In Zeiten von Online-Bewertungsportalen und zunehmender Spezialisierung im medizinischen Bereich scheint es so einfach wie nie, den Arzt zu wechseln. Doch was passiert, wenn die Suche nach dem „richtigen“ Arzt zum Dauerzustand wird? Dieses Phänomen, das von den Krankenkassen als „Ärzte Hopping“ bezeichnet wird, wirft Fragen nach den Ursachen, Folgen und möglichen Lösungen auf.
Ärzte Hopping bezeichnet den häufigen und unbegründeten Wechsel von Ärzten derselben Fachrichtung. Oftmals wechseln Patienten innerhalb kurzer Zeit zwischen verschiedenen Ärzten, ohne dass diese voneinander wissen und ohne dass eine medizinische Notwendigkeit besteht. Dies kann zu unnötigen Doppeluntersuchungen, widersprüchlichen Behandlungsansätzen und einer ineffizienten Nutzung der Ressourcen im Gesundheitssystem führen.
Warum „hoppen“ Patienten von Arzt zu Arzt?
Die Gründe für Ärzte Hopping sind vielfältig und reichen von Unzufriedenheit mit der Behandlung über den Wunsch nach Zweitmeinungen bis hin zu psychischen Ursachen.
Ursache | Erläuterung |
Mangelndes Vertrauen | Patienten fühlen sich nicht ernst genommen, haben den Eindruck, dass der Arzt sich nicht genügend Zeit nimmt oder ihre Beschwerden nicht ausreichend würdigt. |
Wunsch nach Zweitmeinung | Vor allem bei schwerwiegenden Erkrankungen oder anstehenden Operationen suchen Patienten oft die Meinung eines zweiten Arztes, um sich abzusichern. Dies ist jedoch nicht mit Ärzte Hopping gleichzusetzen, solange die Konsultation transparent erfolgt und als Zweitmeinung gekennzeichnet wird. |
Psychische Gründe | In einigen Fällen können psychische Erkrankungen wie Hypochondrie oder das Münchhausen-Syndrom die Ursache für Ärzte Hopping sein. Betroffene sind überzeugt, krank zu sein, auch wenn medizinisch nichts feststellbar ist, und suchen ständig nach Bestätigung ihrer Ängste. |
Medikamentenabhängigkeit | Menschen mit Medikamentenabhängigkeit wechseln häufig den Arzt, um sich verschiedene Medikamente verschreiben zu lassen. |
Unsicherheit bei der Arztwahl | Manche Patienten sind schlichtweg unsicher, welcher Facharzt für ihr Anliegen der richtige Ansprechpartner ist. |
Hoffnung auf Heilung | Gerade bei unheilbaren Erkrankungen kann der Wunsch nach einer alternativen Diagnose oder Behandlungsmöglichkeit dazu führen, dass Patienten mehrere Ärzte konsultieren. |
Die sogenannte „Flatrate-Mentalität“, bei der Patienten das Gesundheitssystem aufgrund der Krankenversicherung als kostenlose und unbegrenzt nutzbare Ressource betrachten, trägt ebenfalls zum Ärzte Hopping bei.
Welche Folgen hat Ärzte Hopping?
Ärzte Hopping hat sowohl für die Patienten als auch für das Gesundheitssystem negative Konsequenzen.
Folgen für Patienten:
- Widersprüchliche Behandlungsansätze: Durch den Wechsel zwischen verschiedenen Ärzten kann es zu widersprüchlichen Diagnosen und Therapieempfehlungen kommen.
- Wechselwirkungen von Medikamenten: Werden von verschiedenen Ärzten unterschiedliche Medikamente verschrieben, ohne dass diese voneinander wissen, kann es zu gefährlichen Wechselwirkungen kommen.
- Chronifizierung von Erkrankungen: Bei psychischen Erkrankungen kann Ärzte Hopping die Symptome verstärken und zu einer Chronifizierung führen.
- Verzögerung der Behandlung: Die Suche nach dem „perfekten“ Arzt kann dazu führen, dass die eigentliche Behandlung verzögert wird und sich der Gesundheitszustand verschlechtert.
- Psychische Belastung: Ärzte Hopping kann zu Verunsicherung, Angst und einem verminderten Wohlbefinden führen, da Patienten ständig mit neuen Diagnosen und Behandlungsvorschlägen konfrontiert werden und das Gefühl haben, nicht ernst genommen zu werden.
- Finanzielle Belastung: Für Privatpatienten kann Ärzte Hopping zu erheblichen Mehrkosten führen, da die Leistungen jedes Arztes einzeln abgerechnet werden.
Folgen für das Gesundheitssystem:
- Überlastung der Praxen: Ärzte Hopping führt zu überfüllten Wartezimmern und längeren Wartezeiten für alle Patienten.
- Unnötige Kosten: Doppeluntersuchungen und Mehrfachbehandlungen verursachen unnötige Kosten im Gesundheitssystem.
- Verzerrung des Vergütungssystems: Im gesetzlichen Krankenversicherungssystem führt Ärzte Hopping zu einem niedrigeren Honorar für die Ärzte, da die Leistungen mehrfach erbracht werden.
- Steigende Arzneimittelkosten: Durch die Ausstellung mehrerer Rezepte durch verschiedene Ärzte steigen die Ausgaben für Medikamente.
Ärzte fühlen sich durch Ärzte Hopping oftmals entwertet und frustriert, da ihre Behandlungsansätze nicht konsequent weitergeführt werden und sie weniger Zeit für die Behandlung anderer Patienten haben.
Verteilung der Arztkontakte in Deutschland
Die Verteilung der Arztkontakte in Deutschland im Jahr 2007 zeigt, dass ein kleiner Teil der Bevölkerung für einen Großteil der Arztbesuche verantwortlich ist:
- 25 % gehen bis zu 4 Mal im Jahr zum Arzt.
- 25 % gehen 5 bis 10 Mal im Jahr zum Arzt.
- 25 % gehen 11 bis 22 Mal im Jahr zum Arzt.
- Die 25 %, die mehr als 22 Mal im Jahr beim Arzt sind, sind im Mittel 40 Mal pro Jahr beim Arzt und sorgen für 60 % aller Arztbesuche.
Diese Zahlen verdeutlichen, dass ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung überproportional häufig medizinische Leistungen in Anspruch nimmt. Dies kann ein Indiz für Ärzte Hopping sein, muss aber nicht zwangsläufig darauf hindeuten.
Organisatorische Mängel in Arztpraxen
Nicht zu unterschätzen ist die organisatorische Qualität einer Arztpraxis als Faktor für Ärzte Hopping. Lange Wartezeiten auf Termine, unzureichende Kommunikation, fehlende Rückmeldungen zu Befunden oder unfreundliches Personal können dazu führen, dass Patienten den Arzt wechseln. Auch die zunehmende Forderung von Fachärzten nach Überweisungen, selbst wenn es sich um den ersten Arztbesuch im Quartal handelt, kann den direkten Zugang zum Facharzt erschweren und Patienten dazu bewegen, verschiedene Ärzte aufzusuchen. Während dieses Vorgehen die Koordinierung der Behandlung verbessern und unnötige Untersuchungen vermeiden soll, kann es für Patienten auch lästig und zeitaufwendig sein.
Missbrauch der Krankenversicherungskarte
Ärztehopping kann auch durch den Missbrauch der Krankenversicherungskarte durch mehrere Personen entstehen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine Person ihre Krankenversicherungskarte an Freunde oder Familienmitglieder weitergibt, die damit medizinische Leistungen in Anspruch nehmen. Dieser Missbrauch führt nicht nur zu falschen Abrechnungen, sondern kann auch die medizinische Versorgung des Karteninhabers gefährden, da wichtige Informationen in der Patientenakte fehlen oder verfälscht werden können.
Wie kann man Ärzte Hopping vermeiden?
Um Ärzte Hopping zu vermeiden, ist es wichtig, die Ursachen zu erkennen und gezielt entgegenzuwirken.
- Gute Arzt-Patienten-Kommunikation: Eine offene und vertrauensvolle Kommunikation zwischen Arzt und Patient ist entscheidend. Patienten sollten ihre Beschwerden und Sorgen offen ansprechen und Ärzte sollten sich Zeit nehmen, zuzuhören und Fragen zu beantworten. Ärzte können die Kommunikation mit ihren Patienten verbessern, indem sie aktiv zuhören, eine verständliche Sprache verwenden, Empathie zeigen und sicherstellen, dass die Patienten alle Informationen verstanden haben.
- Realistische Erwartungen: Patienten sollten realistische Erwartungen an die Behandlung haben und verstehen, dass nicht jeder Arzt für jedes Anliegen der richtige ist. Vor einem Arztwechsel sollten sich Patienten fragen, ob ihre Erwartungen realistisch sind und ob sie ihre Beschwerden und Sorgen dem Arzt gegenüber ausreichend geäußert haben.
- Strukturierte Einholung von Zweitmeinungen: Der Wunsch nach einer Zweitmeinung ist legitim, sollte aber strukturiert und transparent erfolgen. Spreche Deinen Arzt offen darauf an und lasse Dich gegebenenfalls an einen Spezialisten überweisen.
- Stärkung der Gesundheitskompetenz: Patienten sollten ihre Gesundheitskompetenz stärken, um besser zu verstehen, welcher Arzt für welches Anliegen der richtige Ansprechpartner ist. Hier können Online-Portale, Informationsbroschüren und Beratungsangebote helfen.
- Nutzung von Selbsthilfegruppen: Selbsthilfegruppen bieten Betroffenen die Möglichkeit, sich mit anderen auszutauschen und Unterstützung zu finden. Dies kann dazu beitragen, Ängste abzubauen und das Vertrauen in die medizinische Versorgung zu stärken.
- Inanspruchnahme von Patienten-Beratungsstellen: Unabhängige Patienten-Beratungsstellen bieten kostenlose und neutrale Beratung zu allen Fragen rund um das Gesundheitssystem.
- Digitalisierung: Digitale Lösungen wie Online-Terminvergabe, Videosprechstunden und elektronische Patientenakten können dazu beitragen, Ärzte Hopping zu reduzieren. Durch die Online-Terminvergabe können Patienten leichter Termine finden und vergleichen, Videosprechstunden ermöglichen eine flexible und ortsunabhängige Konsultation und die elektronische Patientenakte sorgt dafür, dass alle behandelnden Ärzte Zugriff auf die relevanten medizinischen Daten haben.
- Chronikerregelung: Auch die sogenannte „Chronikerregelung“, die Zuschläge für einen zweiten Arztkontakt im Quartal vorsieht, kann mehrfache Arztbesuche fördern. Eine Überprüfung dieser Regelung könnte helfen, unnötige Arztbesuche zu verringern.
Ärztehopping und Drogensucht
Ärztehopping ist ein weit verbreitetes Problem unter Drogenabhängigen, die versuchen, an verschreibungspflichtige Medikamente zu gelangen. Sie suchen verschiedene Ärzte auf und verschweigen dabei oft frühere Verschreibungen oder bestehende Abhängigkeiten. Dieses Verhalten ist nicht nur gefährlich für die eigene Gesundheit, sondern belastet auch das Gesundheitssystem und kann zu rechtlichen Konsequenzen führen.
Studien zeigen, dass ein kleiner Prozentsatz der Opioid-Konsumenten am Ärztehopping beteiligt ist . Schätzungen zufolge erhalten diese Personen im Durchschnitt 32 Opioidrezepte von 10 verschiedenen Ärzten. Um dieses Problem einzudämmen, wurden Gesetze erlassen, die das Verschweigen von Informationen über frühere Verschreibungen unter Strafe stellen. Auch die Einführung von elektronischen Patientenakten kann dazu beitragen, Ärztehopping zu reduzieren, da so alle behandelnden Ärzte Zugriff auf die relevanten medizinischen Daten haben.
Rechtliche Lage
Das deutsche Rechtssystem garantiert die freie Arztwahl. Das bedeutet, dass Patienten grundsätzlich den Arzt frei wählen und wechseln können, ohne dafür einen Grund angeben zu müssen. Es gibt jedoch einige Ausnahmen, beispielsweise im Rahmen von Hausarztmodellen, bei denen sich Patienten für eine bestimmte Zeit an einen Hausarzt binden.
Ärztehopping als solches ist nicht strafbar. Allerdings kann es in bestimmten Fällen rechtliche Konsequenzen haben, insbesondere wenn es mit anderen Delikten wie Betrug oder dem Missbrauch von Verschreibungspflichtigen Medikamenten einhergeht. So ist es beispielsweise strafbar, Ärzte über frühere Verschreibungen zu täuschen, um sich weitere Medikamente zu beschaffen.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat in der Vergangenheit höhere Beiträge für die freie Arztwahl gefordert, um Ärztehopping zu reduzieren. Die gesetzlichen Krankenkassen lehnen solche Strafzahlungen jedoch ab, da sie die freie Arztwahl einschränken und Patienten für Systemfehler verantwortlich machen würden.
Fazit
Ärzte Hopping ist ein komplexes Phänomen mit vielfältigen Ursachen und negativen Folgen. Um dem entgegenzuwirken, ist es wichtig, die Kommunikation zwischen Arzt und Patient zu verbessern, die Gesundheitskompetenz der Patienten zu stärken und alternative Unterstützungsangebote wie Selbsthilfegruppen und Patienten-Beratungsstellen zu nutzen. Patienten sollten realistische Erwartungen an die Behandlung haben und ihre Beschwerden offen mit dem Arzt besprechen. Ärzte wiederum sollten aktiv zuhören, Empathie zeigen und sicherstellen, dass die Patienten alle Informationen verstanden haben. Die Politik sollte Anreize für eine stärkere Hausarztzentrierung schaffen, um Ärztehopping zu reduzieren. Krankenkassen könnten Informationskampagnen starten, um die Gesundheitskompetenz der Versicherten zu stärken. Nur durch eine gemeinsame Anstrengung von Patienten, Ärzten, Krankenkassen und Politik kann ein Teufelskreis vermieden und eine optimale medizinische Versorgung für alle gewährleistet werden.
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