Suchtanamnese: Mein Suchtverlauf als Vorlage für deine Therapie. Podcast und Artikel Titelbild

Suchtanamnese: Mein Suchtverlauf als Vorlage für deine Therapie



Hey Du,

heute wird es sehr persönlich. Einer der ersten und wichtigsten Schritte in jeder Suchttherapie ist das Erstellen einer Suchtanamnese – einer ehrlichen Bestandsaufnahme der eigenen Suchtgeschichte.

Das ist verdammt hart. Man muss sich mit Dingen auseinandersetzen, die man lange verdrängt hat. Aber es ist auch ein unglaublich kraftvolles Werkzeug, um Muster zu erkennen und die eigene Krankheit zu verstehen.

Ich teile hier meinen eigenen Suchtverlauf der letzten 28 Jahre mit dir. Ungeschönt und direkt. Du kannst diese Struktur als Vorlage für dich nutzen, um sie für deinen Therapeuten oder für dich selbst auszufüllen und anzupassen.


Ein Foto einer Person, die nachdenklich an einem Tisch sitzt. Vor ihr liegt ein leeres Notizbuch und ein Stift. Die Person ist dabei, den ersten, schweren Satz zu schreiben. Symbolisiert den Beginn der Selbstreflexion. "Suchtanamnese schreiben", "eigene Suchtgeschichte", "Therapievorbereitung"

Mein Suchtverlauf im Detail (Vorlage)

Ab 14 Jahren – Alkohol 🍺

  • Nebenwirkungen: Anfangs Schwindel & Erbrechen. Dies habe ich mir bis zum 16. Lebensjahr „abtrainiert“.
  • Toleranzentwicklung: Schnell. Regelmäßig 4, 6, 8 halbe Liter Bier. Mit jeder Abstinenzphase wurde der nächste regelmäßige Konsum höher.
  • Konsummuster: Erst gemeinsam mit Freunden. Dann aber schnell der größte Teil allein in der Wohnung, oft um scheinbar besser schlafen zu können. Bei Depressionen oft exzessiv über den Tag verteilt.
  • Entzugserscheinungen: Kaum spürbar, da oft durch Cannabis ersetzt. Wenn, dann durch Schlaflosigkeit.
  • Letzter Konsum: 10.12.2023

Ab 14 Jahren – Cannabis 🌿

  • Nebenwirkungen: Anfangs Schwindel, der im Verlauf aber als gewünschter Effekt wahrgenommen wurde.
  • Toleranzentwicklung: Sehr schnell. Ab 17 täglich, auch nachts. Später durch Eigenanbau noch verstärkt.
  • Konsummuster: Erst gemeinsam, dann schnell den größten Teil allein, oft zum „besser“ schlafen.
  • Entzugserscheinungen: Kein starker körperlicher Entzug, eher vergleichbar mit Nikotinentzug – die Gewohnheit loswerden.
  • Letzter Konsum: 10.12.2023

Ab 14 Jahren – Ecstasy / MDMA 💊

  • Nebenwirkungen: Bei hohem Konsum Herzrasen, optische Täuschungen, kein Hunger. Aber auch die ersten Gefühle von Liebe und Geborgenheit.
  • Toleranzentwicklung: Bis 16 abgebaut. Ab Beginn von Verkauf und Handel keine richtige Kontrolle mehr.
  • Konsummuster: Anfangs Partydroge, später eher allein oder zu zweit zu Hause. 2017 durch das Darknet kurzzeitig wieder fast täglich.
  • Entzugserscheinungen: Keine körperlichen, höchstens Depressionen durch den Dopaminmangel.
  • Letzter Konsum: 09.12.2023

Ab 14 Jahren – Speed / Amphetamine & ADHS-Medikamente ⚡

  • Nebenwirkungen: Anfangs oft übler Comedown. Ekeliges Körpergefühl.
  • Toleranzentwicklung: Mit 16/17 höhere Dosen. In den letzten 13 Jahren oft als Ausgleich zu den Nebenwirkungen von Polamidon (z.B. Libidoverlust).
  • Konsummuster: Dosen wurden immer höher, Konsum über mehrere Tage ohne Schlaf. In den letzten 5 Jahren oft täglich in Form von Medikamenten (Ritalin, Medikinet, Elvanse).
  • Entzugserscheinungen: Die ersten Jahre keine. Zuletzt aber starke Aggression & Traurigkeit.
  • Letzter Konsum: 09.12.2023

Ab 16 Jahren – LSD / Bufotenin 🍄

  • Nebenwirkungen: Optische Täuschungen, Horrortrips.
  • Toleranzentwicklung: Erst nur gelegentlich. Im letzten Jahr beim Versuch der Selbstbehandlung von Depressionen durch Eigenanbau hohe Toleranz durch tagelangen Konsum.
  • Konsummuster: Bis zu den letzten 3 Jahren eher selten auf Partys. Im letzten Jahr dann nur noch allein.
  • Entzugserscheinungen: Keine, höchstens depressive Verstimmungen.
  • Letzter Konsum: ca. November 2023

Mit 25 Jahren – Heroin 💉

  • Nebenwirkungen: Anfangs oft Übergeben.
  • Toleranzentwicklung: Sehr schnell. Aber nur 2-3 Wochen oral und nasal konsumiert.
  • Konsummuster: Beim ersten Selbstmordversuch probiert. Danach täglich, um negative Gefühle zu unterdrücken.
  • Entzugserscheinungen: Damals noch keine großen. Eher der Wunsch, nichts fühlen zu müssen.
  • Letzter Konsum: Nach den 2-3 Wochen nie wieder konsumiert (ca. Mitte 2010).

Mit 25 Jahren – Methadon / Polamidon / Subutex

  • Nebenwirkungen: Durchfall, Erbrechen.
  • Konsummuster: Von 2010 bis 2023 im Substitutionsprogramm. Dosis immer weiter erhöht. Oft auf Partys mit Alkohol missbraucht und zusätzlich auf dem Schwarzmarkt nachgekauft. Zuletzt 20 ml Polamidon.
  • Entzugserscheinungen: Der typische „Heroin-Affe“. Starke Depressionen, Gähnen, Augentränen, Schnupfen bis hin zu Krämpfen, Restless Legs und unbändigem Verlangen.
  • Letzter Konsum: Abstinenz seit 01.03.2023 auf 0 gesetzt.

Mit 25 Jahren – Kokain / Crack ⚪

  • Nebenwirkungen: Anfangs keine. Zuletzt massive Gewichtsabnahme, Depressionen, Aggressionen.
  • Toleranzentwicklung: Bis zum 40. Lebensjahr nur gelegentlich. Im letzten Jahr dann fast täglich hohe Dosen in Kombination mit Alkohol, Ketamin & Amphetamin.
  • Entzugserscheinungen: Starke Depressionen, Suchtdruck und Aggressionen.
  • Letzter Konsum: ca. November 2023

Ab 32 Jahren – Benzos aller Arten & Rohypnol

  • Nebenwirkungen: Keine negativen, außer unkontrollierter Spontan-Schlaf.
  • Konsummuster: Anfangs um Ängste zu lösen. Dann um Alkohol- und Polamidon-Wirkung zu erhöhen. Zuletzt ca. 1 Blister täglich.
  • Entzugserscheinungen: Ähnlich wie bei Polamidon, aber oft nur 2 Tage.
  • Letzter Konsum: 10.12.2024

Ab 34 Jahren – Lyrika / Pregabalin / Gabapentin

  • Nebenwirkungen: Zuletzt Libidoverlust, Gewichtszunahme, Taubheitsgefühle, Sehstörungen, starkes Muskelzittern.
  • Konsummuster: Anfangs mit Alkohol/Energy Drinks für Rauscheffekte. Dann zur Minderung von Polamidon-Entzug. In der Reha-Zeit dann täglich eskaliert auf bis zu 6000-9000 mg.
  • Entzugserscheinungen: Nach der Reha-Zeit ähnlich wie bei Heroin: „Affe“, Depressionen, Krämpfe.
  • Letzter Konsum: ca. November 2023

Ab 38 Jahren – Rezeptfreie Medikamente & Schnüffelstoffe

  • Wirkstoffe: Dextromethorphan (DXM), Loperamid, Antihistaminika.
  • Konsummuster: Als Ersatz bei Polamidon-Entzügen entdeckt. Zum Überbrücken.
  • Entzugserscheinungen: Keine signifikanten.
  • Letzter Konsum: ca. Mai 2024

Ein Bild einer langen, verschlungenen und komplizierten Straße oder eines Zeitstrahls, der viele Abzweigungen und Sackgassen hat. Symbolisiert die lange und komplexe Suchtkarriere. "Suchtverlauf", "lange Suchtgeschichte", "Polytoxikomanie"

Weitere Substanzen (Zeiträume nicht mehr ermittelbar)

Hier eine Liste von Substanzen, die immer wieder verfügbar waren und konsumiert wurden:

  • Psychedelika: Pilze (Spitzkegeliger Kahlkopf etc.), 2C-T-2, 2C-T-7
  • Opioide: Tilidin, Fentanyl, Oxycodon, Tramadol
  • Dissoziativa: Ketamin, Lachgas
  • Designerdrogen: BZP, diverse andere.
  • Inhalantien: Aceton, Klebstoff, Deo-Dosen, Feuerzeuggas, Haarspray.
  • Pflanzliche Drogen: Engelstrompete, Stechapfel.
  • Sonstiges: Poppers, GBL/GHB, Kröten-Sekret, Spinnengift. …und sicher vieles, an das ich mich überhaupt nicht mehr erinnern kann.

Mein Fazit: Warum diese ehrliche Bestandsaufnahme so wichtig ist

Diese Liste zu schreiben, ist hart. Aber es ist der ehrlichste Blick in den Spiegel, den man haben kann. Es zeigt die Muster, die Eskalation und die Verzweiflung. Es ist ein Dokument der eigenen Krankheit.

Nutze diese Vorlage, um deine eigene Geschichte zu ordnen. Sei ehrlich zu dir und deinem Therapeuten. Es ist der erste Schritt, um die Kontrolle zurückzugewinnen.


Häufige Fragen (FAQ) zur Suchtanamnese


Warum verlangen Therapeuten eine Suchtanamnese?

Um ein vollständiges Bild deiner Erkrankung zu bekommen. Sie hilft dem Therapeuten, Muster zu erkennen (z.B. welche Drogen du als „Ersatz“ nutzt), die Dauer und Schwere der Abhängigkeiten einzuschätzen, Risikofaktoren zu identifizieren und einen passenden, individuellen Therapieplan zu erstellen.

Muss meine Suchtanamnese perfekt oder vollständig sein?

Nein, absolut nicht. Wie man an meinem Beispiel sieht, sind manche Erinnerungen und Zeiträume vage. Es geht darum, so ehrlich wie möglich zu sein mit dem, woran du dich erinnerst. Oft fallen einem im Laufe der Therapie noch mehr Dinge ein. Es ist ein lebendiges Dokument deiner Reise, kein Test, den man bestehen muss.

Ich schäme mich so für meine Vergangenheit. Wie schaffe ich es, das alles aufzuschreiben?

Das ist der schwierigste Teil. Versuche, es wie ein neutraler Beobachter oder ein Journalist zu tun, der Fakten sammelt. Du schreibst nicht auf, was für ein „schlechter Mensch“ du warst, sondern du dokumentierst die Symptome und den Verlauf einer Krankheit. Das kann helfen, die emotionale Last beim Schreiben zu reduzieren. Mach es in kleinen Schritten und sei stolz auf deinen Mut, überhaupt hinzusehen.


Über den Autor: NeelixberliN

More Reading

Post navigation

Leave a Comment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert