Die Selbstmedikations-Lüge: Warum deine Sucht als Medizin für eine tiefere Wunde begann

Die Selbstmedikations-Lüge: Warum deine Sucht als Medizin für eine tiefere Wunde begann

Ein Artikel aus der „Wichtiges zu Sucht“-Serie von NeelixberliN

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Trigger-Warnung: Dieser Artikel behandelt die Themen Trauma, psychische Erkrankungen (Depression, Angst) und Sucht als Versuch der Selbstmedikation.


Nach 28 Jahren Sucht & Recovery kann ich sagen: Kein Süchtiger wacht morgens auf und entscheidet sich, sein Leben zu zerstören. Jeder von uns hat als Amateur-Arzt angefangen. Wir hatten einen Schmerz – eine Wunde in der Seele, eine unerträgliche Angst, eine erdrückende Leere – und wir haben uns selbst eine Medizin verschrieben, die kurzfristig zu wirken schien. Das Problem war nur: Unsere Medizin war Gift.

Das Konzept der „Selbstmedikation“ wird oft missverstanden. Es geht nicht darum, bei Kopfschmerzen eine Aspirin zu nehmen. Es geht um den unbewussten, aber gezielten Einsatz von Drogen und Alkohol, um psychische Qualen zu betäuben, die wir anders nicht aushalten. Wir trinken nicht, weil wir Alkohol so lieben. Wir trinken, um die soziale Angst für ein paar Stunden zum Schweigen zu bringen. Wir koksen nicht, weil wir Party machen wollen. Wir koksen, um das Gefühl der inneren Leere und Wertlosigkeit zu überdecken.

Dieser Artikel wird dir vielleicht die Augen öffnen. Er wird dir zeigen, dass deine Sucht keine zufällige, schlechte Angewohnheit ist, sondern eine logische, aber fatale Konsequenz aus einer tieferliegenden Verletzung.

Deine Sucht ist keine Charakterschwäche. Sie ist die fehlgeschlagene Selbstmedikation einer unbehandelten Wunde. Zu verstehen, welchen Schmerz du wirklich betäuben wolltest, ist der erste und wichtigste Schritt zur Heilung.


🎯 Die harten Fakten: Die untrennbare Verbindung von Sucht und seelischem Schmerz

📊 Die harten Fakten in Zahlen: Sucht ist selten das einzige Problem

Die Idee der Selbstmedikation ist keine Ausrede, sondern ein wissenschaftlich untermauertes Phänomen:

  • Über 50% Doppeldiagnosen: Laut Studien (u.a. von SAMHSA) leiden mehr als die Hälfte aller Menschen mit einer schweren Substanzgebrauchsstörung an mindestens einer weiteren, gleichzeitig auftretenden psychischen Erkrankung (Komorbidität).
  • Trauma als Hauptfaktor: Eine hohe Anzahl an belastenden Kindheitserfahrungen (Adverse Childhood Experiences, ACEs) erhöht das Risiko für eine spätere Suchterkrankung drastisch. Menschen mit 4 oder mehr ACEs haben ein bis zu 10-fach höheres Risiko für eine Drogensucht.
  • Die Selbstmedikations-Hypothese: Diese in den 1980ern von Dr. Edward Khantzian entwickelte Theorie ist heute eine der zentralen Säulen des Suchtverständnisses. Sie besagt, dass die Wahl der Droge oft kein Zufall ist, sondern ein gezielter Versuch, spezifische psychische Defizite oder Schmerzen zu „behandeln“.
  • Angst & Alkohol: Menschen mit einer sozialen Angststörung haben ein deutlich höheres Risiko, eine Alkoholabhängigkeit zu entwickeln, da Alkohol kurzfristig angstlösend wirkt und die soziale Hemmschwelle senkt.

🔬 Wissenschaft: Die gezielte Wahl der Droge

Die Selbstmedikations-Hypothese von Dr. Khantzian besagt, dass die Wahl der Droge oft ein unbewusster, aber passgenauer Versuch ist, ein bestimmtes seelisches Leid zu lindern:

  • Opiate & Opioide (z.B. Heroin, Tilidin): Werden oft von Menschen gewählt, die unter unkontrollierbarer Wut, Aggression und innerer Zerrissenheit leiden. Die dämpfende, warm-einhüllende Wirkung der Opiate betäubt diesen Schmerz und schafft ein Gefühl von Ruhe und Geborgenheit.
  • Stimulanzien (z.B. Kokain, Amphetamine): Werden häufig von Menschen mit Depressionen, Minderwertigkeitskomplexen und einem Gefühl der inneren Leere bevorzugt. Die aufputschende, euphorisierende Wirkung bekämpft die Antriebslosigkeit und erzeugt ein kurzfristiges Gefühl von Grandiosität und Selbstbewusstsein.
  • Alkohol & Benzodiazepine (z.B. Tavor): Sind die „klassische“ Medizin gegen soziale Ängste, generelle Angstzustände und Panikattacken. Sie wirken dämpfend auf das Nervensystem, lösen Hemmungen und betäuben die ständige Sorge.

Zu verstehen, welche Droge du bevorzugt hast, kann dir also einen entscheidenden Hinweis darauf geben, welche tiefere Wunde du unbewusst versucht hast, zu behandeln.


🎭 Wenn die Medizin zum Gift wird: Der Teufelskreis der Selbstmedikation

Eine Hand, die Gift auf eine Wunde gießt, als Symbol für die schädliche Wirkung der Selbstmedikation bei Sucht, die das ursprüngliche Problem verschlimmert.
Die Droge, die sich anfangs wie ein Heilmittel für deine seelische Wunde anfühlt, ist in Wahrheit ein Gift, das die Infektion nur noch tiefer treibt.

Die Selbstmedikation funktioniert am Anfang trügerisch gut. Aber unweigerlich führt sie in einen Teufelskreis, der das ursprüngliche Problem massiv verschlimmert.

⚠️ Der Teufelskreis: Wie die „Lösung“ zum größeren Problem wird

Die Selbstmedikation scheitert immer aus denselben Gründen und schafft einen Teufelskreis:

  • Die Toleranz-Falle: Dein Gehirn gewöhnt sich an die Substanz. Du brauchst immer mehr „Medizin“, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Die Dosis steigt, die Nebenwirkungen werden schlimmer.
  • Die Symptom-Verschlimmerung: Die Droge maskiert das Problem nur kurzfristig. Langfristig macht sie es schlimmer. Alkohol-Entzug erzeugt Panik, Kokain-Abstürze führen zu tiefster Depression. Deine ursprüngliche Wunde wird also noch tiefer.
  • Die Entwicklungs-Blockade: Solange du eine chemische Krücke benutzt, um mit deinen Gefühlen umzugehen, lernst du keine echten, gesunden Bewältigungsstrategien (Skills). Du bleibst auf dem emotionalen Entwicklungsstand stehen, auf dem du mit dem Konsum begonnen hast.
  • Die Sucht als neues Hauptproblem: Irgendwann ist die ursprüngliche Wunde fast vergessen. Dein ganzes Leben dreht sich nur noch um die Beschaffung und den Konsum der „Medizin“. Die Nebenwirkung ist zur Hauptkrankheit geworden.

🛡️ Safer Use: Vom Selbstmediziner zum Selbstheiler

Eine Person tauscht eine alte Arzttasche voller Drogen gegen eine neue Tasche mit Therapie- und Gemeinschafts-Symbolen, als Metapher für den Weg vom Selbstmediziner zum Selbstheiler.
Heilung beginnt, wenn du aufhörst, die falschen Medikamente zu nehmen, und anfängst, die richtigen Werkzeuge für deine Wunde zu suchen.

Der Weg aus der Falle der Selbstmedikation ist ein Prozess der Umorientierung: von der Betäubung des Symptoms zur Heilung der Ursache.

🛡️ Safer Use: Finde die richtige Medizin für deine Wunde

Wahre Heilung beginnt, wenn du aufhörst, das Symptom (die Sucht) zu bekämpfen und anfängst, die Ursache (die Wunde) zu behandeln.

  1. Werde zum Detektiv deiner Seele: Stell dir die wichtigste Frage nicht: „Warum nehme ich Drogen?“, sondern: „Welchen Schmerz in mir versuche ich mit den Drogen zu betäuben?“. Ist es Angst? Leere? Trauma? Wut? Sei radikal ehrlich.
  2. Suche die richtige Medizin: Wenn deine Wunde „Angst“ heißt, ist die richtige Medizin nicht Alkohol, sondern eine Angsttherapie. Wenn deine Wunde „Depression“ heißt, ist die richtige Medizin nicht Kokain, sondern Psychotherapie und eventuell ärztlich begleitete Antidepressiva.
  3. Ersetze die chemische Krücke durch echte Skills: Lerne die Werkzeuge, die du nie gelernt hast. Techniken zur Stressbewältigung, zur emotionalen Regulation, zur Kommunikation. Baue dir einen echten Werkzeugkoffer für deine Seele auf.
  4. Akzeptiere die Doppeldiagnose: Du hast nicht nur ein Problem, sondern zwei: die Sucht UND die darunterliegende Wunde. Beide müssen behandelt werden. Suche dir professionelle Hilfe, die Erfahrung mit Doppeldiagnosen hat.

🤔 Ausführliche FAQ

🤔 Ist dann also mein Trauma/meine Depression „schuld“ an meiner Sucht?

✅ „Schuld“ ist das falsche Wort. Deine Wunde ist eine **Ursache** oder ein massiver Risikofaktor, aber keine Entschuldigung, die dir die Verantwortung für deine Heilung nimmt. Das Wissen darum soll dir nicht als Ausrede dienen, sondern als Wegweiser: „Ah, hier muss ich ansetzen, um wirklich frei zu werden.“

❤️ Ich nehme ärztlich verschriebene Medikamente (z.B. Antidepressiva). Ist das auch Selbstmedikation?

✅ Nein. Eine ärztlich diagnostizierte und begleitete medikamentöse Behandlung ist das exakte Gegenteil von suchtmittelbasierter Selbstmedikation. Es ist die richtige Medizin für die echte Wunde, verabreicht von einem Profi. Die Einnahme von Antidepressiva gegen eine Depression ist Behandlung, nicht Sucht.

🧠 Wie finde ich heraus, was meine „tiefere Wunde“ ist?

✅ Oft ist das allein kaum möglich, weil die Sucht und die Verdrängung so stark sind. Das ist genau die Kernaufgabe einer guten Psychotherapie. Ein Therapeut ist wie ein Detektiv, der dir hilft, die Zusammenhänge in deiner eigenen Geschichte zu erkennen. Auch das ehrliche Schreiben in einem Tagebuch kann ein erster Schritt sein.

💪 Wenn die Droge mein Problem „löst“, warum soll ich aufhören?

✅ Weil sie es nicht löst. Sie betäubt es nur kurzfristig und schafft dabei zehn neue, größere Probleme (gesundheitlich, sozial, finanziell). Es ist, als würdest du ein brennendes Haus mit Benzin löschen. Kurzfristig gibt es eine große Stichflamme, die vielleicht die Sicht auf das Feuer verdeckt, aber am Ende brennt das ganze Haus nieder.

😔 Kann ich zuerst die Sucht und dann die Wunde behandeln?

✅ Der moderne und erfolgreichste Ansatz ist die integrierte Behandlung, bei der beides gleichzeitig angegangen wird. Reine Suchttherapie scheitert oft, weil die Ursache unbehandelt bleibt. Man muss zuerst eine stabile Abstinenz erreichen, um dann die Kraft zu haben, sich der Wunde zuzuwenden. Aber beides gehört untrennbar zusammen.

🎬 NeelixberliN Fazit

Ein Kompass, dessen Nadel auf ein verletztes Herz zeigt, als Symbol dafür, dass die Sucht der Wegweiser zur eigentlichen Wunde ist, die Heilung braucht.
Deine Sucht ist nicht das Problem. Deine Sucht ist der brutale, aber unübersehbare Wegweiser, der direkt auf die Stelle in deiner Seele zeigt, die am dringendsten deine Liebe und Aufmerksamkeit braucht.

Hör auf, dich dafür zu hassen, dass du süchtig bist. Hör auf zu glauben, du seist willensschwach oder ein schlechter Mensch. Die Tatsache, dass du zur Selbstmedikation gegriffen hast, beweist nur eines: Du hattest einen unerträglichen Schmerz. Du warst ein Überlebender, der die einzigen Werkzeuge benutzt hat, die er kannte, um nicht komplett zu zerbrechen.

Diese Werkzeuge waren scheiße. Sie haben alles nur noch schlimmer gemacht. Aber deine Intention dahinter – der Wunsch, den Schmerz zu beenden – war zutiefst menschlich und verständlich.

Recovery bedeutet, diese alten, giftigen Werkzeuge wegzulegen und neue zu lernen. Es bedeutet, neugierig darauf zu werden, welchen Schmerz du so verzweifelt versucht hast, zu überleben. Deine Sucht ist nicht das Ende deiner Geschichte. Sie ist der brutale, aber unübersehbare Wegweiser zu der Wunde, die endlich heilen will. Folge diesem Wegweiser. Sei mutig. Hol dir Hilfe. Du hast es verdient, ganz zu heilen.


📚 Quellen & Hilfsangebote

  • Khantzian, E. J. (1985). The self-medication hypothesis of addictive disorders. The American journal of psychiatry.
  • National Institute on Drug Abuse (NIDA): „Common Comorbidities with Substance Use Disorders Research Report“.
  • SAMHSA (Substance Abuse and Mental Health Services Administration): „Results from the 2021 National Survey on Drug Use and Health“.
  • Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS): Informationen zu Sucht und psychischen Störungen.
  • Lokale Suchtberatungsstellen & Krisendienste: Adressen und Nummern sind über eine lokale Suche („Suchtberatung [deine Stadt]“) oder die Telefonseelsorge (0800 111 0 111) zu finden.

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Über Gabriel Maetz

NeelixberliN teilt hier seine persönliche und ungefilterte Erfahrung auf dem Weg aus der Sucht. Nach Jahren der Abhängigkeit, unter anderem von Polamidon, kämpft er sich Tag für Tag zurück ins Leben. Dieser Blog ist sein persönliches Logbuch, eine Hilfe für sich selbst und hoffentlich auch eine stütze für andere, die einen ähnlichen Kampf führen.

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