Recovery Tagebuch: 7 Tage Clean – Zwischen Teufeln und Engeln

Recovery Tagebuch: 7 Tage Clean – Zwischen Teufeln und Engeln

Trigger-Warnung: Dieser Artikel enthält detaillierte Beschreibungen von Drogenkonsum, Suizidgedanken und schweren gesundheitlichen Komplikationen. Wenn du selbst gerade kämpfst, lies bitte nicht allein und hab Notfallkontakte griffbereit.


Hallo an alle da draußen

Hallo Berlin, hallo Deutschland und hallo an den Rest der Welt. Es ist wieder so weit. Nach sehr langer Tagebuch-Pause und einem neuen Clean-Erfolg empfinde ich es wieder als richtig, nun auch die Tagebuch-Einträge und damit den eigentlich beliebtesten Teil auf der Webseite wieder aufleben zu lassen.

Stand heute: 7 Tage und 11 Stunden clean (steigend, wie ihr auf der Startseite sehen könnt).

Clean-Phasen seit dem letzten Tagebuch-Eintrag hatte ich zwar mehrere (bzw. mehrere Anläufe), aber es war leider nicht so gut umgesetzt wie in der neuen Woche. Und diesmal ist es endlich wieder anders in der hübschen Birne. Auch die Emotionen haben sich gut reguliert und ich fühle seit ca. 2 Tagen endlich wieder die Situation, lieber clean zu sein und es auch nicht gegen irgendeinen schnellen Rausch tauschen zu wollen.

Psychologischer Hintergrund: Die emotionale Regulation kehrt typischerweise nach 3-7 Tagen Abstinenz allmählich zurück, da sich die Neurotransmitter-Balance (besonders Dopamin und Serotonin) zu stabilisieren beginnt. Dies erklärt das „andere Gefühl in der Birne“ nach etwa einer Woche.


Der lange Weg hierher: 4 Monate Clean und der große Rückfall

Aber bis dahin musste natürlich wieder viel passieren. Im Großen und Ganzen konnte ich aber etwas für mich reflektieren.

Der erste kleine Rückfall, als ich das erste Mal in meinem Leben fast 4 Monate am Stück clean war (und teilweise nicht bemerkt hatte, dass ich es mit stundenlangem Arbeiten/Programmieren kompensiert hatte), war eigentlich der Anfang von einem riesengroßen und langen Rückfall.

Verhaltenssucht als Kompensation: Die Verlagerung von Substanzkonsum auf exzessive Arbeit ist ein bekanntes Phänomen in der Suchttherapie. Laut Studien entwickeln 40-60% der Menschen in Recovery kompensatorische Verhaltensweisen, da die zugrunde liegenden neurologischen Belohnungssysteme noch dysreguliert sind.

Die kleinen Phasen durch Klinik oder eigenständige Kraft waren eher kleine Pausen, um nicht sozusagen abzukratzen. Dabei gab es so viele Warnsignale, die mich hätten hindern sollen, wie zum Beispiel die diagnostizierten Hirnschläge durch den Konsum.

Medizinischer Hintergrund: Kokain und Amphetamine erhöhen das Schlaganfallrisiko um das 6-7fache, besonders bei wiederholtem Konsum. Die Substanzen verengen Blutgefäße und können zu Blutgerinnseln führen. Dass trotz solcher schwerwiegenden Warnsignale der Konsum fortgesetzt wird, illustriert die neurobiologische Natur der Suchterkrankung.

Aber genau solche Warnsignale oder unverständliche Gründe für Außenstehende (warum konsumiert er trotzdem weiter) sind ein guter Punkt, um an etwas anzusetzen.


Die Regeln und warum wir sie brachen

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4 Monate clean – dann der Rückfall: Wenn Warnsignale ignoriert werden

Bei meinem letzten Rückfall hatte ich viel Kontakt mit einem sehr guten Freund, den man schon aus meinen alten Tagebuch-Einträgen kennt. Wir hatten es gemeinsam eigentlich so gut unter Kontrolle:

  • Vorher telefonieren
  • Ist einer von beiden nicht clean: sofort auflegen
  • Ein paar Tage warten, um den anderen nicht anzustecken

Sozialer Ansteckungseffekt: Forschung zeigt, dass das Rückfallrisiko um 60-80% steigt, wenn enge Freunde oder Partner ebenfalls konsumieren. Das „Buddy-System“ mit klaren Regeln ist ein bewährter Schutzfaktor – aber nur wenn die Regeln auch eingehalten werden.

Aber diesmal hatten wir alle Regeln beiseitegeschoben und waren wieder jeden Tag drauf:

  • Kokain
  • Amphetamin
  • Pillen hier, Pillen da
  • Eine Prise Cannabis
  • Die tägliche Zusatzdosis Porter Bier

Was wir aber trotzdem hatten, waren sehr reflektierende Gespräche (nicht dieses übliche Drogengedöns, was meistens sonst nur unter Konsumenten stattfindet). Denn im Grunde wussten wir beide jederzeit: Wir wollen das nicht, aber schaffen es einfach nicht, die Bremse zu ziehen.


Das Paradox: Alles haben und trotzdem konsumieren

Da er ähnliche Lebenssituationen hat/hatte wie ich, kam ein ganz wichtiges Thema immer wieder auf. Ein Thema, welches für Angehörige völlig unverständlich ist und wir uns oft selbst nur mit Gründen (um es besser zu ertragen) erklären können.

Die Frage meines Freundes:

„Ich verstehe es nicht. Du hast eigentlich so viele Gründe, es nicht zu tun und clean zu bleiben:

  • Du hast Kinder, die du unbedingt wieder sehen möchtest
  • Du hast so viel im Kopf und kannst all diese Sachen bezüglich Programmieren
  • Du kannst dich perfekt ausdrücken und anderen helfen und sie unterstützen
  • Du hast eigentlich jemanden, den du liebst und der dich clean auch akzeptieren und unterstützen würde
  • Du könntest doch alles erreichen und haben – warum konsumierst du dann trotzdem?“

Meine Antwort – Der Kampf der zwei Teufel:

Ja, da hast du recht und das ist mir bewusst, aber ich suche mir nicht mehr wirklich aus, ob ich konsumieren will. Es gibt Situationen, da treffen zwei Teufel aufeinander und besiegen mich:

Teufel Nr. 1 greift auf meine Emotionen an:

  • Trauer
  • Wut
  • Ärger
  • Enttäuschung

Teufel Nr. 2 steht plötzlich vor mir:

  • In Form von alten Kontakten oder Freunden
  • Hält mir gleichzeitig die scheinbare Lösung in Form von Stoff vor die Nase

Neurobiologie der Sucht: Diese „zwei Teufel“ spiegeln reale Gehirnprozesse wider. Der emotionale Schmerz aktiviert das limbische System, während Suchtmittel-Trigger das Belohnungssystem „hijacken“. Studien zeigen, dass bei Suchterkrankten der präfrontale Kortex (Impulskontrolle) unter Stress deutlich schwächer wird, während primitive Überlebensmechanismen die Kontrolle übernehmen.

Sie fressen sich mit ihren Argumenten so sehr in mein Gehirn, dass ich dann wirklich denke: Ich muss es nun tun, um es zu ertragen und nicht auch noch ohne letzten guten Rausch / ohne noch einmal gut zu fühlen einfach so und clean / quälend zu sterben.

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Der Kampf der zwei Teufel: Emotionen vs. Verfügbarkeit – und die Logik verliert

Die Lüge der Isolation: „Sie sind ohne mich besser dran“

Und ja, ich habe Menschen, die mich lieben, sich um mich sorgen oder die ich eigentlich in meinem Leben haben will. Aber in solchen Momenten denke ich dann nur noch: Die sind ohne mich im Grunde besser dran.

Die Gedankenspirale:

  • Ich bin zu unzuverlässig
  • Ich schaffe es eh nicht
  • Ich werde immer wieder rückfällig werden oder daran zugrunde gehen
  • Sie müssen das nicht mitmachen und haben schon genug gelitten

Scham und Isolation: Dies ist ein klassisches Muster der Suchterkrankung. Scham führt zu Isolation, Isolation verstärkt die Sucht. Studien zeigen, dass soziale Verbindungen einer der stärksten Schutzfaktoren gegen Rückfälle sind – aber die Sucht überzeugt das Gehirn vom Gegenteil.

Der Teufelskreis der Familiengeschichte

Gleichzeitig reflektiere ich aber in diesem Moment auch meine eigene Situation: Mein Vater hatte sich im Konsum das Leben genommen, weil er auch dachte, er wird mich nie wieder sehen können.

Und ich, ja ich wünsche mir schon mein ganzes Leben, er hätte es nicht getan. Dass es mir egal gewesen wäre, ob er konsumiert, rückfällig ist usw., da ich noch so viele Fragen an ihn habe oder selbst jetzt im erwachsenen Alter einfach ab und zu einen Vater hätte.

Intergenerationale Traumaübertragung: Kinder von Eltern mit Suchterkrankungen haben ein 4-10fach erhöhtes Risiko, selbst eine Sucht zu entwickeln. Nicht nur genetisch, sondern auch durch erlernte Bewältigungsstrategien und unverarbeitete Traumata.

Doch dann kommt auch wieder hoch: Ich bin erwachsen, mein ältestes Kind ist halb so alt wie ich, und bis er mal an meinen Punkt kommt, bin ich vermutlich schon tot.

Wie man merkt, die Teufel greifen sofort ein, sobald auch nur ein Teil eines Engels in mir vernünftig denken will.


Der Unterschied: Clean vs. im Konsum

Aber wohlbemerkt: Wenn man erstmal wieder richtig dabei ist. Vorher, wenn man wie ich zuletzt mal 3-4 Monate geschafft hat, sind die Teufel (ich nenne es ja immer meinen Hyde) so klein, dass der Engel oder meine richtige Persönlichkeit auf jeden Fall die Möglichkeiten hat, etwas mehr zu steuern.

Ich war vermutlich auch schon wieder so clean, dass ich die schlechten Seiten so sehr verdrängt hatte, dass ich einfach mal wieder Lust auf eine Abwechslung und ein angeblich kurzes gutes Gefühl bekommen wollte.

Euphoric Recall: Das selektive Erinnern an positive Konsumerfahrungen bei gleichzeitigem Vergessen der negativen Konsequenzen ist ein gut dokumentiertes Phänomen. Das Gehirn „romantisiert“ vergangene Rauscherfahrungen, besonders nach längeren cleanen Phasen.


Die Arbeitssucht-Falle: Wenn Programmieren zur Flucht wird

Zum Punkt: „Du kannst so viel und kannst all diese Sachen usw.“

Ja, kann ich. Und bis zum letzten Konsum dachte ich anfangs sogar, ich bin dadurch noch besser, schaffe noch mehr usw. Aber das mag die ersten Tage funktioniert haben, letztendlich hat es aber ein totales Chaos geschaffen:

  • Viele Fehler produziert
  • Mich in so viele Arbeitsprozesse geführt, dass es schon war, als würde ich in meiner KI-Welt und unzähligen PHP, JS und CSS Codes leben

Der Programmier-Marathon:

Teilweise tagelang durch, mit max. 2-3 Stunden Ruhephasen:

  • Hardtec, Techno und weitere Beats mit Kopfhörern auf den Ohren
  • Programmiert, bis ich nur noch kyrillisch auf dem Bildschirm sehen konnte (kein Scherz)
  • Dann musste ich kurz Pause machen, weil ohne Augen keine Arbeit möglich

Stimulanzien und Hyperfokus: Kokain und Amphetamine können zunächst Konzentration und Leistung steigern, führen aber schnell zu kognitiver Erschöpfung, Realitätsverlust und gefährlicher Selbstüberschätzung. Die beschriebenen visuellen Störungen sind typische Symptome von Stimulanzien-Überdosierung.

Das Erwachen in der fremden Welt:

Wenn ich dann die Kopfhörer abgesetzt habe, die Finger von der Tastatur, völlige Stille und die heiße Sommersonne im Nacken – es war wie in einer völlig fremden Welt. Ich hatte alles ausgeblendet:

  • Alle Probleme
  • Alle körperlichen Beschwerden (von der Haltung, dem tagelangen Nicht-Essen usw.)
  • Der kurze Knast-Aufenthalt (wegen einer Maßnahme zur Zeugenaussage), der mich irgendwie ziemlich traumatisiert hatte
  • Die Ex, die mich mal wieder gehasst hatte und mit der es eigentlich wieder gut lief (irgendwie hänge ich da auch in einer Rückfall-Sucht drin, die mich immer wieder in neue substanzgebundene Rückfälle führt)
  • Die völlige Pleite
  • Der leere Kühlschrank (war ja egal, da eh kein Hunger)
  • Die vielen Nachrichten über WhatsApp und Social Media
  • Und vieles mehr

Dissoziative Bewältigung: Die komplette Ausblendung der Realität ist ein Schutzmechanismus des Gehirns bei Überforderung. Problematisch wird es, wenn dies zur Hauptbewältigungsstrategie wird und reale Probleme sich unbemerkt verschärfen.

Arbeitssucht Programmieren Code kyrillisch Techno Realitätsflucht KI PHP JS CSS Kopfhörer Probleme ausblenden
Flucht in die Code-Welt: 72h durchprogrammiert bis zur kyrillischen Sehstörung

Der Zusammenbruch: Wenn der Körper nicht mehr kann

Und dann sitzt du da:

  • Du willst nicht mehr
  • Du kannst nicht mehr
  • Denkst, bei jedem nächsten Schritt aufs Klo fällst du tot um

Die Lebensmittelvergiftung – Ein Weckruf:

Ich hatte sogar eine echt böse Lebensmittelvergiftung. Nach einer Woche nichts essen bekam ich so einen Pesto-Salat von einem Kumpel, der sich Sorgen machte, dass ich unbedingt mal was essen muss.

Zu Hause dachte ich dann noch: Irgendwie riecht der komisch, aber hey, deine Nase ist gerade nicht unbedingt die beste durch den ganzen Stoff, und du bildest es dir sicher nur ein.

Keine halbe Stunde später habe ich mir die letzte bisschen lebendige Seele aus dem Hals gereihert. Da aber nur dieses bisschen Salat in meinem Körper war, kam natürlich hauptsächlich nur Magensäure.

2 Tage Hölle:

Als ich es dann irgendwann völlig erschöpft ins Bett geschafft hatte:

  • Mega Schweißausbrüche
  • Fieber
  • Unglaubliche Schmerzen
  • 2 Tage habe ich es nicht aus diesem Bett geschafft
  • Bei jeder Drehung schmerzte mein Magen wie noch nie

Und trotzdem kam immer wieder die Erinnerung: Im Wohnzimmer auf dem Spiegel liegt auf jeden Fall noch Stoff. Sobald es dir besser geht, kannst du dich damit erholen – ist eh alles scheiße.

Sucht vs. Selbsterhaltung: Diese Episode zeigt dramatisch, wie die Sucht selbst lebensbedrohliche Situationen nutzt, um sich zu rechtfertigen. Das Gehirn interpretiert sogar körperliche Notfälle als „Grund zum Konsumieren“ – ein Zeichen für die schwere neurologische Dysregulation bei fortgeschrittener Suchterkrankung.

Ich wusste: Eigentlich musst du dringend ins Krankenhaus. Aber wer meinen Erfahrungsbericht zum letzten ansässigen Krankenhaus, dem Datenschutz-Teil und dem Oberarzt kennt, weiß, warum mich selbst der Sensenmann nicht mehr dorthin bringen kann.

 Zusammenbruch Sumo Ringer erdrücken Spiegel Stoff Ausweg Fieber Lebensmittelvergiftung Erschöpfung
Der Sumo-Ringer der Probleme: Wenn der Stoff als einziger Ausweg erscheint

Der Automatismus: Wenn Probleme zur Ausrede werden

Was dann in dem Moment des Erwachens in dir vorgeht – alle selbst aufgebauten Probleme, die plötzlich präsent sind – in meinem Fall überfordern sie dich dann so sehr.

Das Muster:

  • Ist dann auch noch restlicher Stoff da
  • Oder du hast wie ich die Möglichkeit, jederzeit auch kostenlos an welchen zu kommen
  • Dann greifst du völlig automatisiert zu

Die Rechtfertigung: Es ist scheinbar die Lösung, dich vor dem erdrückenden Gefühl zu retten. Als würde ein Sumo-Ringer auf dir liegen, deinen letzten Atemzug aus dir herausdrücken, und du musst es nur schaffen, nur einmal kurz die Nase (mit Stoff versteht sich) hochzuziehen, und er fliegt wie ein offener Luftballon von dir.

Negative Verstärkung: Dieser Mechanismus – Drogenkonsum zur Vermeidung von Schmerz statt zur Erzeugung von Lust – ist oft der stärkere Treiber bei chronischer Sucht. Das Gehirn lernt: „Probleme = Konsumieren löst sie (temporär)“.


Der Punkt des Zusammenbruchs: Wenn nichts mehr wirkt

Aber das geht nicht immer so. Denn irgendwann kommt der Punkt, der dann zuletzt bei mir kam:

  1. Erstens: All diese Probleme arbeiten natürlich trotzdem immer weiter in dir
  2. Zweitens: Irgendwann ist deine Toleranz so hoch – da bringt der fucking Stoff einfach nicht mehr

Du fragst dich nur noch: Warum ziehe ich eigentlich immer weiter, obwohl es überhaupt nichts mehr bringt?

Die letzten Tage vor dem Stopp:

  • Ich habe mich nur noch mit meinen KIs gestritten
  • Stundenlange Diskussionen über Programmierfehler geführt
  • War auch wieder kurz davor, in einem ähnlichen Zustand zu geraten wie bei meinem letzten Anfall, als ich mehrere Stunden weg gewesen war

Toleranzentwicklung und Anhedonie: Bei chronischem Stimulanzienkonsum entwickelt sich nicht nur körperliche Toleranz, sondern auch eine Unfähigkeit, Freude zu empfinden (Anhedonie). Paradoxerweise konsumiert man weiter, obwohl keine positive Wirkung mehr eintritt – rein aus neurochemischer Gewöhnung.


Der Ausstieg: Anderen helfen, um sich selbst zu retten

Ich tat noch ein letztes Mal, was ich am besten kann: Meinem Freund helfen, dass er in die Oberhavel-Kliniken entgiften kann (was er, nachdem ich 2 Tage clean war, zum Glück auch machen konnte, und wir jetzt für uns beide einen nötigen Abstand haben) und zog es mal wieder alleine durch (bis heute).

Klingt sicher auch unverständlich für viele, denn ich hätte den Platz genauso gebraucht.

Helfersyndrom in der Recovery: Anderen zu helfen kann ein starker Motivator für die eigene Genesung sein. Studien zeigen, dass Menschen in Recovery, die anderen helfen, höhere Abstinenzraten haben. Es vermittelt Sinn und Selbstwirksamkeit.


Arbeitssucht als Therapie? Ein zweischneidiges Schwert

Viele verstehen meine Arbeit auch nicht, und oft denke ich: Hättest du das mit der Arbeitssucht bloß nie bestätigt. Denn clean ist es nicht mehr so extrem, und ganz ehrlich: Ich gehe in dieser Arbeit auf.

Was die Arbeit für mich bedeutet:

  • Es ist nicht nur Arbeit für mich
  • Es ist Selbsthilfe
  • Es ist Therapie
  • Ich mache das alles hauptsächlich für mich (wie die KIs oder bestimmte Artikel, die ich genau in den Situationen erstelle, wo ich sie benötige oder hoffe, andere nutzen sie, um mich zu verstehen)

Der positive Nebeneffekt: Es ist nur ein unglaublich positiver Effekt, dass es so viele andere unterstützt oder dazu bewegt, sich professionelle Hilfe zu suchen.

Therapeutisches Schreiben: Expressive Schreibtherapie ist ein wissenschaftlich belegter Ansatz zur Traumaverarbeitung und emotionalen Regulation. Das Teilen der eigenen Geschichte kann sowohl dem Schreibenden als auch den Lesenden helfen.


Der Widerstand gegen professionelle Hilfe

Ich sehe ein, dass ich auch noch weitere persönliche / nicht digitale Schritte gehen muss, aber derzeit bin ich noch nicht so weit. Zu viele Dinge und Erfahrungen sträuben mich noch zu sehr, solchen Institutionen zu vertrauen.

Beispiel: Die gescheiterte Therapie

Die letzte Therapie fiel für mich zum Beispiel dann doch wieder aus dem Fokus:

  1. Wiederholte Bürokratie: Sie wollten wiederholt alles haben, was ich mit Sozialarbeitern schon alles eingereicht hatte
  2. Die 200-Euro-Kaution: Sie wollten 200 Euro Kaution von mir

Meine Sicht: Ein Volljunkie wie ich macht mit 200 Euro, die er mal so eben übrig hat, auf jeden Fall etwas anderes, als es dort als Kaution zu hinterlegen. Immerhin ist er ja gerade erst clean geworden und will deswegen zur Therapie (sprich: so gut hat er es noch nicht unter Kontrolle).

Systembarrieren: Ironischerweise können bürokratische Hürden und finanzielle Anforderungen in Therapieeinrichtungen Menschen abschrecken, die Hilfe am dringendsten benötigen. Dies ist ein bekanntes Problem im deutschen Suchthilfesystem.


Die Erfolgsfaktoren dieser 7 Tage: Warum es diesmal anders ist

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Das Support-Dreieck, das trägt: Ute, Selbsthilfegruppe und die NeelixberliN-Mission

Diese Woche aber hätte ich auf jeden Fall ohne einen wichtigen Punkt nicht geschafft: Meine gute Freundin und Mitarbeiterin Ute vom Lotsennetzwerk.

Ute – Die Brückenbauerin zwischen den Welten

Sie versteht mich immer aus beiden Seiten:

  • Die des Süchtigen
  • Die der Angehörigen

Gleichzeitig hat sie eine gute Fähigkeit, mich sanft zu reflektieren und mich bei eigenen Schritten und Denkweisen zu fördern. Ohne sie wäre ich vermutlich auch verhungert.

Therapeutische Beziehungen: Forschung zeigt, dass Menschen mit „doppelter Perspektive“ (eigene Suchterfahrung + professionelle Ausbildung) besonders effektive Unterstützer sein können. Sie können sowohl Empathie als auch professionelle Distanz bieten – eine seltene und wertvolle Kombination.

Das Problem mit anderen: Bei anderen um Hilfe fragen fällt mir unglaublich schwer, da so offen sein (wie ich es bei ihr kann) bei anderen cleanen Menschen nicht so verständlich angenommen wird wie bei ihr.

Scham und selektive Offenheit: Menschen in Recovery entwickeln oft ein feines Gespür dafür, wem sie sich anvertrauen können. Die Angst vor Verurteilung oder Missverständnis führt zu „selektiver Offenheit“ – ein Schutzmechanismus, der gleichzeitig isolieren kann.

Die Selbsthilfegruppe – Der sichere Raum

Zusätzlich meine Selbsthilfegruppe, wo ich genau so offen sein kann und ebenfalls positiv reflektiert oder kritisiert werde. Schmeckt nicht immer, hilft aber sehr, weil sie das alles im Grunde auch schon alle durchhaben und kennen.

Peer-Support-Wirkung: Studien belegen, dass Selbsthilfegruppen eine Abstinenzrate von 60-80% erreichen können. Der Schlüssel liegt in der „gemeinsamen Erfahrung“ – niemand muss erklären, wie sich Entzug anfühlt oder warum man trotz aller Vernunft konsumiert hat. Diese Erfahrungsgemeinschaft reduziert Scham und Isolation dramatisch.

Der größere Sinn: NeelixberliN als Lebensmission

Und mein unglaublicher Wille, dass ich es wirklich schaffen will, und andere davor bewahren möchte, den gleichen Zug in die Hölle zu wählen.

Denn ich hätte mir früher genau so etwas wie NeelixberliN gewünscht, und nun erstelle ich es eben selbst. Einer muss es ja mal machen.

Sinnfindung in der Recovery: Viktor Frankl’s Logotherapie zeigt, dass Sinnfindung einer der stärksten Motivatoren für Heilung ist. Menschen, die in ihrem Leiden einen größeren Zweck finden, haben signifikant höhere Genesungsraten. Das „Retter-Motiv“ kann jedoch auch gefährlich werden, wenn die eigene Recovery vernachlässigt wird.

Die tiefere Motivation: Wenn ich damit noch etwas Gutes im Leben hinterlassen kann, dann hat das alles oder mein Leben noch einen positiven Sinn ergeben.

Posttraumatisches Wachstum: Psychologen nennen dies „posttraumatisches Wachstum“ – die Fähigkeit, aus traumatischen Erfahrungen nicht nur zu heilen, sondern stärker und mit größerem Lebenssinn hervorzugehen. Studien zeigen, dass Menschen, die ihre Traumata in Hilfe für andere umwandeln, oft die stabilste langfristige Genesung haben.

Das Support-Dreieck, das funktioniert:

  1. Ute (Professionelle Unterstützung mit Verständnis) – Die sichere Basis
  2. Selbsthilfegruppe (Peer-Support) – Das Verstehen ohne Erklärung
  3. NeelixberliN-Mission (Sinnfindung) – Der größere Zweck

Soziales Unterstützungsnetzwerk: Diese drei Säulen bilden ein ideales Unterstützungsdreieck: professionelle Hilfe, Peer-Support und Sinnfindung. Forschung zeigt, dass Menschen mit mindestens zwei dieser drei Säulen eine Rückfallrate von unter 30% haben – verglichen mit 70-90% ohne solche Unterstützung.


Abschluss und Ausblick

Na gut, ich schweife ab und vermutlich mit vielen Punkten durcheinander. Für den ersten neuen Tagebuch-Eintrag reicht das vorerst auch.

Was kommt als Nächstes:

  • Ich werde jedenfalls wieder täglich berichten
  • Von den positiven Erfahrungen und Möglichkeiten berichten
  • Wie gewohnt offen und ehrlich bleiben (auch wenn das vielen nicht immer passt)

Schlusswort

Ich danke dir für deine Zeit mit meinem Artikel. Bleib sauber und schau mal wieder vorbei!

Dein NeelixberliN (Gabriel)


Hilfreiche Ressourcen

Wenn du oder jemand, den du kennst, Hilfe braucht:

  • Sucht & Drogen Hotline: 01806 313031 (24/7)
  • Telefonseelsorge: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 (kostenfrei, 24/7)
  • Online-Beratung: suchtberatung.digital
  • Notfall: 112

Für Angehörige und lokale Unterstützung:

  • DRK (Deutsches Rotes Kreuz): Suchtberatung und Angehörigengruppen vor Ort
  • Caritas: Bundesweit verfügbare Suchthilfe und Familienberatung
  • Diakonie: Christliche Suchthilfe mit niedrigschwelligen Angeboten
  • Paritätischer Wohlfahrtsverband: Selbsthilfegruppen-Koordination

Finde Hilfe in deiner Stadt:

Auf NeelixberliN bauen wir gerade einen umfassenden Städte-Bereich auf. Schau für deine Stadt nach, welche Unterstützungsmöglichkeiten es für deinen speziellen Fall gibt:

  • Selbsthilfegruppen (AA, NA, Kreuzbund, Blaues Kreuz)
  • Professionelle Therapie (ambulant, stationär)
  • Kliniken und Entgiftung (24/7 Notaufnahmen)
  • Spezielle Zielgruppen: Obdachlose, Schichtarbeiter, Hafenarbeiter, Studierende
  • Innovative Ansätze: Wie in Dortmund mit KI-unterstützter Therapie

Für jeden ist etwas dabei – von klassischen Ansätzen bis zu modernen, technologie-gestützten Therapieformen. Die lokale Suchtberatung kennt deine Stadt, deine Möglichkeiten und kann dir den Weg zeigen, der zu dir passt.


Dieser Artikel dient der Aufklärung und dem Erfahrungsaustausch. Er ersetzt keine professionelle medizinische oder psychologische Beratung.

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Über Gabriel Maetz

NeelixberliN teilt hier seine persönliche und ungefilterte Erfahrung auf dem Weg aus der Sucht. Nach Jahren der Abhängigkeit, unter anderem von Polamidon, kämpft er sich Tag für Tag zurück ins Leben. Dieser Blog ist sein persönliches Logbuch, eine Hilfe für sich selbst und hoffentlich auch eine stütze für andere, die einen ähnlichen Kampf führen.

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