Ein Artikel aus der „Das CRAFT-Mindset-Manifest“-Serie von NeelixberliN
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Trigger-Warnung: Dieser Artikel wird dich auffordern, positives Verhalten zu belohnen, das du eigentlich für selbstverständlich hältst. Das kann sich anfangs falsch und ungerecht anfühlen, ist aber ein fundamentaler Schlüssel zur Verhaltensänderung.
Meine Angehörige war eine Meisterin darin, meine Fehler zu finden. Das meine ich nicht als Vorwurf, es ist eine simple Tatsache. Jeder Rückfall, jede Lüge, jede verpasste Verabredung wurde registriert, analysiert und diskutiert. Sie war die unermüdliche Polizistin meiner Sucht.
Aber die seltenen Momente, in denen ich es schaffte, einen Nachmittag lang nüchtern zu sein? Die Momente, in denen ich tatsächlich aufgeräumt oder mich um etwas gekümmert habe? Die zogen meist spurlos an ihr vorbei. Oder, schlimmer noch, sie wurden mit Misstrauen quittiert: „Na, wie lange hält das wohl an?“
Ihr Fokus lag, wie bei den meisten Angehörigen, zu 100 % auf dem Problemverhalten. Ihre Energie floss vollständig in das, was sie NICHT wollte. Was sie aber wollte – Momente der Normalität, der Nüchternheit, der Verbundenheit – bekam keine Energie. Keinen Dünger. Kein Licht.
Willkommen bei der vielleicht größten Umstellung im CRAFT-Mindset: Du hörst auf, nur das Unkraut zu bekämpfen. Du fängst an, die winzigen, unscheinbaren Blümchen zu gießen, die daneben wachsen. Das ist die Revolution der positiven Verstärkung.
📊 Die Fakten in Zahlen: Die Macht der positiven Verstärkung
Positive Verstärkung ist das Kernprinzip der Verhaltenspsychologie und weitaus mächtiger als Bestrafung. Die Wissenschaft dahinter ist eindeutig:
- Was ist Positive Verstärkung? Es ist ein simpler Mechanismus: Wenn auf ein Verhalten eine angenehme Konsequenz (eine Belohnung) folgt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Verhalten in Zukunft wiederholt wird.
- Warum ist es stärker als Bestrafung? Bestrafung (Kritik, Streit, Vorwürfe) führt oft nur dazu, dass das unerwünschte Verhalten unterdrückt, versteckt oder vermieden wird. Es lehrt kein neues, erwünschtes Verhalten. Positive Verstärkung hingegen baut aktiv neues, erwünschtes Verhalten auf.
- Die CRAFT-Studien belegen: Ein zentraler Bestandteil des Erfolgs der Methode ist, dass Angehörige lernen, konsequent nüchterne Phasen und pro-soziales Verhalten zu „belohnen“. Dies schwächt die Anziehungskraft der Sucht und stärkt die Motivation für ein nüchternes Leben.
- Kleine Belohnungen, große Wirkung: Es geht nicht um teure Geschenke. Soziale Verstärker (ein Lächeln, ein ehrliches Kompliment, ungeteilte Aufmerksamkeit) sind oft die wirksamsten, da sie das menschliche Grundbedürfnis nach Anerkennung und Zugehörigkeit erfüllen.
Hör auf, nur die Dunkelheit zu verfluchen. Fang an, jedes noch so kleine Licht anzuknipsen und zu feiern. Denn was du mit deiner Aufmerksamkeit nährst, wird wachsen. Das ist kein esoterisches Gesetz, das ist knallharte Verhaltenspsychologie.
🔬 Wissenschaft: Du kämpfst um sein Dopamin
Sucht ist auf neurobiologischer Ebene ein gekapertes Belohnungssystem. Du kannst lernen, es zurückzuerobern.
- Der Dopamin-Highway der Droge: Drogen und Alkohol fluten das Gehirn mit einer unnatürlich hohen Dosis Dopamin, dem „Glückshormon“. Das Gehirn lernt schnell: „Diese Substanz ist der schnellste und zuverlässigste Weg zu einer massiven Belohnung.“
- Die Abwertung natürlicher Belohnungen: Durch die ständige Überflutung stumpft das Gehirn ab. Normale Freuden des Lebens (ein gutes Gespräch, ein Spaziergang, ein Hobby) produzieren im Vergleich dazu nur noch ein Rinnsal an Dopamin und fühlen sich langweilig und bedeutungslos an.
- Deine Mission – Neue Dopamin-Pfade bauen: Jede positive Verstärkung, die du für nüchternes Verhalten gibst, ist der Versuch, einen neuen, kleinen „Dopamin-Pfad“ im Gehirn deines Angehörigen anzulegen. Ein ehrliches Lachen, ein Gefühl der Verbundenheit, ein Moment des Stolzes – all das schüttet Dopamin aus.
- Der Wettkampf: Du trittst in einen direkten Wettstreit mit der Droge. Am Anfang ist deine kleine, natürliche Belohnung kein Vergleich zum Rausch. Aber durch ständige Wiederholung stärkst du die gesunden Pfade und zeigst dem Gehirn langsam aber sicher: „Hey, es gibt auch andere Wege, sich gut zu fühlen.“

Der Mindset-Shift: Vom Sucht-Polizisten zum Oasen-Gärtner
Bisher war dein Job, ihn zu kontrollieren, zu überführen, zu maßregeln. Du warst die Polizei. Dieser Job ist nicht nur undankbar, er ist auch extrem ineffektiv. Das CRAFT-Mindset gibt dir eine neue Berufsbezeichnung: Du bist jetzt ein Gärtner.
⚠️ Neelix-Analyse: Tausche die Handschellen gegen die Gießkanne
Dein alter Job war es, Verbrechen aufzudecken. Dein neuer Job ist es, Wachstum zu fördern. Das erfordert einen radikalen Wechsel deiner inneren Haltung.
- Die Logik (CRAFT): Positive Verstärkung bedeutet, aktiv nach Gelegenheiten zu suchen, um nüchternes Verhalten oder jeden kleinen Schritt in die richtige Richtung zu bemerken und positiv darauf zu reagieren. Du scannst die Realität nicht mehr nach Fehlern, sondern nach Erfolgen, egal wie winzig sie sind.
- Die Seele (Mindset & Soul Master): Das ist das Gesetz des Fokus in Reinform. Worauf du deine Energie richtest, das wächst. Als Sucht-Polizist hast du mit deiner Energie unbewusst die Sucht genährt, weil sie im Zentrum deiner Aufmerksamkeit stand. Als Oasen-Gärtner richtest du deine Energie bewusst auf die kleinsten Anzeichen von Leben und Gesundheit. Du entscheidest dich, das Potenzial zu sehen, nicht nur das Problem. Du wirst zum Meister deines Fokus und damit zum Mitschöpfer einer neuen Realität.
- Die Realität (Erfahrung): Wenn ich high war, bekam ich Aufmerksamkeit – meist negative, aber es war Aufmerksamkeit. Wenn ich mal ein paar Stunden clean war, herrschte oft angespannte Stille. Mein Gehirn lernte unbewusst: „Konsum führt zu Interaktion, Nüchternheit führt zu Leere.“ Hätte meine Angehörige diese seltenen, nüchternen Stunden mit einer kleinen, positiven Geste „belohnt“ – einem gemeinsamen Tee, einer kurzen Frage zu meinem Tag, einem Lächeln – hätte sie diesen Kreislauf durchbrochen.

Deine erste Gärtner-Mission: Das Belohnungs-Menü
Wie fängst du an, wenn alles wie eine Wüste aussieht? Du suchst nach dem winzigsten grünen Halm. Und du überlegst dir, welchen Dünger du zur Hand hast.
🛡️ Dein Survival Kit: Die 3 Schritte zur Zuckerbrot-Revolution
Positive Verstärkung muss geplant und gezielt sein. Führe diese 3 Schritte aus, um zu beginnen.
- Schritt 1: Finde die „Nüchternheits-Fenster“. Identifiziere die Momente, in denen dein Angehöriger am wahrscheinlichsten nüchtern ist, auch wenn es nur für kurze Zeit ist. Direkt nach dem Aufwachen? Vor der Arbeit? Die halbe Stunde zwischen Nachhausekommen und dem ersten Konsum? Das sind deine Angriffs-Punkte.
- Schritt 2: Erstelle dein „Belohnungs-Menü“. Schreibe eine Liste von kleinen, kostenlosen, einfachen Dingen, die dein Angehöriger mag. WICHTIG: Dinge, die ER mag, nicht du! Beispiele:
- Ein ehrliches Kompliment („Das hast du gut gemacht.“)
- Deine ungeteilte Aufmerksamkeit für 5 Minuten (Handy weg!)
- Eine kleine Berührung (Hand auf die Schulter)
- Ihm seinen Lieblingstee kochen
- Fragen, ob ihr 10 Minuten seiner Lieblingsserie schaut
- Schritt 3: Deine Mission für die Woche. Wähle EINE Belohnung aus deinem Menü. Deine Mission ist es, in den nächsten sieben Tagen EINE Gelegenheit zu finden, in einem „Nüchternheits-Fenster“ diese Belohnung gezielt einzusetzen. Erwarte nichts. Beobachte nur, was es mit DIR macht, den Fokus zu wechseln.
🧠 Dein Trainingslager: Der Gärtner-Test
Szenario: Dein Partner kommt nach Hause. Er ist seit dem Morgen nüchtern (ein seltenes Ereignis!) und räumt von sich aus die Spülmaschine aus.
Frage: Was ist die effektivste Reaktion nach den Prinzipien der positiven Verstärkung?
- A) Nichts sagen. Es ist selbstverständlich, dass er im Haushalt hilft. Man belohnt niemanden für Normalität.
- B) Sagen: „Wow, danke! Das ist eine riesige Hilfe für mich. Ich mache uns schnell einen Kaffee, setz dich einen Moment.“
- C) Sagen: „Schön, dass du auch mal was tust. Wenn das jetzt immer so wäre, hätten wir weniger Probleme.“
Klicke hier für die Auflösung und Erklärung
✅ Die richtige Antwort ist B.
Warum? A ist eine verpasste Chance. C ist eine Katastrophe – es verpackt ein Kompliment in einen Vorwurf und bestraft das gute Verhalten sofort wieder. Nur Antwort B ist pure positive Verstärkung: Du benennst das erwünschte Verhalten konkret („danke, das ist eine Hilfe“), sprichst ein ehrliches Kompliment aus und verbindest es sofort mit einer kleinen, sozialen Belohnung (gemeinsamer Kaffee). Du düngst damit nicht nur das „Spülmaschine ausräumen“, sondern vor allem das „nüchtern nach Hause kommen“.
🤔 Soll ich ihn jetzt für normales Verhalten wie Händewaschen belohnen? Das ist doch absurd!
✅ Es geht nicht darum, Selbstverständlichkeiten zu feiern. Es geht darum, gezielt Verhalten zu verstärken, das eine gesunde Alternative zum Konsum darstellt. Wenn er statt zum Joint zu greifen, 10 Minuten mit dir redet, ist das nicht „normal“ – es ist ein riesiger Schritt. Du belohnst nicht das Reden an sich, sondern die Entscheidung GEGEN den Konsum.
❤️ Was ist, wenn er die Belohnung annimmt und 10 Minuten später trotzdem konsumiert?
✅ Das wird passieren. Wichtig ist: Die Belohnung war für den nüchternen Moment davor. Dieser Moment war real und wurde verstärkt. Sein späterer Konsum ist eine andere Situation, die andere Werkzeuge erfordert (dazu kommen wir in späteren Kapiteln). Trenne die Momente. Gib die Belohnung ohne Erwartung an die Zukunft. Du düngst den Samen, du kannst nicht die ganze Ernte kontrollieren.
🧠 Fühlt sich das nicht wie Bestechung oder Hundetraining an?
✅ Es fühlt sich nur so an, weil eure Beziehung so sehr von Negativität geprägt ist, dass eine positive Geste unnatürlich wirkt. In Wahrheit ist positive Verstärkung die Grundlage JEDER gesunden Beziehung. Wir alle wiederholen Verhalten, für das wir Anerkennung und Wertschätzung bekommen. Du bringst eurer Beziehung nur wieder bei, was sie verlernt hat.
💪 Ich habe aber keine Lust, nett zu sein, wenn ich innerlich wütend bin!
✅ Musst du auch nicht. Positive Verstärkung ist eine strategische Entscheidung, keine emotionale Pflicht. Wenn du zu wütend bist, ist es besser, nichts zu tun, als eine unehrliche, passive-aggressive „Belohnung“ zu geben. Wähle deine Momente weise. Authentizität ist entscheidend. Beginne mit den kleinen Dingen, die dir leichtfallen.
😔 Was, wenn es einfach GAR KEINE positiven Momente gibt, die ich belohnen könnte?
✅ Das ist ein schmerzhafter Gedanke, aber oft eine Frage der Wahrnehmung. Fange winzig an. Hat er heute Morgen „Guten Morgen“ gesagt? Hat er seine Tasse weggeräumt? Hat er 5 Minuten ruhig auf dem Sofa gesessen, ohne zu konsumieren? Dein Gärtner-Job ist es, den kleinsten, unscheinbarsten grünen Halm in der Wüste zu finden und zu gießen. Wenn du suchst, findest du ihn.
Lesetipp zur Vertiefung
Titel: Den Suchtkreislauf durchbrechen: Hilfen für Kinder aus suchtbelasteten Lebensgemeinschaften
Autor: Frank Lindemann (Herausgeber)
Warum dieses Buch? Auch wenn sich dieses Buch primär an Kinder richtet, ist es ein unschätzbarer Schatz für JEDEN Angehörigen. Es zeigt schonungslos die transgenerationalen Wunden auf, die Sucht hinterlässt. Es zu lesen ist ein kraftvoller Motivator, denn es macht klar: Dein Handeln heute entscheidet nicht nur über dein Leben, sondern auch über das emotionale Erbe der nächsten Generation.
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NeelixberliN Fazit

Ich werde nie den Tag vergessen, als ich es schaffte, 24 Stunden clean zu bleiben. Ich erwartete nichts. Vielleicht sogar Misstrauen. Stattdessen kam meine Angehörige am Abend zu mir und sagte nur: „Hey. Ich wollte dir nur sagen, es war heute wirklich schön, einfach nur mit DIR zu reden. Ich habe deine Stimme vermisst.“ Sie sagte nichts über Drogen, nichts über die Zukunft. Sie belohnte einfach nur den Moment der Verbindung.
Dieser eine Satz wog mehr als hundert Moralpredigten. Er hat mir nicht die Sucht genommen. Aber er hat mir etwas gezeigt, das die Sucht mir nicht geben konnte: das Gefühl, als Mensch gesehen und geschätzt zu werden. Es war ein winziger Vorgeschmack auf ein Leben, für das es sich lohnen könnte, zu kämpfen.
Hör auf zu denken, du müsstest riesige Hebel bewegen. Deine Macht liegt in den kleinen Dingen. Ein Lächeln zur richtigen Zeit. Ein ehrliches Kompliment. Ein geteilter Moment der Ruhe. Du belohnst damit nicht die Sucht. Du belohnst den Menschen dahinter. Und du erinnerst ihn daran, dass es ihn noch gibt.
Im nächsten Teil gehen wir einen Schritt weiter und erstellen eine Landkarte für diese positiven Momente: Wir nutzen die Funktionsanalyse für nüchternes Verhalten, um gezielt Oasen zu schaffen, wo heute noch Wüste ist.
Quellen & Referenzen:
- Smith, J. E., & Meyers, R. J. (2023). The CRAFT Treatment Manual for Substance Use Problems: Working with Family Members.
- Mankevich, Maxim. Soul Master: Maximiere dein Leben.
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