Umfassendes Drogenlexikon von NeelixberliN – Wissenschaftlich fundiert, ehrlich und aktuell
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Hey Du, du hörst Stimmen. Du bist dir absolut sicher, dass die Nachbarn dich durch die Wände beobachten. Dein Herz rast, du fühlst dich verfolgt. Jeder Schatten ist eine Bedrohung, jedes Geräusch ein geheimes Zeichen. Ist das die Realität oder der Absturz?
Willkommen in der Amphetaminpsychose. Es ist eine der furchtbarsten und einsamsten Erfahrungen, die man durch Drogen machen kann – ein temporärer Trip in den Wahnsinn, der sich erschreckend und absolut real anfühlt. Lass uns beleuchten, was dabei in deinem Gehirn passiert und was im Notfall zu tun ist.
🤯 Was ist eine Amphetaminpsychose?
Eine Amphetaminpsychose ist eine substanzinduzierte psychotische Störung, ausgelöst durch den Konsum von Stimulanzien. Sie tritt vor allem bei hohen Dosen oder chronischem Gebrauch von Amphetamin (Speed) und besonders intensiv bei Methamphetamin (Crystal Meth) auf.
- Das Krasse daran: Die Symptome sind klinisch kaum von einer akuten paranoiden Schizophrenie zu unterscheiden. Für Ärzte im Notdienst ist es oft unmöglich zu sagen, ob die Person eine drogeninduzierte oder eine endogene (krankheitsbedingte) Psychose erlebt.
- Die Ursache: Amphetamine fluten dein Gehirn mit dem Neurotransmitter Dopamin. Ein extrem überaktives Dopamin-System, insbesondere im mesolimbischen Pfad, gilt als eine der neurobiologischen Hauptursachen für die Positivsymptome von Schizophrenie (Wahn, Halluzinationen). Du versetzt dein Gehirn also chemisch gezielt in den Zustand einer schweren psychischen Krankheit.
🧠 Dopamin-Hypothese: Das Gehirn im „Schizophrenie-Modus“
Die Ähnlichkeit der Symptome ist kein Zufall. Die Amphetaminpsychose ist der beste „lebende Beweis“ für die Dopamin-Hypothese der Schizophrenie. Diese besagt vereinfacht:
- Der mesolimbische Pfad: Ein Überschuss an Dopamin in diesem Hirnpfad wird für die „Positivsymptome“ wie Wahn und Halluzinationen verantwortlich gemacht. Amphetamin bewirkt genau das: eine massive, unkontrollierte Dopamin-Freisetzung in diesem Areal.
- „Salienz“-Fehler: Dopamin ist dafür zuständig, wichtigen Reizen eine Bedeutung („Salienz“) zuzuweisen. Im Dopamin-Überschuss wird ALLES bedeutsam. Ein zufälliges Geräusch wird zum geheimen Signal, ein neutraler Blick zur Bedrohung. Das Gehirn verliert die Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen.
- Verlust der Realitätsprüfung: Der präfrontale Kortex, zuständig für logisches Denken und Realitätsprüfung, wird durch das Dopamin-Chaos quasi überstimmt. Er versucht, die fehlerhaften Signale aus dem limbischen System zu einem (paranoiden) Weltbild zusammenzusetzen.
Die Symptome: Von „Speed-Pickern“ bis zum Verfolgungswahn
Die Anzeichen einer Amphetaminpsychose sind vielfältig und extrem belastend. Sie fühlen sich für die betroffene Person absolut real an.
- Paranoider Wahn: Die felsenfest Überzeugung, verfolgt, beobachtet, abgehört oder bedroht zu werden. Man interpretiert neutrale Ereignisse (ein lachender Passant, ein Auto, das vorbeifährt) als Teil einer Verschwörung gegen sich.
- Akustische Halluzinationen: Das Hören von Stimmen ist sehr häufig. Oft sind es dialogisierende oder kommentierende Stimmen, die die eigenen Handlungen bewerten, beleidigen oder Befehle geben.
- Taktile Halluzinationen: Das Gefühl, dass Insekten, Käfer oder Würmer auf oder unter der Haut krabbeln (medizinisch: Dermatozoenwahn). Dies führt oft zu zwanghaftem Kratzen und „picken“ der Haut, was zu schweren Hautverletzungen führen kann („Speed-Picker“).
- Gedankenchaos & „Punding“: Die Gedanken rasen, springen, werden zusammenhanglos. Dies kann sich in Stereotypien („Punding“) äußern: zwanghaftes, stundenlanges Wiederholen sinnloser, detailorientierter Tätigkeiten (z.B. das Zerlegen und Zusammensetzen eines Radios).

🚀 Die Auslöser: Wie der Rausch zum Horror-Trip wird
Nicht jeder Konsum führt sofort in die Psychose. Es sind meist mehrere Faktoren, die zusammenkommen und das Fass zum Überlaufen bringen.
- Hohe Dosen & Chronischer Konsum: Je mehr und je öfter, desto höher das Risiko.
- Schlafmangel: Der größte Brandbeschleuniger! Tagelanges Wachbleiben auf Drogen ist das sicherste Rezept für eine Psychose. Ohne Schlaf kann sich das Gehirn nicht regenerieren, was die psychotischen Symptome quasi garantiert.
- Methamphetamin (Crystal Meth): Ist deutlich potenter und neurotoxischer als Amphetamin. Das Psychose-Risiko ist hier signifikant höher und der Eintritt schneller.
- Genetische Veranlagung: Menschen mit einer familiären Vorbelastung für Schizophrenie oder bipolare Störungen haben ein deutlich erhöhtes Risiko.
😴 Schlafentzug: Der Brandbeschleuniger für die Psychose
Tagelanges Wachbleiben ist der mit Abstand größte Risikofaktor für das Auslösen einer Amphetaminpsychose. Schlaf ist für das Gehirn keine Option, sondern überlebenswichtig.
- Gestörte „Müllabfuhr“: Während des Schlafs reinigt das glymphatische System das Gehirn von Stoffwechselabfällen. Fällt dieser Prozess aus, sammeln sich „Giftstoffe“ an, die die neuronale Funktion stören.
- Enthemmte Amygdala: Ohne Schlaf wird die Amygdala (das Angstzentrum) hyperaktiv und reagiert auf neutrale Reize mit Angst und Paranoia.
- Offline-Verstand: Der für logisches Denken zuständige präfrontale Kortex wird durch Schlafentzug stark beeinträchtigt. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Realitätsprüfung bricht zusammen.
Die Kombination aus Dopamin-Flut (durch Speed) und einem nicht regenerierten Gehirn (durch Schlafentzug) macht eine psychotische Entgleisung fast unvermeidbar.
🧪 Die Gefahr im Gestreckten: Was wirklich in deinem Speed ist
Straßenspeed ist so gut wie nie reines Amphetamin. Die beigemischten Streckmittel sind keine harmlosen Füllstoffe, sondern können eine Psychose aktiv verschlimmern.
- Koffein: Das häufigste Streckmittel. Es wirkt ebenfalls als Stimulans, erhöht aber vor allem die körperlichen Angstsymptome wie Herzrasen, Zittern und innere Unruhe. Diese körperliche Panik liefert dem paranoiden Gehirn den „Beweis“, dass die Bedrohung real ist.
- Synthetische Cathinone („Badesalze“): Manchmal werden statt Amphetamin diese unberechenbaren Research Chemicals beigemischt. Viele Cathinone haben ein noch höheres psychotisches Potenzial als klassisches Speed.
- Unbekannter Cocktail: Die Kombination der Hauptsubstanz mit unbekannten Streckmitteln erzeugt eine unkalkulierbare neurochemische Wirkung. Symptome wie verschwommene Sicht oder Desorientierung können durch diesen Cocktail verstärkt werden und die Panik weiter anheizen.

🙏 Was tun im Notfall? Ein Guide für Betroffene & Freunde
Wenn du merkst, dass du oder ein Freund in eine Psychose abrutscht, ist schnelles und richtiges Handeln entscheidend.
Für dich als Betroffener:
- Konsum SOFORT stoppen! Jede weitere Dosis ist pures Gift für dein Gehirn.
- Realitätscheck: Versuche, dir wie ein Mantra zu sagen: „Es ist die Droge, es ist nicht real, es geht vorbei!“
- Reize reduzieren: Geh aus der lauten, hektischen Umgebung. Such dir einen ruhigen, sicheren Ort.
- Hilfe holen: Sprich mit einer vertrauenswürdigen, nüchternen Person. Wenn es schlimm wird, schäme dich nicht, den Notruf (112) oder den psychiatrischen Notdienst zu rufen.
Für dich als Freund / Ersthelfer:
- Ruhe bewahren: Deine Panik überträgt sich. Sprich ruhig, langsam und deutlich. Sei die beruhigende Präsenz.
- NICHT diskutieren: Streite niemals über den Inhalt des Wahns („Da sind keine Kameras!“). Das verstärkt die Angst und das Gefühl, dass dir niemand glaubt.
- Gefühle validieren: Validiere stattdessen das Gefühl, nicht den Inhalt. Sage: „Ich sehe, dass du gerade furchtbare Angst hast. Das muss schrecklich sein. Ich bin bei dir und wir sind hier sicher.“
- Sichere Umgebung schaffen: Reizarme, ruhige Umgebung. Helles, aber kein grelles Licht. Laute Musik aus, Fernseher aus. Biete Wasser an.
- Notruf 112 rufen: Wenn die Person eine Gefahr für sich (z.B. durch „Speed-picken“) oder andere wird, oder wenn die Angst und Panik eskalieren, zögere nicht, den Notruf zu wählen! Sag am Telefon klar, dass es sich um eine vermutete Drogenpsychose handelt.
Ausführliche FAQ
❓ Geht eine Amphetaminpsychose wieder weg?
✅ In den allermeisten Fällen ja. Nachdem der Konsum gestoppt wurde und der Körper (insbesondere durch Schlaf) regenerieren kann, klingen die akuten psychotischen Symptome meist innerhalb von einigen Tagen bis zu einer Woche wieder vollständig ab. In seltenen Fällen, oder bei Menschen mit einer entsprechenden Veranlagung, kann sie jedoch eine chronische, dauerhafte psychotische Erkrankung auslösen.
🤔 Ist eine Amphetaminpsychose das Gleiche wie Schizophrenie?
✅ Von den Symptomen her sind sie fast identisch (paranoider Wahn, Stimmen hören). Der entscheidende Unterschied ist die Ursache. Eine Amphetaminpsychose ist direkt durch die Substanz ausgelöst und verschwindet in der Regel nach dem Entzug wieder. Schizophrenie ist eine eigenständige, endogene psychische Erkrankung, die keine Droge als Auslöser benötigt (obwohl Drogenkonsum sie verschlimmern oder den Ausbruch begünstigen kann).
Single Kann man auch von nur einer Line Speed eine Psychose bekommen?
✅ Das ist extrem unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich, insbesondere bei Personen mit einer sehr hohen genetischen Veranlagung für Psychosen. Das Risiko steigt jedoch massiv mit der Dosis, der Dauer des Konsums und vor allem mit dem damit verbundenen Schlafmangel. Eine typische Amphetaminpsychose ist eher das Resultat von tagelangem „Wachmachen“ und hohen Dosen.

NeelixberliN Fazit: Ein Rausch, der dich den Verstand kosten kann
Eine Amphetaminpsychose ist eine der schrecklichsten und gefährlichsten Erfahrungen, die eine Droge auslösen kann. Meistens klingen die Symptome nach einigen Tagen Abstinenz und vor allem viel Schlaf wieder ab. Aber sie hinterlässt Spuren in der Seele und kann das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung nachhaltig erschüttern. In manchen Fällen kann sie sogar eine bis dahin schlummernde, dauerhafte psychotische Störung lostreten. Der Rausch ist dieses existenzielle Risiko niemals wert.
📚 Wissenschaftliche Quellen & Referenzen
Telefonseelsorge: 0800 / 111 0 111 (rund um die Uhr)
Fachliteratur zur Dopamin-Hypothese:
Laruelle, M. (2000). The role of dopamine in the pathophysiology of schizophrenia. Journal of Psychopharmacology. Ein klassischer Review-Artikel, der die Zusammenhänge erläutert.
Aktuelle Lehrbücher der Psychiatrie und Psychopharmakologie (z.B. Benkert & Hippius).
Forschung zu Schlafentzug & Psychose:
Waters, F., et al. (2018). The neurobiology of sleep-wake cycles and psychosis. Current Opinion in Psychiatry.
Drug-Checking & Harm Reduction Initiativen:
drugscouts.de (Leipzig): Bietet fundierte Informationen zu Substanzen, Wirkungen und Risiken.
saferparty.ch (Zürich): Veröffentlicht regelmäßig Warnungen zu hochdosierten oder unerwartet gestreckten Drogenproben.
Krisen-Hotlines & Notfall-Kontakte:
Notruf (bei akuter Gefahr): 112
Psychiatrischer Krisendienst / Sozialpsychiatrischer Dienst: In jeder größeren Stadt unter eigener Nummer erreichbar (z.B. in Berlin: (030) 390 63 – 10).