Mischkonsum wird zum Hauptproblem – Bundesdrogenbeauftragter fordert flächendeckenden Ausbau der Hilfsangebote
Deutschland erlebt eine dramatische Zunahme drogenbedingter Todesfälle. 2023 registrierte das Bundeskriminalamt 2227 Drogentote – die höchste Zahl, die je in Deutschland dokumentiert wurde. Das entspricht einem Anstieg von zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr und einer Verdopplung im Vergleich zu vor zehn Jahren.
Mischkonsum als neues Hauptrisiko
Besonders alarmierend: Bei 1479 der Verstorbenen wurde Mischkonsum verschiedener illegaler Substanzen festgestellt – ein Anstieg von 34 Prozent gegenüber 2022. „Immer mehr Drogenkonsumenten nehmen verschiedene Drogen nebeneinander“, erklärt Bundesdrogenbeauftragter Burkhard Blienert.
Die Statistik zeigt einen besorgniserregenden Trend: Während Heroin mit 712 Fällen noch immer die häufigste todesursächliche Substanz bleibt, verzeichnen andere Drogen dramatische Anstiege:
- Kokain und Crack: 610 Todesfälle (Vorjahr: 507)
- Substitutionsmittel: 654 Fälle (Vorjahr: 528)
- Methamphetamin: 122 Fälle (Vorjahr: 47)
Dunkelziffer vermutlich höher
„Ich befürchte, dass es in der Realität noch mehr Drogentodesfälle gibt – wir haben viel zu wenige toxikologische Gutachten und Obduktionen“, warnt Blienert. Von den 2227 erfassten Todesfällen wurden nur 1167 obduziert und in lediglich 882 Fällen toxikologische Gutachten erstellt.
Demografische Entwicklung
Die Opfer sind überwiegend männlich (1844 Männer, 383 Frauen) mit einem steigenden Durchschnittsalter von 41 Jahren. Dies deutet darauf hin, dass langjährig Abhängige ein besonders hohes Mortalitätsrisiko tragen.
Globale Trends erreichen Deutschland
Der Anstieg spiegelt internationale Entwicklungen wider: „Global geht der Trend zu preiswerteren und stärker-wirksamen Opioiden und Stimulanzien, die von global agierenden Kartellen in die Märkte gedrückt werden, gleichzeitig steigt das Angebot an Kokain in Deutschland und Europa stark an“, analysiert der Bundesdrogenbeauftragte.
Lösungsansätze gefordert
Blienert fordert eine umfassende Stärkung der Hilfssysteme:
Sofortige Maßnahmen:
- Flächendeckender Ausbau von Drogenkonsumräumen
- Ausweitung von Drug-Checking-Angeboten
- Verbesserte Opioid-Substitutionstherapie
- Implementierung von Naloxon-Projekten
- Spezielle Programme für Crack- und Methamphetamin-Konsumierende
Finanzierungskrise der Suchthilfe
Parallel zur steigenden Nachfrage kämpft die Suchthilfe mit einer Finanzierungskrise. Christina Rummel von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) warnt: „Dreiviertel der öffentlich finanzierten Suchtberatungsstellen können ihre Kosten in diesem Jahr nicht decken“.
Die Konsequenzen sind fatal: Beratungsangebote werden eingeschränkt oder komplett gestrichen – genau dann, wenn sie am dringendsten gebraucht werden.
Erfolgsmodell Drogenkonsumräume
Ein positives Beispiel liefern Einrichtungen wie die Berliner Birkenstube, wo die Zahlen vorgestellt wurden. Nina Pritszens, Geschäftsführerin der vista gGmbH, betont: „Drogenkonsumräume erreichen drogengebrauchende Menschen in Notlagen, die auf kaum einem anderen Wege erreicht und versorgt werden“.
Diese Einrichtungen bieten nicht nur Überlebenshilfe, sondern auch Wege in die Therapie und gesellschaftliche Reintegration.
Was jetzt getan werden muss
Die Rekord-Drogentoten zeigen: Deutschland braucht eine Neuausrichtung der Drogenpolitik. Statt Kriminalisierung sind evidenzbasierte Hilfsangebote gefragt:
- Präventive Maßnahmen für besonders gefährdete Jugendliche
- Niedrigschwellige Angebote wie Konsumräume und Drug-Checking
- Medizinische Versorgung auch für Menschen ohne Krankenversicherung
- Stabile Finanzierung der Suchtberatung
- Entstigmatisierung von Suchterkrankungen
Fazit
„Hinter den blanken Zahlen verbirgt sich unendliches Leid für die Betroffenen, ihre Familien, das ganze Umfeld“, mahnt Bundesdrogenbeauftragter Blienert. Die 2227 Drogentoten von 2023 sind nicht nur eine Statistik – sie sind ein Auftrag zum Handeln.
📞 Hilfe und Beratung:
- Bundesweite Suchthotline: 01805 313031
- Online-Beratung: neelixberlin.de/beratung
- Notfall: 112
- Giftnotruf: 030 19240
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