelle Hilfe suchen. Anlaufstellen sind:

  • Psychotherapeuten: Spezialisiert auf Suchttherapie oder Essstörungen.
  • Suchtberatungsstellen: Bieten Beratung und Unterstützung für Betroffene und Angehörige.
  • Selbsthilfegruppen: Bieten die Möglichkeit zum Austausch mit anderen Betroffenen.
  • Hotlines: Bieten telefonische Beratung und Unterstützung in Krisensituationen.

Schlussfolgerung

Sportsucht ist ein ernstzunehmendes Problem, das die körperliche und geistige Gesundheit gefährden kann. Es ist wichtig, die Warnsignale zu erkennen und sich rechtzeitig Hilfe zu suchen. Mit professioneller Unterstützung ist es möglich, die Sucht zu überwinden und ein gesundes Verhältnis zum Sport zu entwickeln. Wenn Du selbst betroffen bist oder jemanden kennst, der mit Sportsucht kämpft, zögere nicht, sich an eine der genannten Ressourcen zu wenden. Es gibt Hilfe und es ist möglich, ein gesundes und erfülltes Leben zu führen, ohne dass der Sport zum Zwang wird.

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