Ein Artikel aus der „Frauen & Sucht“-Serie von NeelixberliN
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Trigger-Warnung: Dieser Artikel behandelt die Themen Co-Abhängigkeit, emotionalen Missbrauch, Kontrollverlust und Selbstaufgabe. Er richtet sich explizit an das Umfeld von suchtkranken Menschen.
Nach 28 Jahren Sucht & Recovery muss ich eine schwere Wahrheit zugeben: Ich habe in meiner Sucht nicht nur mein Leben zerstört, sondern auch das von unzähligen Frauen. Ich habe ihre Liebe, ihre Fürsorge, ihre Hoffnung und ihre Kraft genommen und sie in pures Gift für ihre eigene Seele verwandelt. Ich habe sie zu Co-Abhängigen gemacht. Und das ist vielleicht die größte Schuld, die ich mit mir trage.
Die Co-Abhängige ist die stille Heldin im Hintergrund, die alles am Laufen hält. Sie ist die, die lügt, um den Job zu retten, die Schulden bezahlt, die Kotze wegwischt und die Fassade aufrechterhält. Sie hält sich für die Retterin, die Starke, die Einzige, die ihn versteht. Sie denkt, ihre Liebe sei eine heilende Kraft.
Aber das ist eine tragische Lüge. Co-Abhängigkeit ist keine Form von Liebe. Sie ist selbst eine Sucht. Es ist die Sucht nach einem anderen Menschen. Die Sucht nach Kontrolle über das Unkontrollierbare. Die Sucht nach der Hoffnung auf den „guten Tag“, der den Schmerz von hundert schlechten Tagen vergessen lässt. Und wie bei jeder Sucht gibt es am Ende nur einen Verlierer: dich selbst.
Co-Abhängigkeit ist keine übersteigerte Liebe. Es ist eine eigenständige Sucht – die Sucht nach der Kontrolle über einen unkontrollierbaren Menschen, bei der du am Ende das Einzige verlierst, was du wirklich kontrollieren kannst: dich selbst.
🎯 Die harten Fakten: Die weibliche Falle der Co-Abhängigkeit
📊 Die harten Fakten in Zahlen: Die weibliche Falle der Co-Abhängigkeit
Co-Abhängigkeit ist ein anerkanntes psychologisches Muster mit klaren demografischen Tendenzen:
- Überwiegend weiblich: Obwohl auch Männer betroffen sein können, zeigen Studien und die Zusammensetzung von Selbsthilfegruppen wie CoDA und Al-Anon, dass schätzungsweise 80-90% der Menschen, die unter Co-Abhängigkeit leiden, Frauen sind.
- Psychische Folgen: Co-Abhängigkeit ist keine offizielle Diagnose im ICD-10, aber sie ist stark mit klinischen Diagnosen wie Depressionen, Angststörungen und psychosomatischen Erkrankungen assoziiert. Der chronische Stress schwächt das Immunsystem.
- Ursprung in der Kindheit: Forschungen zu erwachsenen Kindern von Alkoholikern (ACoA) zeigen, dass das Aufwachsen in einem dysfunktionalen, suchtbelasteten System die Wahrscheinlichkeit, später selbst co-abhängige Beziehungsmuster zu entwickeln, dramatisch erhöht.
- Hilfe wirkt: Die Teilnahme an 12-Schritte-Gruppen für Angehörige (CoDA, Al-Anon) führt nachweislich zu einer Verbesserung der psychischen Gesundheit, einer Reduzierung von co-abhängigen Verhaltensweisen und einer Steigerung der Lebensqualität, unabhängig davon, ob der Süchtige clean wird oder nicht.
🔬 Wissenschaft: Wie Co-Abhängigkeit im Gehirn funktioniert
Co-Abhängigkeit ist eine erlernte Überlebensstrategie, die sich zu einer Sucht entwickeln kann:
- Ursprünge in der Kindheit: Oft entsteht das Muster in Familien, in denen das Kind lernen musste, die Bedürfnisse eines instabilen Elternteils (z.B. durch Sucht, Depression) über die eigenen zu stellen, um Liebe oder Sicherheit zu bekommen. Es lernt: „Ich bin nur wertvoll, wenn ich mich kümmere.“
- Gesellschaftliche Konditionierung: Besonders Frauen werden sozial darauf trainiert, ihre eigenen Bedürfnisse für das Wohl der Beziehung oder Familie zurückzustellen. Diese kulturelle Erwartung ist der perfekte Nährboden für Co-Abhängigkeit.
- Der Sucht-Kreislauf (Intermittierende Verstärkung): Der co-abhängige Partner erlebt einen Kreislauf, der dem eines Spielsüchtigen ähnelt. Die „schlechten Zeiten“ (Streit, Lügen, Chaos) sind der Einsatz. Die seltenen „guten Zeiten“ (wenn der Süchtige liebevoll ist, Besserung verspricht) sind der „Jackpot“. Dieser unvorhersehbare Wechsel zwischen „Niete“ und „Gewinn“ erzeugt eine extrem starke, biochemische Abhängigkeit im Gehirn.
Aus meinem Leben: Wie ich meine Freundin zur Komplizin meiner Sucht machte
Ich erinnere mich noch genau an die Anfänge meiner Heroin-Zeit. Ich hatte meiner Freundin im Suchtdruck die Bankkarte, die sie zu Hause vergessen hatte, geklaut. Ich hob mir damit 20 Euro für neuen Stoff ab und konsumierte in ihrer Wohnung zusammen mit Fremden von der Platte, bevor sie von der Arbeit zurückkam.
Ich gestand es ihr zwar sofort, aber ihre Reaktion war verständnisvoll und voller Sorge. Anstatt eine Grenze zu ziehen, fand sie eine „Lösung“, die die Sucht nur fütterte: Sie holte von da an lieber selbst Geld ab, gab es mir vor der Arbeit und meinte, „das ist mir lieber, als dass Du dafür kriminell wirst.“
Ich wusste genau, dass das falsch war. Im Herzen tat sie mir unendlich leid. Aber der Druck zum Stoff war stärker. Und so wurde sie, aus Liebe und Angst, von meiner Partnerin zu meiner Komplizin, zu meiner Enablerin. Sie dachte, sie würde mich vor Schlimmerem bewahren, aber in Wahrheit hat sie mir nur den Weg in die Hölle gepflastert.
🎭 Bist du co-abhängig? Die unzensierte Checkliste

Co-Abhängigkeit ist schwer zu erkennen, weil sie sich als Liebe, Loyalität und Stärke tarnt. Beantworte dir die folgenden Fragen radikal ehrlich. Es geht nicht um Verurteilung, sondern um Erkenntnis.
⚠️ Checkliste: Bist du co-abhängig?
Beantworte diese Fragen radikal ehrlich nur für dich selbst. Je mehr „Ja“-Antworten, desto wahrscheinlicher ist ein co-abhängiges Muster:
- Fühlst du dich für die Gefühle, Handlungen und das Wohlergehen deines Partners verantwortlich?
- Kreisen deine Gedanken ständig um deinen Partner, seine Probleme und was er als Nächstes tun könnte?
- Lügst du für ihn, vertuschst du seinen Konsum oder entschuldigst du sein Verhalten vor anderen? (Enabling)
- Vernachlässigst du deine eigenen Hobbys, Freunde und Bedürfnisse, weil seine Probleme immer Priorität haben?
- Versuchst du, seinen Konsum zu kontrollieren (z.B. durch Verstecken von Alkohol, Überprüfen von Nachrichten)?
- Ist dein Selbstwertgefühl davon abhängig, ob er dich „braucht“ oder ob du es schaffst, ihm zu „helfen“?
- Bleibst du in der Beziehung, obwohl sie dir mehr Schmerz als Freude bereitet, aus Angst, was ohne dich aus ihm werden würde?
🛡️ Safer Use: Der Weg zurück zu DIR

Der Ausstieg aus der Co-Abhängigkeit fühlt sich an wie Verrat. Aber es ist der einzige Weg zur Rettung – für dich und paradoxerweise auch für den Süchtigen.
🛡️ Safer Use: Dein Ausstiegsplan aus der Co-Abhängigkeit
Der Weg aus der Co-Abhängigkeit ist ein Prozess der radikalen Umkehr. Weg von ihm, hin zu dir.
- Radikale Akzeptanz (Die 3 K’s): Internalisiere das Mantra der Angehörigen: Du hast seine Sucht nicht verursacht (**K**rankheit), du kannst sie nicht kontrollieren (**K**ontrolle) und du kannst sie nicht heilen (**K**urieren). Das ist seine Aufgabe.
- Der Fokus-Shift: Übe, dich mehrmals am Tag zu fragen: „Was brauche ICH gerade in diesem Moment?“. Die Antwort wird am Anfang fremd klingen. Lerne, auf deine eigenen Bedürfnisse zu hören, anstatt immer nur seine zu scannen.
- Hol dir EIGENE Hilfe: Das ist der wichtigste Schritt. Gehe zu einer Selbsthilfegruppe für Angehörige wie CoDA (Co-Dependents Anonymous) oder Al-Anon. Du brauchst einen Ort, wo du über DEINE Gefühle reden kannst, mit Menschen, die dich verstehen.
- Beginne, Grenzen zu setzen: Fange mit einer kleinen, aber klaren Grenze an und halte sie ein. Zum Beispiel: „Ich werde nicht mehr für dich beim Arbeitgeber lügen“ oder „Ich werde keine Gespräche mehr mit dir führen, wenn du getrunken hast.“
🆘 Professionelle Hilfe für DICH: Anlaufstellen für Angehörige
Du musst diesen Weg nicht allein gehen. Es gibt professionelle, kostenlose und anonyme Hilfsangebote, die sich speziell auf die Unterstützung von Angehörigen spezialisiert haben. Das ist kein Verrat, sondern ein überlebenswichtiger Schritt.
- Lokale Suchtberatungsstellen: Das ist deine wichtigste Anlaufstelle. Träger sind oft die großen Wohlfahrtsverbände wie die Caritas, die Diakonie, das Deutsche Rote Kreuz (DRK) oder der Paritätische Wohlfahrtsverband. Google einfach „Suchtberatung Angehörige [Deine Stadt]“. Sie bieten Einzelgespräche und oft auch geleitete Gruppen nur für Angehörige an.
- Telefonseelsorge: Wenn der Druck nachts oder am Wochenende unerträglich wird und du sofort jemanden zum Reden brauchst. Erreichbar rund um die Uhr unter 0800 / 111 0 111 (kostenlos).
- Hausarzt / Psychotherapeut: Auch dein eigener Hausarzt oder ein Psychotherapeut kann eine wichtige Stütze sein. Sprich deine Belastung offen an. Chronischer Stress durch die Sucht eines anderen ist ein medizinisches Problem, für das du Hilfe verdienst.
Wichtig: Diese Angebote sind für DICH. Es geht um deine Gesundheit und deine Bewältigungsstrategien, unabhängig davon, ob der süchtige Mensch bereit ist, sich Hilfe zu suchen.
🤔 Ausführliche FAQ
🤔 Aber wenn ich ihn loslasse, geht er doch komplett vor die Hunde. Ist das nicht unterlassene Hilfeleistung?
✅ Das ist die größte Angst und der Kern der co-abhängigen Falle. Die Wahrheit ist: Dein „Helfen“ (Enabling) hat ihn bisher nicht gerettet, sondern ihm nur ermöglicht, weiterzumachen. Ihn mit den vollen Konsequenzen seines Handelns zu konfrontieren, ist oft die einzige Chance, die er hat, um aufzuwachen. Es ist der härteste, aber liebevollste Akt.
❤️ Ist Co-Abhängigkeit nicht einfach eine Form von sehr starker Liebe und Loyalität?
✅ Nein. Liebe will, dass der andere wächst und frei ist. Co-Abhängigkeit will (oft unbewusst), dass der andere abhängig und kontrollierbar bleibt, damit man selbst gebraucht wird. Liebe basiert auf Respekt und Freiheit. Co-Abhängigkeit basiert auf Angst und Kontrolle. Es ist die Imitation von Liebe, nicht das Original.
🧠 Kann unsere Beziehung noch gerettet werden, wenn ich mich aus der Co-Abhängigkeit löse?
✅ Vielleicht. Aber nicht in ihrer jetzigen Form. Wenn du aufhörst, deine co-abhängige Rolle zu spielen, muss sich das ganze System verändern. Entweder dein Partner entscheidet sich ebenfalls für Veränderung und ihr könnt eine neue, gesunde Beziehung auf Augenhöhe aufbauen, oder die Beziehung zerbricht, weil sie nur in der ungesunden Dynamik existieren konnte. So oder so: DU gewinnst dich selbst zurück.
💪 Ich bin nicht co-abhängig, ich will ihn nur unterstützen. Wo ist die Grenze?
✅ Die Grenze verläuft da, wo deine Unterstützung ihm hilft, die negativen Konsequenzen seiner Sucht zu vermeiden. Fährst du ihn zur Therapie? Das ist Unterstützung. Lügst du für ihn beim Arbeitgeber? Das ist Co-Abhängigkeit (Enabling). Hörst du dir seinen Schmerz an? Unterstützung. Bezahlst du seine Drogenschulden? Co-Abhängigkeit.
😔 Wo finde ich Hilfe speziell für Co-Abhängigkeit?
✅ Die besten Anlaufstellen sind die anonymen und kostenlosen 12-Schritte-Gruppen CoDA (Co-Dependents Anonymous) und Al-Anon. Dort findest du Menschen, die genau das Gleiche durchmachen. Auch viele Suchtberatungsstellen bieten spezielle Gruppen und Einzelberatungen für Angehörige an. Suche nach Hilfe für DICH, nicht für ihn.
✨ Wenn der Süchtige clean wird, bin ich dann automatisch auch geheilt?
✅ Nein, und das ist ein entscheidender Punkt. Co-Abhängigkeit ist eine eigenständige Verhaltensstörung. Wenn der Süchtige aufhört zu konsumieren, verliert der Co-Abhängige seine Haupt-Fokus- und Lebensaufgabe. Das kann zu einer tiefen Krise führen, wenn man nicht an seinen eigenen Mustern gearbeitet hat. Deine Heilung ist unabhängig von seiner Heilung.
🕊️ Kann ich co-abhängig sein, auch wenn es gar nicht um Drogen geht?
✅ Ja, absolut. Co-Abhängigkeit kann sich auf jede Art von dysfunktionalem Verhalten eines Partners beziehen: Spielsucht, Arbeitswut (Workaholism), eine unbehandelte psychische Krankheit wie Depression oder einfach eine narzisstische Persönlichkeit. Der Mechanismus der Selbstaufgabe für eine andere Person ist immer derselbe.
🎬 NeelixberliN Fazit

Als Süchtiger war ich ein schwarzes Loch. Ich habe die Energie, die Liebe und die Hoffnung aller Menschen um mich herum aufgesaugt. Und die co-abhängigen Frauen in meinem Leben waren die Sterne, die am hellsten für mich brannten und dabei selbst verglühten. Ich habe ihre Kraft gebraucht, um meine Sucht zu überleben. Ihre Hilfe hat meine Sucht genährt.
Der Moment, in dem eine dieser Frauen „Nein“ sagte und sich um sich selbst kümmerte, fühlte sich für mich wie der ultimative Verrat an. Aber aus der heutigen Perspektive weiß ich: Es war der größte Akt der Liebe, den sie mir und sich selbst schenken konnte. Sie hat aufgehört, mich zu retten, und gab mir damit die Chance, mich vielleicht selbst retten zu wollen. Und, was noch viel wichtiger ist: Sie hat sich selbst gerettet.
Wenn du in dieser Situation bist, bitte ich dich aus tiefstem Herzen: Höre auf, uns zu retten. Wir müssen unsere eigenen Tiefpunkte finden. Beginne, dich selbst zu retten. Finde heraus, wer du bist ohne seine Sucht. Was deine Bedürfnisse sind. Wovon du träumst. Das ist nicht egoistisch. Das ist deine einzige verdammte Aufgabe.
📚 Quellen & Referenzen
- Beattie, Melody (1986). Codependent No More: How to Stop Controlling Others and Start Caring for Yourself. (Das Grundlagenwerk zum Thema Co-Abhängigkeit).
- Wegscheider-Cruse, Sharon (1985). Choice~Making: For Co-dependents, Adult Children and Spirituality Seekers. (Wichtige Forschung zu den Rollen in Suchtfamilien).
- Cermak, Timmen L. (1986). Diagnosing and Treating Co-Dependence: A Guide for Professionals. (Definierte Co-Abhängigkeit als ernstzunehmendes Störungsbild).
- CoDA (Co-Dependents Anonymous) & Al-Anon Family Groups: Die offiziellen Webseiten und grundlegenden Texte dieser 12-Schritte-Programme für Angehörige.
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Eine tolle Frau, die aus Erfahrung spricht & Dir zeigt, wie Dein Leben aussehen kann! Klar, frei & selbstbestimmt – mit:
Binia ✨
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