Rektale Applikation: Das unterschätzte Tabuthema bei Drogensucht

Drogenabhängigkeit ist ein komplexes Thema mit vielen Facetten. Neben den psychischen und physischen Auswirkungen der Sucht selbst spielen auch die verschiedenen Konsumformen eine wichtige Rolle. Während das Spritzen, Rauchen oder Schnupfen von Drogen gesellschaftlich bekannt und in ihren Risiken weitgehend erforscht sind, bleibt eine Applikationsform oft im Verborgenen: die rektale Applikation. Dieses Tabuthema verdient jedoch mehr Aufmerksamkeit, da es sowohl Chancen als auch Risiken birgt.

Arten der Drogenapplikation

Drogen können auf verschiedene Arten in den Körper gelangen. Die gängigsten Konsumformen sind:

  • Oral: Schlucken von Tabletten, Kapseln oder Flüssigkeiten.
  • Inhalation: Rauchen oder Inhalieren von Dämpfen.
  • Nasal: Schnupfen von Pulvern.
  • Injektion: Spritzen in Venen (intravenös), Muskeln (intramuskulär) oder unter die Haut (subkutan).

Jede Applikationsform hat unterschiedliche Auswirkungen auf die Geschwindigkeit und Intensität des Drogenrausches sowie auf die gesundheitlichen Risiken.

Was ist rektale Drogenapplikation?

Die rektale Applikation, im Sprachgebrauch von Drogenkonsumenten auch „Up your Bum“ genannt, bezeichnet die Einführung von Drogen in den After. Die Droge, meist Heroin, wird in flüssiger Form mithilfe einer Spritze (ohne Kanüle!) in den Enddarm eingeführt. Wichtig ist, dass der Wirkstoff nicht zu tief eingeführt wird, da das terminale Rektum den sogenannten „First-Pass-Effekt“ der Leber umgeht. Dieser Effekt beschreibt die erste Filterung von im Darm resorbierten Stoffen durch die Leber, was zu einer zeitlichen Verzögerung der Wirkung führt. Wird der Wirkstoff jedoch zu tief in den Dickdarm appliziert, gelangt er doch in die Leber und wird möglicherweise abgebaut, bevor er seine Wirkung entfalten kann.

Der Konsumvorgang bei der rektalen Applikation

Die rektale Applikation von Drogen erfordert einige Schritte, um die Wirkung zu maximieren und Risiken zu minimieren:

  1. Vorbereitung der Lösung: Die Droge wird wie für den intravenösen Konsum vorbereitet, d.h. in Wasser gelöst und aufgekocht. Es ist wichtig, die Lösung abkühlen zu lassen, bevor sie appliziert wird.
  2. Hygiene: Vor der Applikation sollten die Hände gründlich gewaschen werden. Ein Desinfektionstuch kann zusätzlich verwendet werden, um den Analbereich zu reinigen.
  3. Darmentleerung: Eine vorherige Darmentleerung kann von Vorteil sein, um ein ungewolltes Abführen durch die eingeführte Flüssigkeit zu vermeiden.
  4. Einführung der Lösung: Die Lösung wird mithilfe einer Spritze (ohne Kanüle!) vorsichtig in den After eingeführt. Die Spritze sollte nicht weiter als 1 cm eingeführt werden. Gleitgel kann die Einführung erleichtern.
  5. Position: Die Applikation kann im Liegen, Stehen oder Sitzen erfolgen.
  6. Langsame Injektion: Der Kolben der Spritze sollte langsam durchgedrückt werden, um die optimale Wirkung zu erzielen.
  7. Nachsorge: Nach der Applikation sollten die Hände erneut gründlich gewaschen werden. Die Spritze sollte im Hausmüll entsorgt oder bei einer Drogenhilfeeinrichtung abgegeben werden.

Achtung: Auch bei der rektalen Applikation besteht die Gefahr einer Überdosierung, insbesondere bei unbekannter Stoffqualität oder -reinheit. Es ist daher ratsam, vorsichtig zu dosieren und die Wirkung zunächst zu testen.

Wirkstoffaufnahme bei rektaler Applikation

Die Aufnahme von Drogen über den Enddarm erfolgt über die Schleimhaut. Diese ist gut durchblutet und ermöglicht eine schnelle Resorption des Wirkstoffs in den Blutkreislauf. Die rektale Applikation umgeht dabei zum Teil den sogenannten „First-Pass-Effekt“ der Leber, wodurch eine höhere Bioverfügbarkeit des Wirkstoffs erreicht wird. Das bedeutet, dass mehr vom Wirkstoff im Körper ankommt und seine Wirkung entfalten kann.

Die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Wirkstoffaufnahme hängen von verschiedenen Faktoren ab, wie z.B.:

  • Physikalisch-chemische Eigenschaften des Wirkstoffs: Lipohile (fettlösliche) Substanzen werden in der Regel besser resorbiert als hydrophile (wasserlösliche) Substanzen.
  • Darreichungsform: Lösungen werden schneller resorbiert als Zäpfchen oder Tabletten.
  • pH-Wert und Volumen der rektalen Flüssigkeit: Ein neutraler pH-Wert und ein ausreichendes Volumen der rektalen Flüssigkeit begünstigen die Wirkstoffaufnahme.
  • Anwesenheit von Stuhl im Rektum: Stuhl kann die Resorption des Wirkstoffs behindern.
  • Durchblutung der Darmschleimhaut: Eine gute Durchblutung fördert die Wirkstoffaufnahme.

Rektale Applikation in der Medizin

Interessanterweise findet die rektale Applikation auch in der Medizin Anwendung. Sie bietet eine flexible Alternative zur oralen Einnahme von Medikamenten, insbesondere wenn diese nicht geschluckt werden können oder der Magen-Darm-Trakt die Aufnahme behindert. Rektal verabreichte Medikamente können sowohl lokal als auch systemisch wirken.

Beispiele für die medizinische Anwendung der rektalen Applikation sind:

  • Lokale Behandlung: Zäpfchen gegen Verstopfung, Hämorrhoiden oder Entzündungen im Enddarmbereich.
  • Systemische Behandlung: Medikamente gegen Schmerzen, Fieber, Übelkeit, Migräne oder Allergien, sowie Beruhigungsmittel.
  • Notfallmedizin: Wenn die orale Gabe nicht möglich ist, z.B. bei Krampfanfällen.
  • Palliativmedizin: Schmerztherapie und Symptomkontrolle bei Patienten, die keine Medikamente mehr schlucken können.

Die rektale Applikation bietet in der Medizin einige Vorteile:

  • Schnelle Wirkung: Die Medikamente werden über die Darmschleimhaut schnell aufgenommen und gelangen in den Blutkreislauf.
  • Höhere Bioverfügbarkeit: Der First-Pass-Effekt der Leber wird teilweise umgangen, wodurch mehr vom Wirkstoff im Körper verfügbar ist.
  • Weniger Übelkeit: Im Vergleich zur oralen Einnahme treten weniger Übelkeit und Erbrechen auf.
  • Einfache Anwendung: Zäpfchen und Einläufe können in der Regel von den Patienten selbstständig angewendet werden.

Vorteile der rektalen Applikation (bei Drogensucht)

Die rektale Applikation bietet gegenüber anderen Konsumformen, insbesondere der intravenösen Injektion, einige Vorteile:

  • Schonung der Venen: Durch den Verzicht auf Injektionen werden die Venen geschont und das Risiko von Venenschäden, Abszessen und Thrombosen minimiert.
  • Reduziertes Infektionsrisiko: Da kein Blutkontakt stattfindet und kein Nadel-Sharing notwendig ist, ist das Risiko der Übertragung von Infektionskrankheiten wie HIV und Hepatitis deutlich geringer.
  • Schnelle und intensive Wirkung: Die Droge wird über die Darmschleimhaut schnell aufgenommen und gelangt in den Blutkreislauf, was zu einem raschen und intensiven Rausch führt. Die Wirkungsintensität ähnelt der des intravenösen Konsums.
  • Diskretion: Die rektale Applikation kann diskreter erfolgen als andere Konsumformen, was für manche Drogenabhängige ein wichtiger Faktor sein kann.

Nachteile der rektalen Applikation (bei Drogensucht)

Trotz der genannten Vorteile birgt die rektale Applikation auch einige Risiken und Nachteile:

  • Überdosierung: Da die Wirkung schnell und intensiv eintritt, besteht ein erhöhtes Risiko der Überdosierung, insbesondere bei unbekannter Stoffqualität oder -reinheit.
  • Schädigung der Darmschleimhaut: Die wiederholte Applikation von Drogen kann zu Reizungen und Entzündungen der Darmschleimhaut führen. Langfristig können chronische Darmerkrankungen, Inkontinenz und ein erhöhtes Risiko für sexuell übertragbare Infektionen die Folge sein.
  • Verstopfung: Die rektale Applikation kann zu Verstopfung führen, insbesondere bei regelmäßigem Konsum.
  • Psychische Abhängigkeit: Wie bei allen Konsumformen von Drogen besteht auch bei der rektalen Applikation die Gefahr der psychischen Abhängigkeit.

Prävalenz

Obwohl die rektale Applikation von Drogen eine Rolle im Konsumverhalten von Abhängigen spielt, liegen uns leider keine genauen Daten zur Häufigkeit dieser Konsumform vor. Es ist jedoch wichtig, diesen Aspekt zu erwähnen, um das Thema umfassend zu beleuchten und die Notwendigkeit weiterer Forschung zu unterstreichen.

Detaillierte medizinische und soziale Konsequenzen

Die medizinischen und sozialen Folgen der rektalen Drogenapplikation sind vielfältig. Neben den bereits genannten Risiken wie Überdosierung und Schädigung der Darmschleimhaut, können auch langfristige gesundheitliche Probleme auftreten. Dazu gehören beispielsweise chronische Entzündungen des Darms, Inkontinenz und ein erhöhtes Risiko für sexuell übertragbare Infektionen, insbesondere bei ungeschütztem Analverkehr.

Darüber hinaus sind Drogenabhängige, die die rektale Applikation bevorzugen, oft mit sozialen Stigmata konfrontiert. Schamgefühle und die Angst vor Verurteilung können dazu führen, dass Betroffene ihre Sucht und ihre Konsumform verheimlichen und keine Hilfe suchen. Dies kann die soziale Isolation verstärken und den Zugang zu medizinischer Versorgung und Unterstützung erschweren.

Präventions- und Behandlungsmöglichkeiten

Präventionsmaßnahmen sollten auf die Aufklärung über die Risiken verschiedener Konsumformen, einschließlich der rektalen Applikation, abzielen. Dabei ist es wichtig, die Zielgruppe adäquat anzusprechen und auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Ein wichtiger Aspekt der Prävention ist die Schadensminimierung (Harm Reduction). Hierzu gehören beispielsweise die Bereitstellung von sauberen Spritzen und Informationen zu Safer-Use-Praktiken, um das Risiko von Infektionen und anderen gesundheitlichen Schäden zu reduzieren.

Die Behandlung von Drogensucht ist komplex und erfordert einen individuellen Ansatz. Neben der Entgiftung und Entwöhnung spielen auch psychotherapeutische Maßnahmen und die soziale Reintegration eine wichtige Rolle. Substitutionstherapie mit Methadon kann eine Alternative für Heroinabhängige sein.

Im Umgang mit Drogenabhängigen, die die rektale Applikation praktizieren, ist es entscheidend, dass Angehörige, Freunde und medizinisches Personal sensibel und ohne Vorurteile auf die Betroffenen zugehen. Die Stigmatisierung dieser Konsumform kann dazu führen, dass sich die Betroffenen schämen und sich nicht trauen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Rechtliche Aspekte

Der Besitz und Konsum illegaler Drogen ist in Deutschland gemäß dem „Dritten BtMG-Änderungsgesetz“ strafbar. Die rechtlichen Konsequenzen richten sich nach der Art und Menge der Droge sowie nach den individuellen Umständen. Auch das Teilen von Drogenutensilien, selbst im Kontext der rektalen Applikation, kann rechtliche Folgen haben.

Fazit

Die rektale Drogenapplikation ist ein Tabuthema, das im Zusammenhang mit Drogensucht oft vernachlässigt wird. Obwohl diese Konsumform einige Vorteile gegenüber dem intravenösen Konsum bietet, wie beispielsweise die Schonung der Venen und ein reduziertes Infektionsrisiko, birgt sie auch spezifische Risiken und Gefahren. Dazu gehören die Gefahr der Überdosierung, die Schädigung der Darmschleimhaut und die Verstärkung von Verstopfung.

Ein zentrales Problem ist der Konflikt zwischen den potenziellen Vorteilen der rektalen Applikation im Hinblick auf die Schadensminimierung und der starken sozialen Stigmatisierung, mit der diese Konsumform verbunden ist. Diese Stigmatisierung kann dazu führen, dass Drogenabhängige, die rektal konsumieren, sich schämen und keine Hilfe suchen, was wiederum die gesundheitlichen und sozialen Folgen der Sucht verschlimmern kann.

Um die negativen Auswirkungen der rektalen Drogenapplikation zu minimieren, sind Aufklärung, Prävention und ein offener und vorurteilsfreier Umgang mit dem Thema unerlässlich. Es ist wichtig, Drogenabhängige über die Risiken und Gefahren aufzuklären, ihnen aber gleichzeitig Zugang zu Schadensminimierungsangeboten und medizinischer Versorgung zu ermöglichen. Zukünftige Forschung sollte sich verstärkt mit der Häufigkeit, den medizinischen und sozialen Folgen sowie den spezifischen Behandlungsbedürfnissen von Drogenabhängigen befassen, die die rektale Applikation praktizieren.

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