„Mein Mann wird betrunken aggressiv“: Ein Survival-Guide für dich & deine Kinder

„Mein Mann wird betrunken aggressiv“: Ein Survival-Guide für dich & deine Kinder

Ein Artikel aus der „Recovery & Beziehungen“-Serie von NeelixberliN

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Trigger-Warnung: Dieser Artikel behandelt die Themen häusliche Gewalt, Alkoholmissbrauch und Kindeswohlgefährdung. Er enthält direkte Handlungsanweisungen für Notfallsituationen.


Nach 28 Jahren Sucht & Recovery erhalte ich viele Nachrichten. Aber manche treffen dich wie ein Faustschlag in die Magengrube. Die folgende Nachricht habe ich anonymisiert. Ich nenne die Absenderin „Eine Mutter“, denn sie steht für unzählige Frauen in Deutschland.

„Lieber Gabriel, ich weiß nicht mehr weiter. Mein Mann ist der liebste Mensch der Welt, wenn er nüchtern ist. Aber wenn er trinkt, wird er zu einem Monster. Er schreit, er schubst, er schlägt gegen Wände. Ich habe Angst. Nicht nur um mich, sondern vor allem um unsere Kinder, die das alles mitbekommen. Ich liebe ihn, aber ich kann nicht mehr. Was soll ich tun?“

Liebe Mutter,

danke für deinen Mut, diese Zeilen zu schreiben. Dein Schmerz, deine Erschöpfung, deine Zerrissenheit sind in jedem Wort spürbar. Du stehst am Abgrund und hast das Gefühl, in einen Krieg verwickelt zu sein, den du nicht gewinnen kannst. Und du hast recht.

Ich sage dir als jemand, der selbst unberechenbar und toxisch war: Deine Angst ist real und sie ist berechtigt. Dieser Artikel ist meine Antwort an dich. Er ist kein Beziehungsratgeber, der dir sagt, wie du ihn „reparieren“ kannst. Er ist ein unzensierter Survival-Guide für dich und deine Kinder. Denn seine Heilung ist seine Aufgabe. Deine ist es, dich und deine Kinder JETZT zu schützen.

Alkoholbedingte Aggression ist keine ’schlechte Seite‘ deines Partners. Es ist häusliche Gewalt. Punkt. Deine Aufgabe ist nicht, den ‚guten‘ Mann zu retten, den du liebst. Deine Aufgabe ist, dich und deine Kinder vor dem Monster zu schützen, zu dem der Alkohol ihn macht.


🎯 Die harten Fakten: Alkohol als Brandbeschleuniger für Gewalt

📊 Die harten Fakten in Zahlen: Alkohol als Brandbeschleuniger für Gewalt

Deine Angst ist statistisch begründet. Die Verbindung zwischen Alkohol und häuslicher Gewalt ist erdrückend:

  • Alkohol bei jeder dritten Gewalttat: Laut Bundeskriminalamt (BKA) standen bei rund 30-40% der registrierten Fälle von Gewalt in Partnerschaften die Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluss.
  • ~3 Millionen Kinder betroffen: Schätzungen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) zufolge leben in Deutschland ca. 2,6 bis 3 Millionen Kinder mit mindestens einem suchtkranken Elternteil zusammen. Sie sind die stillen Opfer.
  • 6-faches Suchtrisiko für die Kinder: Kinder aus suchtbelasteten Familien haben ein bis zu sechsmal höheres Risiko, später selbst eine Sucht- oder andere psychische Erkrankung zu entwickeln.
  • Dein Recht auf Schutz: Das Gewaltschutzgesetz in Deutschland gibt dir starke rechtliche Mittel an die Hand. Die Polizei kann eine „Wegweisung“ (Wohnungsverweis) für bis zu 14 Tage aussprechen, um dich und deine Kinder sofort zu schützen.

🔬 Wissenschaft: Wie Alkohol die Sicherungen im Kopf durchbrennen lässt

Alkohol verwandelt niemanden, er enthemmt nur das, was bereits da ist. Er legt die Teile des Gehirns lahm, die für Kontrolle und Vernunft zuständig sind:

  • Shutdown des präfrontalen Kortex: Das ist deine „Vernunft-Zentrale“, zuständig für Impulskontrolle und das Abwägen von Konsequenzen. Alkohol dämpft diesen Bereich massiv. Die „Bremse“ im Kopf fällt aus.
  • Hijack der Amygdala: Gleichzeitig wird die Amygdala, das Angst- und Emotionszentrum, überaktiv. Reize werden viel schneller und ungefilterter als „Bedrohung“ fehlinterpretiert. Eine normale Frage wird zur Provokation.
  • Verzerrte Wahrnehmung: Alkohol stört das Gleichgewicht von Botenstoffen wie Serotonin und GABA. Das führt zu einer verzerrten, oft negativen und paranoiden Interpretation von sozialen Signalen.

Das Ergebnis ist ein enthemmtes, impulsives und paranoid-aggressives Verhalten. Der Alkohol ist der Auslöser, aber niemals die Entschuldigung.


🎭 Die unsichtbaren Wunden: Der Kriegsschauplatz Kinderzimmer

Ein Whiskey-Glas verzerrt das Gesicht eines Vaters auf einem Familienfoto zu einer Monster-Fratze, als Symbol für alkohol-induzierte Aggression.
Der Mensch, den du liebst, und das Monster, das dich terrorisiert, sind zwei Seiten derselben Person. Aber deine Kinder können diesen Unterschied nicht machen. Sie sehen nur die Gefahr.

Kinder, die in einem Haushalt mit alkoholbedingter Gewalt aufwachsen, sind die Hauptleidtragenden. Sie leben nicht in einem „schwierigen Zuhause“. Sie wachsen in einem Kriegsgebiet auf.

⚠️ Die Kollateralschäden: Der Kriegsschauplatz Kinderzimmer

Das Aufwachsen in einem Klima der Angst und Unberechenbarkeit ist eine Form von komplexem Trauma (kPTBS) für deine Kinder. Sie lernen für das Leben:

  • Permanenter Alarmzustand: Das Nervensystem der Kinder ist ständig auf „Gefahr“ eingestellt (Hypervigilanz). Sie lernen, auf Eierschalen zu laufen und die Stimmungen des Vaters zu „lesen“, um den nächsten Ausbruch zu vermeiden.
  • Gestörte Bindung: Sie lernen die schrecklichste Lektion von allen: Der Mensch, der sie lieben sollte, ist auch eine Quelle von Terror. Das zerstört das Urvertrauen und führt zu massiven Problemen in späteren Beziehungen.
  • Übernommene Schuld: Viele Kinder glauben, sie seien schuld an Papas Ausbrüchen („Wenn ich leiser gewesen wäre…“). Diese toxische Schuld prägt ihr gesamtes Selbstwertgefühl.
  • Normalisierung von Gewalt: Sie lernen ein katastrophales Modell für Beziehungen: dass Liebe, Geschrei und Gewalt zusammengehören. Das Risiko, später selbst in gewalttätigen Beziehungen zu landen, ist enorm hoch.

Dein Schutz ist der einzige Schutz, den sie haben.


Hoffnung ist keine Strategie

Du liebst den Mann, der er ist, wenn er nüchtern ist. Und du hoffst, dass dieser Mann zurückkommt, wenn er nur endlich aufhört zu trinken. Diese Hoffnung ist menschlich. Aber sie ist auch eine Falle.

Er wird sich nicht ändern, nur weil du hoffst. Er wird sich nicht ändern, nur weil du ihn liebst. Er kann sich nur ändern, wenn ER die Entscheidung trifft, sich Hilfe zu suchen und die harte, schmerzhafte Arbeit an seiner Sucht und seiner Aggression zu leisten. Das ist seine Verantwortung. Zu 100%.

Deine Verantwortung ist nicht, auf diesen Tag zu warten und in der Zwischenzeit den Kopf für ihn hinzuhalten. Deine Verantwortung ist, dich und deine Kinder heute in Sicherheit zu bringen.


🛡️ Safer Use: Dein Ausbruchsplan – Ein 3-Phasen-Protokoll

Eine Mutter, die sich im Flugzeug zuerst selbst die Sauerstoffmaske aufsetzt, als Metapher für die Notwendigkeit der Selbstfürsorge für Angehörige.
Es ist das härteste Gesetz der Angehörigen-Hilfe: Setze immer zuerst deine eigene Sauerstoffmaske auf. Eine Mutter, die keine Luft bekommt, kann ihre Kinder nicht retten.

Du kannst deinen Mann nicht ändern, aber du kannst DEIN Verhalten ändern. Höre auf zu reagieren und fange an zu agieren. Hier ist dein Plan.

🛡️ Safer Use: Dein 3-Phasen-Ausbruchsplan

Höre auf zu hoffen. Fange an zu planen. Das ist ein praktisches Protokoll für deine Sicherheit.

Phase 1: Die Vorbereitung (in einem ruhigen, nüchternen Moment)

  • Packe eine Notfalltasche: Kopien wichtiger Dokumente (Ausweise, Geburtsurkunden), Kleidung, Medikamente, Bargeld. Deponiere sie bei einer vertrauenswürdigen Person.
  • Setze EINE klare Grenze: Kommuniziere ruhig und mit Ich-Botschaft: „Ich habe Angst vor dir, wenn du trinkst. Wenn du heute Abend wieder trinkst und aggressiv wirst, werde ich mit den Kindern die Wohnung verlassen und die Polizei rufen.“

Phase 2: Die akute Krise (wenn er trinkt/aggressiv wird)

  • Argumentiere NICHT. Du kannst nicht gegen den Rausch gewinnen. Deeskaliere. Sage „Okay“ und bring dich und die Kinder in Sicherheit (z.B. in ein abschließbares Zimmer).
  • Zögere nicht: RUFE DIE POLIZEI UNTER 110. Das ist kein Verrat. Das ist der Job der Polizei. Sage am Telefon klar, dass es um häusliche Gewalt unter Alkoholeinfluss geht und dass Kinder anwesend sind.

Phase 3: Der Tag danach (die Konsequenzen)

  • Sei konsequent. Wenn du gegangen bist, bleib erstmal weg. Lass dich nicht von seinen Reue-Schwüren zurückholen.
  • Hol dir rechtliche Hilfe. Geh zum Familiengericht und beantrage eine Schutzanordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (Wohnungsüberlassung, Kontaktverbot). Frauenhäuser und der Weiße Ring helfen dir dabei.

🤔 Ausführliche FAQ

🤔 Er liebt mich doch eigentlich, er ist nur so, wenn er trinkt. Ändert er sich wieder?

✅ Das ist der klassische Teufelskreis aus Gewalt und Reue. Im nüchternen Zustand bereut er sein Verhalten vielleicht aufrichtig. Aber der Alkohol verändert seine Persönlichkeit immer wieder. Ohne eine professionelle Suchttherapie UND eine Aufarbeitung seines Aggressionsproblems ist es extrem unwahrscheinlich, dass sich dieses Muster von allein ändert.

❤️ Ich habe Angst, die Polizei zu rufen, weil ich ihn nicht ins Gefängnis bringen will. Was soll ich tun?

✅ Deine Sicherheit und die deiner Kinder haben absolute Priorität. Ein Polizeieinsatz wegen häuslicher Gewalt führt nicht automatisch zu einer Haftstrafe. Die Polizei kann eine Wegweisung aus der Wohnung für bis zu 14 Tage aussprechen. Das gibt dir Zeit und Raum, dich in Sicherheit zu bringen und weitere Schritte zu planen. Es ist ein Akt des Selbstschutzes, kein Verrat.

🧠 Was sind die „Drei K’s“ der Co-Abhängigkeit, von denen man oft hört?

✅ Das ist eine wichtige Eselsbrücke für Angehörige. Sie steht für: 1. **K**rankheit: Du hast die Sucht nicht verursacht. 2. **K**ontrolle: Du kannst die Sucht nicht kontrollieren. 3. **K**urieren: Du kannst die Sucht nicht heilen. Dies hilft, die eigene Machtlosigkeit über die Sucht des anderen zu akzeptieren und sich auf das zu konzentrieren, was man kontrollieren kann: das eigene Verhalten und die eigene Sicherheit.

📚 Lesetipp zur Vertiefung

📖 Lesetipp zur Vertiefung

Warum tut er das? Über Männer, die Frauen misshandeln von Lundy Bancroft

Dieses Buch ist die rote Pille für Frauen in gewalttätigen Beziehungen. Lundy Bancroft, ein Therapeut, der seit Jahrzehnten mit gewalttätigen Männern arbeitet, zerlegt schonungslos die Mythen, Ausreden („Der Alkohol war schuld“) und Manipulationsstrategien von Tätern. Er erklärt, dass es nicht um Kontrollverlust, sondern um einen Anspruch auf Kontrolle geht. Ein absolut augenöffnendes und stärkendes Buch.

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🎬 NeelixberliN Fazit

Eine Frau in einem dunklen Raum hält einen leuchtenden Schlüssel mit der Nummer 110, der eine Tür zur Freiheit beleuchtet. Symbol für den Notruf als Ausweg aus häuslicher Gewalt.
Manchmal ist der Anruf, vor dem du die meiste Angst hast, der Schlüssel zu deiner Freiheit und Sicherheit.

Liebe Mutter,

dein Schmerz ist greifbar. Du hast genug gekämpft, gehofft und gelitten. Genug.

Als jemand, der in seiner Sucht unendlich viel seelischen Schmerz verursacht hat, kann ich sagen: Der größte Akt der Liebe, den man einem Süchtigen zeigen kann, ist eine unumstößliche Grenze. Auch wenn körperliche Gewalt nie Teil meiner Geschichte war, kenne ich die toxische Dynamik der Sucht, die alles um einen herum vergiftet.

Deine Aufgabe ist nicht, ihn zu heilen. Deine Aufgabe ist es, den Kreislauf zu durchbrechen. Deine Sicherheit ist nicht verhandelbar. Die Sicherheit deiner Kinder ist nicht verhandelbar. Es gibt keine Entschuldigung für Gewalt. Keine. Hol dir Hilfe. Geh. Bleib am Leben.


📖 Quellen & Referenzen

  • Bundeskriminalamt (BKA): Jährliche Kriminalstatistische Auswertung zu Partnerschaftsgewalt.
  • Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS): Zahlen und Fakten zum Thema Kinder aus suchtbelasteten Familien.
  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): Informationen zum Gewaltschutzgesetz.
  • Lundy Bancroft (2002). Why Does He Do That?: Inside the Minds of Angry and Controlling Men. (Deutscher Titel: „Warum tut er das?“).

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Über Gabriel Maetz

NeelixberliN teilt hier seine persönliche und ungefilterte Erfahrung auf dem Weg aus der Sucht. Nach Jahren der Abhängigkeit, unter anderem von Polamidon, kämpft er sich Tag für Tag zurück ins Leben. Dieser Blog ist sein persönliches Logbuch, eine Hilfe für sich selbst und hoffentlich auch eine stütze für andere, die einen ähnlichen Kampf führen.

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