Umfassendes Drogenlexikon von NeelixberliN – Wissenschaftlich fundiert, ehrlich und aktuell
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Hey Du, heute reden wir über eine der am häufigsten verschriebenen Medikamentengruppen überhaupt: Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, kurz SSRIs.
Du kennst sie unter Namen wie Sertralin, Citalopram oder Fluoxetin (in den USA berühmt als Prozac®). Sie sind für Millionen Menschen eine wichtige Stütze im Kampf gegen Depressionen und Angststörungen. Aber eine Frage schwebt immer im Raum, oft befeuert durch Mythen aus der Drogenszene: Machen diese Pillen eigentlich „high“ oder süchtig?
Lass uns diese Frage ein für alle Mal klären und mit den gefährlichen Mythen aufräumen.
🧠 Was sind SSRIs & wie wirken sie im Gehirn?
SSRIs sind die modernste und am häufigsten eingesetzte Klasse von Antidepressiva. Ihre Hauptaufgabe ist es, die Konzentration des Botenstoffs Serotonin im Gehirn zu erhöhen.
Sie wirken nicht, indem sie mehr Serotonin produzieren, sondern indem sie als Wiederaufnahmehemmer agieren. Stell es dir so vor:
- Eine Nervenzelle schüttet Serotonin aus, um ein Signal zu senden.
- Normalerweise wird dieses Serotonin von „Staubsaugern“ (Transportern) schnell wieder aus dem Spalt entfernt und recycelt.
- SSRIs blockieren diese Staubsauger.
- Dadurch bleibt das vorhandene Serotonin länger im Spalt aktiv und kann seine positive Wirkung auf Stimmung und Angst besser entfalten.
Wichtig: Dieser Prozess ist langsam. Es dauert 2-6 Wochen, bis sich das Gehirn angepasst hat und eine spürbare Besserung eintritt.
🧠 Neurobiologie: SSRI vs. MDMA – Der entscheidende Unterschied
Beide wirken auf Serotonin, aber auf völlig unterschiedliche und gegensätzliche Weise.
- SSRIs (Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer):
- Wirkung: Blockieren den Transporter (SERT), der Serotonin *aus dem Spalt zurück in die Zelle* pumpt.
- Ergebnis: Das Serotonin, das *natürlich* ausgeschüttet wird, bleibt länger aktiv. Der Spiegel steigt langsam über Wochen an. Es ist ein Regulator.
- MDMA (Ecstasy):
- Wirkung: Dringt in die Zelle ein und kehrt die Funktion des Transporters um.
- Ergebnis: Der Transporter wird zur „Pumpe“ und schießt den gesamten Serotonin-Vorrat der Zelle auf einmal in den Spalt. Es ist ein Entleerer, ein „Serotonin-Tsunami“.
Ein SSRI füllt die Badewanne langsam auf, indem es den Abfluss verstopft. MDMA sprengt den gesamten Wassertank.
⚠️ Mythos Nr. 1: Kann man von SSRIs „high“ werden?
Die klare Antwort ist: Nein.
SSRIs haben kein Suchtpotenzial im Sinne einer klassischen Droge. Sie erzeugen keine Euphorie, keinen „Kick“ und keinen Rausch.
Der Grund, warum Drogen wie Kokain oder Amphetamine süchtig machen, ist ihre Fähigkeit, das Dopamin-System schlagartig zu fluten. SSRIs tun das nicht. Ihre Wirkung auf das Serotonin-System ist langsam, regulierend und zielt auf eine Normalisierung ab, nicht auf einen Rausch.
🚨 WARNUNG: Serotonin-Syndrom statt Koks-Rausch
Der Versuch, sich mit einer SSRI-Überdosis zu berauschen, führt nicht zu Euphorie, sondern zu einer potenziell tödlichen Vergiftung: dem Serotonin-Syndrom. Die größte Gefahr entsteht beim Mischkonsum.
- Tödlicher Cocktail: Die Kombination von SSRIs (die den Abfluss blockieren) mit Drogen, die die Ausschüttung massiv erhöhen (wie MDMA, Speed, Koks) oder ebenfalls auf das System wirken (wie DXM, Tramadol, Johanniskraut), ist extrem gefährlich.
- Warnsignale (Medizinischer Notfall!):
- Psychisch: Extreme Unruhe, Verwirrung, Agitiertheit, Halluzinationen.
- Körperlich: Hohes Fieber, starkes Schwitzen, erweiterte Pupillen, Herzrasen, Bluthochdruck, unkontrollierbares Muskelzittern (Tremor) und Muskelstarre (Rigidität).
Das Serotonin-Syndrom kann zu Krampfanfällen, Koma und Tod führen. **Sofort den Notruf 112 wählen!**

⛓️ Mythos Nr. 2: Machen SSRIs körperlich abhängig? (Entzug vs. Absetzsymptome)
Das ist der zweite wichtige Punkt: SSRIs machen nicht „süchtig“, aber sie können bei abruptem Absetzen zu einer körperlichen Gewöhnung führen, die sich in Absetzsymptomen äußert. Das ist nicht dasselbe wie ein Drogenentzug.
- Sucht-Entzug: Gekennzeichnet durch ein überwältigendes Craving (Suchtdruck) nach der euphorisierenden Wirkung der Droge.
- SSRI-Absetzsyndrom: Eine rein körperliche Reaktion darauf, dass das Gehirn die „Krücke“ plötzlich vermisst. Es gibt kein Craving nach einem „Rausch“.
Typische Absetzsymptome (besonders bei kurzwirksamen SSRIs wie Paroxetin):
- Schwindel, Übelkeit, Kopfschmerzen
- Grippeähnliche Symptome
- Die berüchtigten „Brain Zaps“ (Gefühl von kurzen, elektrischen Schlägen im Kopf)
- Starke Unruhe, Reizbarkeit und Angst
WICHTIG: Deshalb dürfen SSRIs NIEMALS abrupt und allein abgesetzt werden! Sie müssen immer langsam und unter ärztlicher Aufsicht „ausgeschlichen“ (die Dosis langsam reduziert) werden.
🌅 „Der Tag Danach“: Nebenwirkungen zu Beginn
Bei SSRIs spricht man weniger von einem „Kater“ als von Anfangsnebenwirkungen, die in den ersten 1-2 Wochen auftreten, während sich das Gehirn an den veränderten Serotonin-Spiegel gewöhnt.
- Übelkeit & Magen-Darm-Probleme: Sehr häufig, da auch im Darm viele Serotonin-Rezeptoren sitzen.
- Innere Unruhe & Schlafstörungen: Das Serotonin kann anfangs „aufdrehen“, bevor es die Stimmung stabilisiert.
- Kopfschmerzen & Schwindel.
- Sexuelle Funktionsstörungen: Eine sehr häufige und belastende Nebenwirkung, die oft auch langfristig bestehen bleibt (Libidoverlust, Orgasmusprobleme).
Diese Symptome sind der Grund, warum man SSRIs „einschleichen“ (langsam die Dosis steigern) muss. Halte durch, die meisten dieser Nebenwirkungen (außer oft die sexuellen) verschwinden nach den ersten Wochen.

❤️ „Für Angehörige“: Do’s & Don’ts
Wenn ein geliebter Mensch mit Antidepressiva beginnt, ist das oft eine schwere Zeit. Es herrscht viel Stigmatisierung.
- ✅ Do’s (Das hilft wirklich):
- Geduld haben: Die Medikamente brauchen 2-6 Wochen, um zu wirken. Erwarte keine Wunder über Nacht.
- Nebenwirkungen ernst nehmen: Unterstütze die Person in den ersten Wochen, in denen Übelkeit oder Unruhe auftreten können.
- Therapie unterstützen: Ermutige die Person, die begleitende Psychotherapie wahrzunehmen. Die Pillen allein sind selten die Lösung.
- ❌ Don’ts (Das macht es schlimmer):
- Stigmatisieren: Sätze wie „Du nimmst jetzt Drogen“ oder „Du bist jetzt abhängig“ sind falsch, verletzend und basieren auf Unwissenheit.
- Ungeduldig sein: „Nimmst du die Pillen immer noch? Es muss doch mal gut sein.“ Depression ist eine ernste Krankheit, keine Laune.
- Absetzen vorschlagen: Rate niemals, die Medikamente „einfach wegzulassen“. Das kann zu einem gefährlichen Absetzsyndrom führen.
💡 Gesündere Alternativen & Strategien
SSRIs sind eine Krücke, nicht die Heilung. Sie werden fast immer in Kombination mit anderen Strategien verschrieben.
- Psychotherapie (Goldstandard): Insbesondere die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist der wichtigste Baustein, um die *Ursachen* der Depression oder Angst zu behandeln, Denkmuster zu ändern und Skills zu lernen.
- Sport & Bewegung: Regelmäßiger Ausdauersport wirkt nachweislich so stark wie ein leichtes Antidepressivum, da er die Neuroplastizität und die Ausschüttung von Endorphinen fördert.
- Achtsamkeit & Meditation (MBSR): Hilft nachweislich bei der Prävention von Rückfällen und lehrt einen neuen Umgang mit negativen Gedanken.
- Struktur & Schlaf: Ein geregelter Tagesablauf und gute Schlafhygiene sind die Basis für jede psychische Stabilität.
🎓 Wissens-Check: Hast du’s verstanden?
Teste dein Wissen! Klick auf die Fragen, um die Antworten aufzudecken.
Frage 1: Machen SSRIs „high“ oder süchtig?
✅ Antwort: Nein. Sie erzeugen keine Euphorie (kein „High“) und haben kein Suchtpotenzial im klassischen Sinne. Sie können aber zu einer körperlichen Gewöhnung führen, die beim Absetzen zu „Absetzsymptomen“ führt.
Frage 2: Was ist der Unterschied zwischen SSRIs und MDMA?
✅ Antwort: SSRIs **blockieren** den „Staubsauger“ (Transporter) und lassen das normale Serotonin länger wirken. MDMA **kehrt** den Transporter um und „sprengt“ den gesamten Serotonin-Speicher auf einmal raus.
Frage 3: Was ist die größte Gefahr beim Missbrauch oder Mischkonsum von SSRIs?
✅ Antwort: Das Serotonin-Syndrom. Eine lebensgefährliche Überflutung des Gehirns mit Serotonin, die bei Überdosis oder Mischkonsum mit MDMA, Speed oder DXM auftreten kann.
Ausführliche FAQ
😵 Warum sagen manche, sie werden von Sertralin high wie auf Ecstasy?
✅ Das ist eine gefährliche Verwechslung von Symptomen. Eine massive Überdosis von SSRIs kann zum Serotonin-Syndrom führen. Dessen Symptome wie Herzrasen, Unruhe, erweiterte Pupillen und Verwirrtheit ähneln oberflächlich den negativen Nebenwirkungen eines starken Drogenrausches. Es ist aber keine Euphorie, sondern eine medizinische Vergiftung, die lebensbedrohlich ist.
💊 Was ist der Unterschied zwischen SSRIs und Benzodiazepinen (Tavor®, Valium®)?
✅ Das ist ein riesiger und extrem wichtiger Unterschied. Benzodiazepine (Benzos) wirken sofort (innerhalb von Minuten), dämpfen das Gehirn (via GABA) und haben ein extrem hohes Suchtpotenzial. SSRIs (Antidepressiva) wirken langsam (über Wochen), regulieren das Serotonin-System und machen nicht süchtig im Rausch-Sinne. Benzos sind Notfall-Medikamente, SSRIs sind Langzeit-Therapeutika.
⛓️ Machen alle Antidepressiva süchtig?
✅ Nein. Moderne Antidepressiva wie SSRIs oder SNRIs machen nicht süchtig, da sie keine Euphorie auslösen. Sie können aber zu Absetzsymptomen führen, was nicht mit Sucht verwechselt werden darf. Bestimmte ältere Antidepressiva (wie Trizyklika) oder andere Psychopharmaka (wie Benzodiazepine oder Pregabalin) haben jedoch ein eigenes Abhängigkeitspotenzial.
⚡ Was sind „Brain Zaps“?
✅ „Brain Zaps“ sind ein sehr häufiges und unangenehmes Absetzsymptom von SSRIs. Betroffene beschreiben es als das Gefühl eines kurzen, plötzlichen elektrischen Schlages im Kopf, oft ausgelöst durch Augen- oder Kopfbewegungen. Sie sind medizinisch ungefährlich, aber sehr beunruhigend und ein klares Zeichen, dass das Medikament zu schnell abgesetzt wurde.
🤯 Machen SSRIs die Persönlichkeit kaputt oder stumpfen sie ab?
✅ SSRIs sollen Depressionen und Ängste lindern. Manche Betroffene berichten jedoch von einem Gefühl der „emotionalen Abstumpfung“ (Emotional Blunting) – sie können Trauer nicht mehr so tief, aber auch Freude nicht mehr so intensiv empfinden. Das ist eine mögliche Nebenwirkung, die mit dem Arzt besprochen werden muss. Es ist keine „Zerstörung“ der Persönlichkeit, sondern eine oft dosisabhängige Dämpfung.
🍆 Warum verursachen SSRIs sexuelle Probleme?
✅ Das Serotonin-System ist eng mit der sexuellen Funktion verknüpft. Eine dauerhafte Erhöhung des Serotonin-Spiegels kann die sexuelle Erregbarkeit und die Orgasmusfähigkeit dämpfen. Libidoverlust, Erektionsprobleme und Orgasmus-Schwierigkeiten sind leider sehr häufige Nebenwirkungen von SSRIs, die oft auch langfristig anhalten und ein Hauptgrund für das Absetzen der Medikation sind.
⏳ Wie lange muss ich SSRIs nehmen?
✅ Das ist sehr individuell. Die Leitlinien empfehlen, die Medikation nach dem Abklingen der Depression noch mindestens 4-9 Monate weiterzunehmen, um die Stabilisierung zu festigen und ein hohes Rückfallrisiko zu vermeiden. Bei wiederkehrenden Depressionen kann auch eine jahrelange Erhaltungstherapie sinnvoll sein. Das muss immer mit dem Facharzt besprochen werden.
🌿 Was ist mit Johanniskraut als Alternative?
✅ Johanniskraut ist ein pflanzliches Antidepressivum, dessen Wirksamkeit bei leichten bis mittelschweren Depressionen belegt ist. Es ist aber kein „harmloses Kraut“. Es hat massive Wechselwirkungen mit vielen anderen Medikamenten (z.B. kann es die Wirkung der Anti-Baby-Pille aufheben!) und darf NIEMALS mit SSRIs oder Drogen wie MDMA/DXM kombiniert werden, da sonst ebenfalls ein Serotonin-Syndrom droht.
📖 Lesetipp zur Vertiefung
Unglück auf Rezept von Peter Ansari
Dieses Buch ist eine wichtige, kritische Stimme in der Debatte um Antidepressiva. Es hinterfragt die inflationäre Verschreibungspraxis und beleuchtet schonungslos die oft verharmlosten Nebenwirkungen und schweren Absetzproblematiken – genau die Themen, die wir im Artikel als „Absetzsyndrom“ (nicht Sucht) ansprechen.
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📚 Wissenschaftliche Quellen & Referenzen
- Leitlinien zur Behandlung:
- S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde).
- Pharmakologie & Risiken:
- Fachliteratur zum Serotonin-Syndrom und SSRI-Absetzsyndrom.
- Gelbe Liste / Rote Liste: Fachinformationen zu Sertralin, Citalopram, Fluoxetin etc.
- Hilfsangebote & Informationen:
- Stiftung Deutsche Depressionshilfe: info-depression.de (Telefon: 0800 33 44 5 33)
- Telefonseelsorge (bei Krisen): 0800 / 111 0 111
NeelixberliN Fazit: Wichtige Medikamente, kein Teufelszeug
SSRIs sind wirksame Medikamente, um schwere psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen zu behandeln. Sie sind keine „Happy Pills“ und sie sind keine Drogen. Sie machen nicht „high“ und nicht „süchtig“ im klassischen Sinne.
Der Versuch, sich damit zu berauschen, endet nicht im High, sondern potenziell in der Notaufnahme mit einem Serotonin-Syndrom. Sie erfordern einen verantwortungsvollen Umgang und eine enge ärztliche Begleitung, insbesondere beim Absetzen.
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