Frauen und die stille Sucht: Wenn der Feierabend-Wein zur Hölle wird

Frauen und die stille Sucht: Wenn der Feierabend-Wein zur Hölle wird

Ein Artikel aus der „Frauen & Sucht“-Serie von NeelixberliN

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Trigger-Warnung: Dieser Artikel behandelt die Themen Alkoholismus, Tablettenabhängigkeit (insbesondere Benzodiazepine) und den gesellschaftlichen Druck auf Frauen.


Nach 28 Jahren Sucht & Recovery habe ich unzählige Frauen in Meetings kennengelernt. Ihre Geschichten waren oft leiser als die der Männer, aber nicht weniger brutal. Es waren selten die Geschichten von lauten Straßen-Junkies. Es waren die Geschichten von Müttern, die abends heimlich die Weinflasche im Altglascontainer entsorgten. Von Lehrerinnen, die den Tag nur mit Tavor überstanden. Von Managerinnen, die nach außen perfekt funktionierten, während sie innerlich zerbrachen. Ihre Dealer waren keine zwielichtigen Gestalten in dunklen Gassen. Ihre Dealer waren das Supermarkt-Regal und der Hausarzt, der großzügig Beruhigungsmittel verschrieb.

Willkommen in der Welt der stillen Sucht. Einer Sucht, die oft nicht als solche erkannt wird, weil sie sich hinter gesellschaftlich akzeptierten Fassaden versteckt. Der Sekt zum Anstoßen mit den anderen Müttern. Der Wein am Abend als „verdiente Belohnung“ für den Spagat zwischen Kindern, Küche und Karriere. Die Schlaftablette, um das Gedankenkarussell endlich zum Schweigen zu bringen.

Die Gesellschaft klopft diesen Frauen auf die Schulter und sagt: „Wow, wie schaffst du das alles nur?“. Sie ahnt nicht, dass der Preis für dieses „Funktionieren“ eine wachsende Abhängigkeit ist, die im Verborgenen wuchert.

Die stille Sucht der Frauen ist die gefährlichste von allen, weil die Gesellschaft sie beklatscht, bis sie tödlich wird. Der Wein zur ‚Entspannung‘ und die Pille zum ‚Funktionieren‘ sind keine Lifestyle-Accessoires, sondern die Gitterstäbe eines unsichtbaren Gefängnisses.


🎯 Die harten Fakten: Frauen, Alkohol und Tabletten in Deutschland

📊 Die harten Fakten in Zahlen: Die versteckte Sucht der Frauen

Die Sucht bei Frauen ist leiser, aber statistisch alarmierend:

  • Doppelt so viele Medikamentensüchtige: Schätzungen der DHS (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen) gehen davon aus, dass in Deutschland ca. 1,5 – 1,9 Millionen Menschen medikamentenabhängig sind. Etwa 70% davon sind Frauen, insbesondere bei Beruhigungs- und Schlafmitteln (Benzodiazepine).
  • Riskant trinkt jede Sechste: Laut Robert Koch-Institut (RKI) betreiben 14,7% der Frauen in Deutschland einen riskanten Alkoholkonsum. Der Übergang zur Abhängigkeit ist oft fließend und wird spät erkannt.
  • Der „Telescoping-Effekt“: Die Wissenschaft hat bewiesen, dass Frauen, auch wenn sie oft später mit dem regelmäßigen Konsum beginnen, deutlich schneller eine schwere Abhängigkeit und organische Folgeschäden entwickeln als Männer (Quelle: „Journal of Substance Abuse Treatment“).
  • Druck als Hauptursache: Studien zeigen, dass Frauen häufiger als Männer aus „Coping-Gründen“ zu Substanzen greifen – also um Stress, Angst, Depressionen oder die Belastungen durch gesellschaftliche Rollen zu bewältigen.

🔬 Wissenschaft: Biologie und Gesellschaft als Brandbeschleuniger

Die höhere Anfälligkeit von Frauen für die „stille Sucht“ hat biologische und soziokulturelle Gründe:

  • Biologie: Frauen haben von Natur aus einen geringeren Wasser- und höheren Fettanteil im Körper und weniger von dem Enzym, das Alkohol abbaut. Dieselbe Menge Alkohol führt bei ihnen zu einer höheren Blutalkoholkonzentration und schädigt die Organe schneller. Hormonschwankungen können das Verlangen zusätzlich beeinflussen.
  • Verschreibungspraxis: Frauen bekommen deutlich häufiger Beruhigungs- und Schlafmittel verschrieben als Männer. Der Weg in die Medikamentensucht ist oft ärztlich legitimiert und beginnt schleichend.
  • Rollen-Druck & Perfektionismus: Die gesellschaftliche Erwartung, in allen Rollen (Mutter, Partnerin, Arbeitnehmerin) perfekt zu sein, erzeugt einen chronischen Stresslevel. Alkohol und Tabletten werden zur vermeintlichen „Leistungsdroge“, um diesen Druck auszuhalten.
  • Stigma & Scham: Die Angst vor der gesellschaftlichen Verurteilung als „schlechte Mutter“ oder „charakterschwache Frau“ ist eine riesige Hürde. Frauen verheimlichen ihren Konsum deshalb länger und geschickter, was professionelle Hilfe verzögert.

🎭 Die Fassade des Funktionierens: Warum die stille Sucht so gefährlich ist

Ein Weinglas spiegelt ein schreiendes Gesicht wider, als Symbol für die stille Sucht und den verborgenen Schmerz hinter der Fassade des Funktionierens.
Der „entspannte“ Feierabend-Wein ist für viele Frauen das einzige Ventil für einen unerträglichen Druck – und der Anfang einer leisen, aber zerstörerischen Sucht.

Die stille Sucht ist ein Meister der Tarnung. Sie versteckt sich hinter Perfektionismus, Leistung und der gesellschaftlichen Erwartung an die Frau als multitaskingfähige Kümmerin.

⚠️ Die tödliche Falle des stillen „Funktionierens“

Die größte Gefahr der stillen Sucht ist, dass sie so lange unsichtbar bleibt, bis der Schaden immens ist:

  • Späte Diagnose, schwere Folgen: Weil die Frau nach außen hin „funktioniert“, wird die Sucht oft erst erkannt, wenn schwere körperliche (z.B. Leberschäden) oder psychische (z.B. schwere Depression) Folgen nicht mehr zu übersehen sind.
  • Isolation hinter der Fassade: Die Betroffene leidet allein. Sie kann mit niemandem über ihre Kämpfe sprechen, weil das den Mythos ihrer Perfektion zerstören würde. Diese Einsamkeit ist ein Nährboden für die Sucht.
  • Falsche Bestätigung durch das Umfeld: Komplimente wie „Ich bewundere dich, wie du das alles schaffst!“ können unbewusst den Konsum rechtfertigen, der dieses „Schaffen“ erst ermöglicht.
  • Die Scham-Spirale: Jeder heimliche Schluck, jede heimlich genommene Pille wird vom inneren Kritiker als Beweis für das eigene Versagen gewertet. Diese wachsende Selbstverachtung ist der stärkste Motor der Sucht.

🛡️ Safer Use: Dein Weg aus der stillen Sucht

Eine Frau, die Job, Familie und Haushalt jongliert und nach einer Pille greift, um die Balance zu halten. Symbol für den Perfektionsdruck, der in die Sucht führt.
Der Versuch, alle Rollen perfekt zu erfüllen, ist ein unmöglicher Drahtseilakt. Suchtmittel werden oft zur vermeintlichen Balancierstange – mit fatalen Folgen.

Der erste Schritt aus der stillen Sucht ist der brutalste: sich selbst einzugestehen, dass das, was sich „normal“ anfühlt, in Wahrheit eine Krankheit ist.

🛡️ Safer Use: Dein Weg aus dem unsichtbaren Gefängnis

Der Ausstieg beginnt mit dem radikalen Akt, ehrlich zu sich selbst zu sein.

1. Ehrliche Bestandsaufnahme (Stell dir diese Fragen):
  • Trinkst oder konsumierst du oft heimlich, wenn niemand zusieht?
  • Benötigst du Alkohol oder Tabletten, um bestimmte Situationen (z.B. ein Familientreffen) oder Gefühle (z.B. Stress, Einsamkeit) zu überstehen?
  • Denkst du oft tagsüber an den „erlösenden“ Drink oder die Tablette am Abend?
  • Hast du schon versucht, weniger zu konsumieren, und es nicht geschafft?

2. Konkrete erste Schritte:

  • Brich das Schweigen (aber sicher): Vertraue dich EINER einzigen, absolut sicheren Person an. Einer Freundin, einem Therapeuten, einer anonymen Hotline. Du musst das Geheimnis nicht mehr allein tragen.
  • Suche professionelle Hilfe: Kontaktiere eine lokale Suchtberatungsstelle. Viele bieten spezielle Frauengruppen oder Online-Beratungen an, die diskret sind. Dein Hausarzt ist ebenfalls eine erste Anlaufstelle.
  • Ersetze das Ritual: Der Griff zum Wein um 19 Uhr ist ein Ritual. Ersetze es aktiv durch ein neues, gesundes Ritual: eine Tasse Tee, ein 15-minütiger Spaziergang, ein Anruf bei einer Freundin, 10 Minuten Tagebuch schreiben.

🤔 Ausführliche FAQ

🤔 Ich trinke doch nur abends ein paar Gläser Wein, um runterzukommen. Ist das schon Alkoholismus?

✅ Die Menge ist nicht das einzige Kriterium. Die entscheidende Frage ist die Funktion: Brauchst du den Alkohol, um einen bestimmten Zustand (Entspannung, Ruhe) zu erreichen? Wirst du unruhig oder gereizt, wenn du ihn weglässt? Verheimlichst du die Menge? Wenn du den Konsum nicht mehr frei steuern kannst, sondern er dich steuert, ist das ein starkes Warnsignal für eine beginnende Abhängigkeit.

❤️ Meine Ärztin verschreibt mir die Tabletten, also können sie ja nicht so schlimm sein, oder?

✅ Viele Ärzte verschreiben Beruhigungsmittel (Benzodiazepine) zu schnell und ohne ausreichende Aufklärung über das hohe Abhängigkeitspotenzial. Diese Medikamente sind nur für den kurzfristigen Kriseneinsatz gedacht (max. 2-4 Wochen). Eine längere Einnahme führt fast immer in eine schwere körperliche und psychische Abhängigkeit, deren Entzug oft schlimmer ist als bei Opiaten.

🧠 Ich habe Angst, dass mir das Jugendamt die Kinder wegnimmt, wenn ich mir Hilfe hole.

✅ Das ist die größte Angst und der häufigste Grund, warum Mütter schweigen. Die Wahrheit ist: Das Jugendamt hat den Auftrag, Familien zu helfen und zu unterstützen. Eine Inobhutnahme ist immer die allerletzte Option. Wenn du proaktiv zeigst, dass du dein Problem erkannt hast und dir Hilfe suchst (z.B. bei einer Suchtberatung), ist das ein riesiges Plus. Die Sucht selbst ist die Gefahr für deine Kinder, nicht dein Hilferuf.

💪 Mein Partner trinkt auch viel, warum ist es bei mir ein größeres Problem?

✅ Aufgrund der biologischen Unterschiede (weniger Wasser im Körper, weniger alkoholabbauende Enzyme) führt die gleiche Menge Alkohol bei Frauen zu höheren Blutalkoholwerten und schnelleren und schwereren Organschäden. Der Weg von riskantem Konsum zur körperlichen Abhängigkeit ist bei Frauen oft deutlich kürzer (Telescoping-Effekt).

😔 Wie finde ich Hilfe, ohne dass es mein ganzes Umfeld (Job, Familie) mitbekommt?

✅ Alle professionellen Beratungsstellen unterliegen der Schweigepflicht. Du kannst dort hingehen, ohne dass dein Arbeitgeber oder deine Familie informiert wird. Viele bieten auch anonyme Online- oder Telefonberatungen an. Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Alkoholiker (AA) basieren auf dem Prinzip der Anonymität. Dein Geheimnis ist dort sicher.

🎬 NeelixberliN Fazit

Eine zerbrochene "Super Mom"-Tasse, die mit Gold repariert wird, als Symbol dafür, dass das Eingeständnis des Scheiterns der Beginn wahrer Stärke und Heilung ist.
Deine Stärke liegt nicht darin, niemals zu zerbrechen. Deine wahre Stärke liegt in dem Mut, deine Scherben anzuerkennen und dich auf eine neue, authentische Weise wieder zusammenzusetzen.

Ich schreibe diesen Text als Mann, aber ich schreibe ihn als Sohn, als Partner und als Freund von unzähligen Frauen, deren stille Kämpfe ich miterlebt habe. Ich habe die Scham in ihren Augen gesehen, wenn sie zum ersten Mal zugaben, heimlich zu trinken. Eine Scham, die zehnmal so schwer wiegt wie die eines Mannes, weil die Gesellschaft einer Frau, und besonders einer Mutter, das „Scheitern“ noch viel weniger verzeiht.

Die Lüge, die euch Frauen verkauft wird, ist, dass ihr alles schaffen müsst. Perfekt im Job, perfekt als Mutter, perfekt als Partnerin, perfekt im Haushalt. Und wenn ihr es nicht schafft, gibt euch die Gesellschaft scheinheilig die Werkzeuge für euren Untergang in die Hand: den Wein als „Wellness“, die Pille als „Nervennahrung“.

Die Wahrheit ist: Um Hilfe zu bitten, ist kein Zeichen, dass du als Frau oder Mutter versagt hast. Es ist der ultimative Akt der Stärke und der Fürsorge – für dich selbst und damit auch für alle, die du liebst. Das Eingeständnis „Ich schaffe es nicht mehr allein“ ist nicht der Anfang vom Ende. Es ist der Anfang von allem.


📚 Quellen & Referenzen

  • Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS): Jahrbuch Sucht (jährlich), Daten zu Medikamentenabhängigkeit und geschlechtsspezifischen Unterschieden.
  • Robert Koch-Institut (RKI): Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Studien zum Alkoholkonsum (z.B. GEDA – Gesundheit in Deutschland aktuell).
  • Arzneiverordnungs-Report (AOK): Jährliche Auswertung über die Verschreibung von Medikamenten, u.a. Benzodiazepine nach Geschlecht.
  • Hernandez-Avila, C. A., Rounsaville, B. J., & Kranzler, H. R. (2004). „Opioid-, cannabis- and alcohol-dependent women show more rapid progression to substance abuse treatment.“ Journal of Studies on Alcohol and Drugs. (Eine der vielen Studien zum „Telescoping-Effekt“).

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Über Gabriel Maetz

NeelixberliN teilt hier seine persönliche und ungefilterte Erfahrung auf dem Weg aus der Sucht. Nach Jahren der Abhängigkeit, unter anderem von Polamidon, kämpft er sich Tag für Tag zurück ins Leben. Dieser Blog ist sein persönliches Logbuch, eine Hilfe für sich selbst und hoffentlich auch eine stütze für andere, die einen ähnlichen Kampf führen.

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