Das CRAFT-Mindset-Manifest (Teil 3): Die Landkarte der Sucht – Wie du mit der Funktionsanalyse zum Meisterdetektiv wirst

Das CRAFT-Mindset-Manifest (Teil 3): Die Landkarte der Sucht – Wie du mit der Funktionsanalyse zum Meisterdetektiv wirst

Ein Artikel aus der „Das CRAFT-Mindset-Manifest“-Serie von NeelixberliN

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Trigger-Warnung: Dieser Artikel verlangt von dir, die Sucht deines geliebten Menschen nicht als moralisches Versagen, sondern als logisches System zu betrachten. Das kann anfangs verstörend sein, ist aber der Schlüssel zur Lösung.

Als meine Expartner mich früher mit meinem Konsum konfrontierte, klang das immer gleich: „Warum tust du das? Siehst du nicht, was du anrichtest? Hör einfach auf!“

Aus ihrer Sicht war meine Sucht ein irrationales, monströses Verhalten ohne Logik. Sie hatten versucht, einen Dämon mit Worten zu exorzieren. Aber Sucht ist kein Dämon. Sucht ist ein System. Ein perfekt geöltes, wenn auch selbstzerstörerisches System, das einer inneren Logik folgt. Solange du diese Logik nicht verstehst, kämpfst du blind.

Du hast im letzten Teil deine Rolle vom Retter zum Forscher gewechselt und dein Notizbuch zur Hand genommen. Heute lernst du das wichtigste Werkzeug eines jeden Forschers kennen: die Funktionsanalyse. Von Therapeuten auch „Road Map“ (Straßenkarte) der Sucht genannt. Das ist der Moment, in dem du aufhörst, gegen das Monster zu kämpfen, und anfängst, seinen Bauplan zu lesen.

Die Funktionsanalyse ist kein kaltes, klinisches Instrument. Es ist ein Akt der tiefsten Empathie. Du versuchst zu verstehen, warum die Droge eine so mächtige Funktion im Leben deines Lieblings eingenommen hat. Dieses Verständnis ist keine Entschuldigung für sein Verhalten. Es ist deine Munition, um es zu verändern.

📊 Die Fakten in Zahlen: Das A-B-C der Verhaltenswissenschaft

Die Funktionsanalyse ist keine Erfindung der Suchttherapie, sondern ein Kernwerkzeug der Verhaltenstherapie. Sie basiert auf dem einfachen A-B-C-Modell:

  • A – Antecedent (Auslöser / Trigger): Was passiert unmittelbar vor dem Verhalten? Das kann ein externer Reiz sein (ein Ort, eine Person) oder ein interner Zustand (ein Gefühl, ein Gedanke).
  • B – Behavior (Verhalten): Das beobachtbare Verhalten selbst – in unserem Fall der Substanzkonsum.
  • C – Consequence (Konsequenz): Was passiert unmittelbar nach dem Verhalten? Hier unterscheidet man zwischen kurzfristigen, oft positiven Konsequenzen (Belohnung, z.B. Stressabbau) und langfristigen, negativen Konsequenzen (z.B. Kater, Streit).
  • Der springende Punkt: Verhalten wird nicht durch die langfristigen negativen Konsequenzen gesteuert, sondern durch die kurzfristigen positiven. Die Funktionsanalyse deckt genau diese belohnenden Effekte auf.

Hör auf, auf das „Was“ (den Konsum) zu starren. Die Funktionsanalyse zwingt dich, das „Warum“ (die Funktion) zu verstehen. Und wer das „Warum“ kennt, hat den Schlüssel zum „Wie“ der Veränderung in der Hand.

🔬 Wissenschaft: Warum dein Gehirn Muster liebt (auch schlechte)

Suchtverhalten ist kein Zeichen von Willensschwäche, sondern ein tief erlerntes Muster im Gehirn, das durch die Funktionsanalyse sichtbar wird:

  • Neuronale Autobahnen: Jedes Mal, wenn ein Auslöser (Stress) zum Verhalten (Konsum) und zur Belohnung (Entspannung) führt, wird eine neuronale Verbindung im Gehirn gestärkt. Mit der Zeit wird diese Verbindung zu einer „neuronalen Autobahn“ – einer automatischen, unbewussten Reaktion.
  • Das Belohnungssystem (Dopamin): Die kurzfristige positive Konsequenz (z.B. Linderung von Angst, Euphorie) flutet das Gehirn mit Dopamin. Das Gehirn lernt: „Dieses Verhalten ist überlebenswichtig!“ Es verknüpft den Auslöser direkt mit dieser intensiven Belohnung.
  • Kontext-Abhängigkeit: Das Gehirn lernt nicht nur das Verhalten, sondern den gesamten Kontext. Bestimmte Orte, Personen oder Tageszeiten werden zu starken Triggern, die das Verlangen (Craving) automatisch auslösen. Die Funktionsanalyse deckt genau diese Kontextfaktoren auf.
Eine Person entschlüsselt mit der Funktionsanalyse die Landkarte der Sucht und erkennt Muster zwischen Auslöser, Verhalten und Belohnung.
Die Sucht ist kein undurchdringlicher Dschungel. Sie ist eine Landkarte. Lerne, sie zu lesen, und du findest den Weg hinaus.

Der Mindset-Shift: Die Droge ist nicht das Problem, sondern die Lösung

Das ist die vielleicht provokanteste, aber wichtigste Erkenntnis, die du aus der Funktionsanalyse ziehen wirst. Für den Süchtigen ist die Substanz in dem Moment des Konsums nicht das Problem. Sie ist seine vermeintliche Lösung für ein anderes, tieferliegendes Problem.

⚠️ Neelix-Analyse: Die Droge ist nicht das Problem, sie ist die (falsche) Lösung

Solange du die Droge als den einzigen Feind siehst, kämpfst du gegen ein Symptom. Die Funktionsanalyse zwingt dich, tiefer zu blicken.

  • Die Logik (CRAFT): CRAFT fragt nach der „Funktion“ des Konsums. Dient er dazu, Stress abzubauen? Soziale Ängste zu lindern? Langeweile zu vertreiben? Einsamkeit zu betäuben? Die Substanz ist nur das Werkzeug, um eine dieser Funktionen zu erfüllen.
  • Die Seele (Mindset & Soul Master): Jeder Mensch versucht, Schmerz zu vermeiden und Freude zu erlangen. Die Sucht ist eine primitive, aber effektive Strategie dafür. Deine Aufgabe ist es, mit Mitgefühl (nicht Mitleid!) zu erkennen, welches Problem dein Angehöriger mit der Droge zu „lösen“ versucht. Indem du dieses Bedürfnis verstehst, kannst du später helfen, gesündere Lösungsstrategien anzubieten. Du hörst auf, ihn für sein Werkzeug zu verurteilen, und fängst an, das Problem zu verstehen, für das er es benutzt.
  • Die Realität (Erfahrung): Ich habe nicht getrunken, weil ich Alkohol liebte. Ich habe getrunken, weil ich soziale Phobien hatte und nicht wusste, wie ich mit Menschen reden sollte (Problem). Alkohol war meine Lösung. Hätten meine Partner das verstanden, hätte sie nicht gesagt „Hör auf zu trinken!“, sondern vielleicht Wege gefunden, mein Selbstbewusstsein in nüchternen Situationen zu stärken. Sie hätten das Problem adressiert, nicht nur das Symptom.
Ein Angehöriger als Meisterdetektiv, der mit der Funktionsanalyse die verborgenen Verbindungen im System der Sucht untersucht.
Hör auf, der Ankläger zu sein. Werde zum Meisterdetektiv. Deine Aufgabe ist nicht zu verurteilen, sondern das Muster zu enthüllen.

Deine erste Funktionsanalyse: Eine Anleitung für Detektive

Du musst kein Psychologe sein, um dieses Werkzeug zu nutzen. Nimm dein Notizbuch aus Teil 2 und werde zum Detektiv. Wähle EINE typische Konsumsituation, die sich oft wiederholt.

🛡️ Dein Survival Kit: Die 3 Fragen des Meisterdetektivs

Nimm dein Notizbuch und wähle EINE typische Konsumsituation der letzten Woche. Beantworte diese drei Fragen so neutral wie möglich.

  1. Die Auslöser-Frage (A): Was genau geschah in der Stunde bevor der Konsum begann? Beschreibe die äußere Situation (Ort, Personen, Tageszeit) und versuche, seinen inneren Zustand zu erahnen (Gefühl: gestresst, gelangweilt, ängstlich? Gedanke: „Ich hab’s mir verdient“, „Mir ist alles egal“?).
  2. Die Verhaltens-Frage (B): Beschreibe das Verhalten selbst so sachlich wie möglich: Was wurde konsumiert? Wie viel? Über welchen Zeitraum?
  3. Die Konsequenz-Frage (C): Was geschah unmittelbar danach? Was war die kurzfristige, positive „Belohnung“ für IHN (Nicht für dich!)? Wurde er entspannter? Redseliger? Hat er sich zurückgezogen und hatte seine Ruhe? Sei brutal ehrlich. Finde den „Gewinn“.

Die Meisterfrage: Welches Problem hat die Substanz in genau diesem Moment für ihn gelöst?

🧠 Dein Trainingslager: Der erste Fall

Szenario: Es ist Freitagabend. Dein Partner hatte eine stressige Woche auf der Arbeit. Er kommt nach Hause, sagt kaum etwas, setzt sich vor den Fernseher und öffnet sich ein Bier nach dem anderen. Du weißt, dass es nicht bei zweien bleiben wird.

Frage: Wende die Funktionsanalyse an. Was ist der wahrscheinlichste Auslöser (A) und die wahrscheinlichste kurzfristige Belohnung (C) für sein Verhalten?

  • A) Auslöser: Er will dich provozieren. Belohnung: Er bekommt endlich Aufmerksamkeit durch einen Streit.
  • B) Auslöser: Arbeitsstress und das Gefühl, abschalten zu müssen. Belohnung: Das Bier entspannt ihn, betäubt die negativen Gedanken und schafft eine mentale Pause vom Stress.
  • C) Auslöser: Es ist einfach eine schlechte Angewohnheit. Belohnung: Es gibt keine wirkliche Belohnung, er tut es einfach.
Klicke hier für die Auflösung und Erklärung

Die richtige Antwort ist B.

Warum? In diesem Szenario ist der Arbeitsstress der klare interne Auslöser (A). Das Biertrinken (B) erfüllt die Funktion, diesen Stress zu lindern. Die kurzfristige Belohnung (C) ist also die erlebte Entspannung und das „Abschalten“. Das zu verstehen, ist entscheidend. Anstatt ihn für das Trinken zu kritisieren (was den Stress erhöht und den Kreislauf verstärkt), könntest du in Zukunft überlegen: „Welche gesunden Alternativen zum Stressabbau könnten wir etablieren?“ Du fängst an, über Lösungen nachzudenken, statt nur das Problem zu bekämpfen.

🤔 Ist das nicht total kalt und analytisch? Wo bleibt da die Liebe?

✅ Es fühlt sich vielleicht kalt an, ist aber ein Akt tiefen Verständnisses. Echte Liebe bedeutet, den anderen wirklich sehen zu wollen – mit seinen Mustern und Nöten. Indem du die Funktion verstehst, hörst du auf, die Person für ihr Verhalten zu verurteilen, und fängst an, das System zu erkennen, in dem sie gefangen ist. Das ist Empathie auf einer ganz neuen Ebene.

❤️ Was ist, wenn ich die Auslöser gar nicht kenne, weil er heimlich konsumiert?

✅ Das ist eine Herausforderung, aber nicht unmöglich. Du kannst trotzdem Muster erkennen. Achte auf Veränderungen in seiner Stimmung oder seinem Verhalten, auch wenn du den Konsum nicht direkt siehst. Ist er nach einem Streit plötzlich auffallend „entspannt“? Zieht er sich nach einem stressigen Telefonat immer zurück? Du bist ein Detektiv – du musst die Tat nicht sehen, um die Spuren zu lesen.

🧠 Warum soll ich mir über seine „Belohnungen“ Gedanken machen? Ich will, dass er die negativen Folgen sieht!

✅ Weil die kurzfristige Belohnung der Motor ist, der die Sucht am Laufen hält. Die negativen Folgen kennt er selbst am besten, aber sie sind zu weit weg. Wenn du verstehst, welche Belohnung er sucht (z.B. Entspannung), kannst du später lernen, ihm zu helfen, diese Belohnung auf einem gesünderen Weg zu finden. Das ist der Kern von CRAFT.

💪 Soll ich ihn mit meiner Analyse konfrontieren?

✅ Auf keinen Fall! Die Funktionsanalyse ist dein geheimes Werkzeug. Sie ist nur für dich. Sie dient dazu, DEIN Verständnis zu schärfen und DEINE Strategie zu planen. Eine Konfrontation damit würde nur zu Abwehr, Streit und noch mehr Lügen führen. Du arbeitest im Hintergrund, wie ein kluger Stratege.

😔 Was ist der Unterschied zwischen einem Auslöser und einer billigen Ausrede?

✅ Ein Auslöser ist ein wissenschaftlich neutraler Begriff für einen Reiz, der eine erlernte Reaktion hervorruft (Stress -> Verlangen). Eine Ausrede ist eine nachträgliche Rechtfertigung, um Verantwortung zu vermeiden („Ich habe getrunken, weil DU mich gestresst hast“). Die Funktionsanalyse beschäftigt sich mit den neutralen Auslösern, um das Muster zu verstehen, nicht um die Ausreden zu akzeptieren.

📖 Lesetipp zur Vertiefung

Soul Master: Wie du deine Seelenkräfte entfesselst

von Maxim Mankevich

Maxim Mankevich liefert mit „Soul Master“ keine schnelle Lösung, sondern eine tiefgehende Anleitung zur Meisterschaft über das eigene Leben. Es geht darum, aus der Opferrolle auszubrechen und zu erkennen, dass du der Schöpfer deiner Realität bist – auch und gerade dann, wenn die äußeren Umstände chaotisch sind. Dieses Buch ist die perfekte Ergänzung zur strategischen CRAFT-Methode, da es das nötige seelische Fundament für deine innere Stärke und Selbstbestimmung legt.

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NeelixberliN Fazit

Hände entwirren geduldig einen chaotischen Wollknäuel. Symbol für das Verstehen der Sucht durch die Funktionsanalyse.
Im Herzen des Chaos verbirgt sich eine einfache Logik. Deine Aufgabe ist es, geduldig den Faden zu finden, der alles zusammenhält.

Jahrelang habe ich selbst nicht verstanden, warum ich konsumiere. Ich dachte, ich sei einfach kaputt. Meine Partner sahen nur das Chaos, den Schmerz, die Zerstörung. Wir haben beide gegen ein Phantom gekämpft, weil wir seine Regeln nicht kannten.

Die Funktionsanalyse ist der Moment, in dem du das Licht anknipst. Plötzlich siehst du die Verbindungen. Du siehst, dass der Streit am Morgen der direkte Auslöser für den Konsum am Abend ist. Du siehst, dass die Einsamkeit am Wochenende die Tür für die Droge öffnet. Du siehst, dass der Konsum ihm kurzfristig das Gefühl von Stärke gibt, das er im Job nicht findet.

Dieses Wissen ist am Anfang schmerzhaft. Aber es ist der erste Tag deiner wahren Handlungsfähigkeit. Du kämpfst nicht mehr gegen einen unsichtbaren Dämon. Du beginnst, ein System mit klaren Regeln zu verstehen.

Und ein System, das man versteht, kann man verändern.

Im nächsten Teil nutzen wir dieses neue Wissen und lernen das mächtigste Werkzeug der Verhaltensänderung kennen: Wie du erwünschtes Verhalten belohnst, anstatt nur unerwünschtes zu bestrafen.


Quellen & Referenzen:

  • Smith, J. E., & Meyers, R. J. (2023). The CRAFT Treatment Manual for Substance Use Problems: Working with Family Members. The Guilford Press.
  • Mankevich, Maxim. Soul Master: Maximiere dein Leben.

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Über Gabriel Maetz

NeelixberliN teilt hier seine persönliche und ungefilterte Erfahrung auf dem Weg aus der Sucht. Nach Jahren der Abhängigkeit, unter anderem von Polamidon, kämpft er sich Tag für Tag zurück ins Leben. Dieser Blog ist sein persönliches Logbuch, eine Hilfe für sich selbst und hoffentlich auch eine stütze für andere, die einen ähnlichen Kampf führen.

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