Sucht ist eine Krankheit, die nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch deren Angehörige stark belastet. Gefühle von Hilflosigkeit, Angst, Wut und Verzweiflung sind häufige Begleiter. Oftmals wissen Angehörige nicht, wie sie mit der Situation umgehen und ihrem geliebten Menschen helfen können. Die CRAFT-Methode bietet hier einen neuen Ansatz.
CRAFT steht für Community Reinforcement and Family Training und ist ein evidenzbasierter Ansatz, der Angehörige von Suchtkranken unterstützt. Im Gegensatz zu traditionellen Interventionen, die auf Konfrontation und Druck setzen, fokussiert sich CRAFT auf positive Verstärkung, Kommunikation und Selbstfürsorge. CRAFT wurde in den späten 1970er Jahren von Robert J. Meyers und William R. Miller entwickelt und ist eine Weiterentwicklung des Community Reinforcement Approach (CRA).
Was ist die CRAFT-Methode?
Die CRAFT-Methode basiert auf der Idee, dass das Umfeld und die Gemeinschaft eines Menschen einen erheblichen Einfluss auf dessen Suchtverhalten haben. Im Rahmen von CRAFT lernen Angehörige (im CRAFT-Jargon „Concerned Significant Others“ oder CSOs genannt) Strategien, um mit dem Suchtverhalten eines geliebten Menschen (im CRAFT-Jargon „Identified Patient“ oder IP genannt) umzugehen. Anstatt sich von dem Betroffenen zu distanzieren oder ihn zu konfrontieren, lernen Angehörige im Rahmen von CRAFT Strategien, um:
- die Kommunikation zu verbessern und positive Interaktionen zu fördern.
- positive Verhaltensweisen zu verstärken und negative Verhaltensweisen zu ignorieren.
- die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und auf die eigene psychische Gesundheit zu achten.
- den Betroffenen zu motivieren, sich Hilfe zu suchen und eine Behandlung zu beginnen.
Ziele der CRAFT-Methode
Die CRAFT-Methode verfolgt drei Hauptziele:
- Verbesserung der Lebensqualität der Angehörigen: CRAFT hilft Angehörigen, besser mit der Situation umzugehen, Stress abzubauen und die eigene psychische Gesundheit zu stärken.
- Reduzierung des Suchtmittelkonsums: Durch die Anwendung von CRAFT-Strategien kann der Suchtmittelkonsum des Betroffenen reduziert werden.
- Motivation zur Behandlung: Das ultimative Ziel von CRAFT ist es, den Suchtkranken dazu zu bewegen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Komponenten der CRAFT-Methode
Die CRAFT-Methode besteht aus verschiedenen Komponenten, die je nach den individuellen Bedürfnissen der Familie ausgewählt und angepasst werden können. Zu den wichtigsten Komponenten gehören:
Funktionale Analyse
Die funktionale Analyse hilft Angehörigen, die Auslöser und Konsequenzen des Suchtmittelkonsums des Betroffenen zu verstehen. Sie ist eine Modifikation der funktionalen Analyse, die im CRA-Programm verwendet wird. Der Unterschied besteht darin, dass bei CRAFT der Angehörige die Analyse für das Verhalten des Suchtkranken durchführt. Durch die Analyse des Verhaltensmusters können Angehörige lernen, welche Situationen, Gefühle oder Gedanken den Konsum auslösen.
Die CRA-Methode untersucht dabei folgende Aspekte:
- Vorgeschichte des Substanzkonsums: Was sind die Ursachen und die positiven und negativen Konsequenzen des Substanzkonsums? Dies ermöglicht es, neue Verhaltensweisen zu identifizieren, die den Betroffenen verstärken und gleichzeitig den Alkohol– und Drogenkonsum verringern.
- Soziale und berufliche Situation: Welche Rolle spielen familiäre und soziale Beziehungen sowie die Arbeitssituation im Zusammenhang mit dem Substanzkonsum?
- Auslöser: Sowohl externe Auslöser (z. B. bestimmte Personen, Orte, Zeiten) als auch interne Auslöser (z. B. negative Gedanken oder Gefühle) werden identifiziert, um die Faktoren zu verstehen, die den Substanzkonsum begünstigen.
- Positive und negative Konsequenzen: Welche kurzfristigen positiven und langfristigen negativen Folgen sind mit dem Konsum verbunden?
Positive Verstärkung
Positive Verstärkung ist ein zentrales Element der CRAFT-Methode. Angehörige lernen, positive Verhaltensweisen des Betroffenen zu erkennen und zu belohnen, z.B. durch Lob, Anerkennung oder gemeinsame Aktivitäten. Gleichzeitig lernen sie, negatives Verhalten zu ignorieren und den Betroffenen die natürlichen Konsequenzen seines Handelns erfahren zu lassen. So wird der Suchtmittelkonsum weniger attraktiv und die Motivation zur Veränderung gestärkt. CRAFT zielt darauf ab, nüchternes Verhalten für den Suchtkranken attraktiver zu machen als den Suchtmittelkonsum.
Kommunikationstraining
Kommunikation ist ein wichtiger Bestandteil jeder Beziehung, insbesondere in Familien, die von Sucht betroffen sind. CRAFT vermittelt Angehörigen positive Kommunikationsstrategien, um Konflikte zu vermeiden, die Beziehung zu stärken und den Betroffenen zu unterstützen. Dazu gehören aktives Zuhören, Ich-Botschaften, Empathie und die Vermeidung von Vorwürfen und Schuldzuweisungen.
Wenn Beziehungen in schwierige Zeiten geraten, gibt es vier vorhersehbare Veränderungen in der Art und Weise, wie Menschen miteinander kommunizieren:
- Sie hören auf, positive Aussagen zu verwenden. Gespräche verlieren ihre positiven Komponenten und konzentrieren sich fast ausschließlich auf das Negative.
- Sie hören auf, Aussagen zu verwenden, die mit „Ich“ beginnen, und verwenden stattdessen Aussagen, die mit „Du“ beginnen, was leicht als Angriff oder Zwang interpretiert werden kann.
- Sie hören auf, Verständnis zu zeigen und dem anderen mitzuteilen, dass sie verstehen, wie er sich fühlt.
- Sie hören auf, die Bereitschaft zu zeigen, die Verantwortung für die Situation zu teilen, und konzentrieren sich darauf, Schuld zuzuweisen.
Krisenmanagement
Suchtkranke befinden sich oft in Krisensituationen, die für sie und ihre Angehörigen gefährlich werden können. CRAFT schult Angehörige darin, solche Situationen zu erkennen und angemessen zu reagieren. Dazu gehört die Entwicklung eines Krisenplans, die Kenntnis von Notfallnummern und die Fähigkeit, bei Bedarf professionelle Hilfe hinzuzuziehen.
Ein wichtiger Aspekt des Krisenmanagements ist die Definition eines Krisenmanagement-Frameworks. Dieses Framework sollte folgende Punkte berücksichtigen:
- Was ist eine Krise? Wer entscheidet, wann eine Situation als Krise einzustufen ist?
- Eskalationsprozesse: Wie werden Krisen eskaliert und wer hat die Entscheidungsbefugnis?
- Kommunikationsrichtlinien: Wie werden Informationen intern und extern kommuniziert? Wer ist der Sprecher der Familie?
- Ressourcenmanagement: Welche Ressourcen werden in einer Krise benötigt und wie werden diese vorgehalten?
CRAFT in der Praxis
Die CRAFT-Methode kann in verschiedenen Settings angewendet werden, z.B. in Einzel- oder Gruppentherapien. In der Regel umfasst eine CRAFT-Intervention 10-14 Sitzungen, in denen die Angehörigen die verschiedenen Komponenten der Methode erlernen und üben.
Beispiele:
- Ein Angehöriger lernt im Rahmen von CRAFT, die positiven Verhaltensweisen seines suchtmittelabhängigen Partners zu verstärken. Anstatt ihn für seinen Alkoholkonsum zu kritisieren, lobt er ihn, wenn er einen Abend nüchtern bleibt und Zeit mit der Familie verbringt. Gleichzeitig lernt er, die eigenen Bedürfnisse zu wahren und sich nicht von der Sucht des Partners kontrollieren zu lassen.
- Eine Mutter lernt, die Bitten ihres Sohnes nach Geld oder Unterstützung genauer zu hinterfragen und ihm nicht immer blind zu vertrauen. Sie setzt klare Grenzen und lässt sich nicht emotional erpressen. Gleichzeitig zeigt sie ihrem Sohn aber auch, dass sie ihn liebt und für ihn da ist, wenn er Hilfe benötigt.
- Ein Vater lernt, die positiven Veränderungen im Verhalten seiner Tochter wahrzunehmen und zu würdigen, auch wenn diese noch klein sind. Er ermutigt sie, weiter an ihrer Genesung zu arbeiten und bietet ihr seine Unterstützung an.
CRAFT im Vergleich zu anderen Ansätzen
Im Vergleich zu anderen Ansätzen, wie z.B. Al-Anon, Nar-Anon oder traditionellen Interventionen, zeigt CRAFT eine höhere Erfolgsquote bei der Motivation zur Behandlung. Studien belegen, dass CRAFT-geschulte Angehörige in 64-74% der Fälle ihre suchtmittelabhängigen Angehörigen dazu bewegen konnten, eine Behandlung zu beginnen. Dies liegt vermutlich daran, dass CRAFT auf positiven Verstärkung und konstruktiver Kommunikation basiert und die Angehörigen aktiv in den Veränderungsprozess einbezieht.
Ein wichtiger Unterschied zu Al-Anon und Nar-Anon ist, dass CRAFT die Angehörigen nicht zur Distanzierung vom Suchtkranken auffordert, sondern die Beziehung als Ressource nutzt. Anstatt sich emotional zu lösen, lernen Angehörige, wie sie die Beziehung zu dem Suchtkranken positiv beeinflussen und ihn zur Veränderung motivieren können.
Vor- und Nachteile der CRAFT-Methode
Vorteile | Nachteile |
Hohe Erfolgsquote bei der Motivation zur Behandlung | Kann zeitaufwendig und kostenintensiv sein |
Stärkung der Angehörigen und Verbesserung der Lebensqualität | Erfordert Engagement und Mitarbeit der Angehörigen |
Positive und konstruktive Herangehensweise | Nicht in allen Regionen verfügbar |
Reduzierung von Konflikten und Verbesserung der Kommunikation | |
Förderung der Selbstfürsorge |
Tipps für Angehörige
- Informieren Dich über Sucht: Je mehr Du über die Krankheit weist, desto besser kannst Du die Situation verstehen und Deinem Angehörigen helfen.
- Suche Unterstützung: Spreche mit anderen Angehörigen, Freunden oder einem Therapeuten über Deine Sorgen und Gefühle.
- Achte auf Dich selbst: Vergesse nicht Deine eigenen Bedürfnisse und sorge für ausreichend Erholung und Entspannung. Dazu gehören regelmäßige Bewegung, gesunde Ernährung, Entspannungstechniken wie Yoga oder Meditation und die Pflege sozialer Kontakte. Deine eigene psychische Gesundheit ist essentiell, um dem Suchtkranken helfen zu können.
- Setze Grenzen: Lasse Dich nicht von der Sucht Deines Angehörigen kontrollieren und schützen Dich vor emotionaler und finanzieller Ausbeutung.
- Bleibe geduldig: Der Weg zur Genesung ist lang und erfordert Zeit und Geduld.
- Verliere nicht die Hoffnung: Sucht ist eine behandelbare Krankheit.
Weitere Ressourcen
- Bücher: „Get Your Loved One Sober: Alternatives to Nagging, Pleading and Threatening“ von Robert J. Meyers und Brenda L. Wolfe
- Online-Plattformen:
- Allies in Recovery (https://alliesinrecovery.net)
- The Center for Motivation and Change (https://motivationandchange.com)
- Organisationen:
- Partnership to End Addiction (https://drugfree.org)
- Hazelden Betty Ford Foundation (https://www.hazeldenbettyford.org)
Fazit
Die CRAFT-Methode bietet Angehörigen von Suchtkranken einen neuen Weg, um mit der Situation umzugehen und ihren geliebten Menschen zu helfen. Durch die Kombination von positiver Verstärkung, Kommunikationstraining und Selbstfürsorge werden Angehörige befähigt, eine aktive Rolle im Genesungsprozess zu spielen und die Motivation des Betroffenen zur Behandlung zu stärken. CRAFT ist ein vielversprechender Ansatz, der dazu beitragen kann, die negativen Auswirkungen von Sucht auf Familien zu reduzieren und den Weg zur Genesung zu ebnen.
Gerade in der heutigen Zeit, in der Suchtmittel immer leichter verfügbar sind und die Stigmatisierung von Suchtkranken weiterhin ein großes Problem darstellt, ist es wichtig, dass Angehörige die notwendige Unterstützung erhalten. Die CRAFT-Methode kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie Familien neue Wege aufzeigt, um mit der Krankheit umzugehen und gemeinsam den Weg zur Genesung zu finden.
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