3 Monate und 7 Tage clean & trocken

Ja ich überwinde mich heute und schreibe endlich wieder einen Eintrag ins Tagebuch. Es kommen ja doch hier und da die Rückfragen, ob ich noch clean bin oder warum ich hier nicht berichte. Immerhin macht es tatsächlich sogar den größten Zugriffs-anteil der Webseite aus. Ich kann es gar net so richtig erklären warum, irgendwie war mir nicht danach und ich habe mich auch ziemlich mit unzähligen anderen neuen Artikeln abgelenkt. Teilweise kam da sicher auch mein Sucht-ich durch, denn die Artikel entstehen oft genau so, wie ich als Süchtiger nach weiteren oder neuen Infos suchen würde. Da kommt zum Beispiel der Artikel zu Fentanyl, und ich muss auf jeden Fall auch noch alles über Carfentanyl wissen. Oder Der Artikel „High werden ohne Drogen“ bringt mich zu holoptropen Atmen, wozu ich dann auch direkt alles wissen muss.

Dabei gibt es tatsächlich genug zu berichten und ich muss mir wirklich wieder angewöhnen, Euch öfter und mehr über meinem Weg zu berichten. Denn gerade das ist ja interessant. Wie schafft es so ein Volljunkie wie ich, abstinent zu bleiben und die schlimmen Situationen zu meistern. Es ist auf jeden Fall nicht immer einfach kann ich vorab sagen. Ich hab eine kurze Zeit gedacht, die Abstände von Suchtdruck & Craving werden größer, das Verlangen kleiner usw. Aber es kann mich von jetzt auf gleich auch voll erwischen, oder schleichend, wie ich gleich als erstes berichten werde. Ich muss mittendrin anfangen, alle Tage aufzuholen wäre mittlerweile tatsächlich to much. Aber die wichtigsten Momente will ich heute wieder gerne mit Dir teilen.

Komme ich also zu meiner größten Herausforderung der letzten Woche. Ich berichtete ja schon, das ich an so einer wunderschönen Maßnahme vom Jobcenter teilnehmen muss. Es ist wirklich grausam und ich versuche unnötige Bastelstunden zu vermeiden. Aber bei evtl. sinnvollen Dingen wie eine PSB Beratung (obwohl ich die ja schon 13 Jahre im Methadon Programm – Substitution – hatte), oder einen Ausflug zu einer Jobmesse bin ich zumindest anwesend, um auch meinen Willen zu zeigen, oder besser das ich weiter clean bin und mein Leben im Griff habe. An diesem Tag stand wieder so ein Termin an. Jobmesse in Berlin Mitte, nähe der Jannowitzbrücke. Ich hatte bisher erfolgreich vermieden, mit der U8 zu fahren, denn die war bisher immer ganz sicher mein Rückfall-Urteil. Aber durch Umleitungen und Co ging es an diesem Tag nicht anders und alle sollten sich dort um 9:50 Uhr treffen. Ich hatte warum auch immer 9:30 Uhr in mein Maps eingetragen, was ich aber erst später bemerkte. Jedenfalls musste ich spontan die Entscheidung treffen, in diese fucking U8 zu steigen. Und da ich mich zu diesem Zeitpunkt stabil und sicher fühlte, dachte ich, das schaffst Du schon.

Ich saß keine 5 Minuten in der U-Bahn da fing es schon an. Ich hatte aber rückblickend auch viele andere Dinge falsch gemacht. Ich kutschierte meinen neuen 1,2 Liter Kaffeebecher (diese Dinger mit dem Strohalm) mit mir und war dabei, bereits die 2te Füllung an diesem Morgen zu leeren. Zudem hörte ich Schranz (der Bundesschranzler von Tiktok ist Schuld :D) und beobachtete diesmal genau die falschen Menschen. Nicht die hübschen bunten Vögel, von denen Berlin unzählige besitzt. Nein, die Raben und Krähen mit dem Sterni in der Hand. Und dann kam mein Hyde aus der letzten Gehirnzelle gekrochen und fing an.

„Niemand würde jetzt mitbekommen, wenn Du einfach 2-3 Stationen weiter fährst“. Einmal wieder mit ein paar Lyrika belohnen. Oder etwas Schore (was mich eigentlich null interessiert), die ist so doll gestreckt, davon wirst Du nicht sofort abhängig. Rückblickend war die Schore wohl eher wegen der Prozedur plötzlich atraktiv. Denn am Abend vorher hatte mir in der Selbsthilfegruppe ein junges Mädchen in einem Einzelgespräch ihre Alufolie mit 3 Streifen Fentanyl gezeigt. Um mir zu zeigen wie sie es gerade it kontrollierten Konsum versucht. Da hatte es mich gedacht nicht gestört. Ich bin zumindest auf einem Level, wo ich wirklich nicht mehr konsumieren will und alle Konsequenzen kenne. Ich sage auch bewusst ganz offen und ehrlich, ein Rückfall wäre mein Todesurteil und ich würde es vermutlich nicht mehr raus schaffen. Ich könne nicht mehr stoppen und bei meinen Substanzen völlig überdosieren wenn schon einmal angefangen.

Aber meinem Hyde war das egal, der würde vermutlich gerade in Berlin einfach in den nächsten Kopf springen und weiter machen. Er kämpfte also schon auf der Hinfahrt ziemlich mit mir. Aber ich schaffte es zum Rathaus und stand nun da, pünktlich um 9:30 Uhr. Aber das war falsch wie ich dann schnell bemerkte. 9:50 Uhr war der richtige Treffpunkt und ich musste nochmal 20 Minuten vor diesem Gebäude warten. Hin und her laufend qüalte ich mich, ob ich nicht doch schnell zurück zur Jannowitz Brücke soll, da gibt es an den richtigen Ecken auch immer Stoff. Zumindest besorgen, weiß ja keiner und man weiß ja nie, ob ich es nicht doch mal brauchen würde. So ein Blödsinn, aber das schießt dann tatsächlich in den Kopf. Mir ist dann auch in diesen Momenten völlig klar, was es für eine Gehirnkacka ist, aber ich kann es nicht abstellen und sie stinkt dann immer mehr in die anderen Zellen.

Aber endlich kam der Rest der Truppe. Nur freuen konnte ich mich jetzt bis auf das Wiedersehen mit der Leiterin auch nicht wirklich. Sagen wir mal, die anderen ohne Glitzer im Gesicht finden mich vermutlich genau so sonderbar wie ich sie und wir finden einfach keine Sympathie. Dann gingen wir gemeinsam nach oben ins Gebäude und es wurde kurz abgesprochen, das wir uns aufteilen, um uns dann 1 Stunde später wieder davor (oberer Eingang) zu treffen. Normal wäre ich wie beim letzten Mal mit der Leiterin zusammen gelaufen, aber die muss sich natürlich auch um die anderen Patienten kümmern und ich ging schon mal vor. Und kein Witz, meine Wohnung ist vermutlich genau so groß wie die Job MESSE Fläche. Und dann fing auch schon wieder mein Hyde mich an zu überzeugen… Bundeswehr, was willst Du da, Rentenkasse, welcher Idiot zahlt da eigentlich noch freiwillig ein. Hochschulen, irgendwo hab ich dann auch ein zu hohes Alter erreicht usw. Nur die DRK Kliniken sind mir kurz positiv aufgefallen, aber eben nur das sie da waren. Nach max. 1 Minute war ich also durch gelaufen und dachte mir, cool, dann setzte ich mich mal mit Hyde und meinen Igelball vor den Eingang und warte. Aber dann wurde es wieder schlimmer. Wirklich schon fast unerträglich. Denn ich war unzufrieden, Unzufrieden dort zu sein, unzufrieden Suchtdruck zu haben, unzufrieden über die Menschen mit denen ich dort sein musste und absolut unzufrieden über die Mini Messe. So ist das als Süchtiger. Da findest Du eben 1000 Gründe warum alles schlecht ist und Du konsumieren musst. Ja genau, Hyde war schon bei Gründen die dafür sprachen. Es gab nur noch eine Lösung. Ich musste ganz schnell da weg und nach Hause. Also wieder rein, zur Leiterin (die meine Suchtproblematik und diese Webseite kennt), kurz geschildert was los ist und mit einem OK verabschiedet.

Auf dem Weg zur Jannowitzbrücke war selbst der Edeka interessant. Na dann doch wenigstens nen Bier für die Rückfahrt, zum runter kommen. Nein, verdammt, dann fahre ich doch erst recht zum Kotti und hab den Schalter in Gang gelegt. Ich konnte mit meinem cleanen ich wirklich nur noch denken „Verdrängen, ausblenden, einfach weiter laufen und wie ein Tesla das richtige Ziel ansteuern“. Mein Hyde allerdings versuchte mir quasi immer wieder den Kopf in die falschen Richtungen zu drehen. Unten an der U-Bahn Station angekommen kam es mir dann vor wie in einem Film, indem man ne Rolltreppe zur Hölle und zum Himmel zeigen würde. Denn die eine Richtung führte zum Kotti, die andere nach Hause. Tod, oder Leben? Und selbst als ich eingestiegen bin (natürlich in die richtige Richtung) musst Du alle 1-2 Minuten neu überlegen und bräuchtest quasi nur schnell rüber springen, um dann doch wieder zur Hölle zu fahren. Dann dachte ich, ich bin schlau. Steige am Gesundbrunnen aus, dann umgehst Du gewisse Punkte. Aber denkste, da fuhr wieder nix in meine Richtung und ich musste wieder auf den berühmten Höllenpfad der U8. Richtung Kotti, 5 Minuten warten, Richtung nach Hause 11 Minuten warten. Also wirklich, da müssen mehrere Hydes zusammen gearbeitet haben.

Was mich dann irgendwie etwas abgehalten hat, nicht in Richtung Hermannplatz zu fahren, war jemand der typisch Kotti mit vollgekackter Buxe und völlig breit auf einer Bank gammelte. Es hat so mega gestunken, ich hatte noch stunden später das Gefühl es riechen oder an mir haften zu können. Und da konnte ich mir sagen, das bedeutet der falsche Weg. Das bist Du, wenn Du die falsche Entscheidung triffst. Also schaffte ich es nach Hause, und ich war noch nie so froh, es clean dort hin geschafft zu haben. Aber seit diesem Tag, habe ich diesen Suchtdruck, oder die Gedanken es mir zu erlauben doch schon ziemlich oft muss ich gestehen. Mir fehlt der Rausch plötzlich, obwohl ich genau weiß, das ich mir das vormache. Daher auch der Artikel dazu, warum wir süchtigen das eigentlich immer wieder nach einer längeren Abstinenz tun.

Der Tag danach war dann wiederum ein ganz anderer und wirklich positiver Tag. Denn ich war mit 2 Freundinnen beim Fick Dich Sucht Stammtisch in Berlin Neukölln. In den Räumen von Balanx Berlin und mit dem vom (unter anderem) Sucht & Süchtig Podcast beakannten Hagen Decker. Ich kann jetzt so wie es für Gruppen üblich ist nicht zu viel berichten (höchstens empfehlen selbst mal dort vorbei zu schauen und es zu erleben), außer das die Menschen dort wirklich eine unglaublich gute Mischung waren. Es war wirklich alles vertreten und genau so, wie man sich so einen Austausch oder den Sinn einer Selbsthilfegruppe vorstellen kann. Zudem fand ich es klasse, das Hagen Decker keine Star Allüren hatte und ein Sucht-Mensch wie Du und ich geblieben ist 😀

Natürlich musste ich dann auch eine Bericht über Balanx e.V. schreiben und habe so auch sehr viel interessantes über diese Arbeit erfahren. Es hat mich stark beeindruckt, vor allem weil ich ja ein wenig von Andreas in der Gruppe gehört hatte. Er hat mit seiner Arbeit das geschafft, was ich so gerne erreichen möchte. Aus all dem schlechten in seinem Leben etwas Gutes machen & anderen helfen. Rechtzeitig helfen am besten, und genau das tut er mit seiner Jugendarbeit. Deswegen treffe ich mich demnächst auch auf ein Pläuschchen noch einmal mit ihm 🙂

Ansonsten verbringe ich viel Zeit mit dem kleinen alten schwarzweiß Stinkepups, den ich hier zur Pflege habe. Es tut mir wirklich gut, da ich wieder Stunden durch Wald und Stadt spazieren kann, ohne es mit einer aufkommenden Schoppinsucht zu verbinden. Auch besuche ich jetzt mehr cleane Kontakte aus der Selbsthilfegruppe & es gab schon leckere Verkostungen, Kochzeiten und Kaffeklatsch Gespräche. Das brauche ich auch ab und ab, denn die Webseite verbraucht noch immer sehr viel meiner Lebenszeit. Aber ich liebe diese Arbeit und hoffe, sie immer weiter mit meinen Zielen und Vorstellungen nach vorn zu bringen. Meine Verhandlung wegen dem Cannabis-konsumgesetzt (so wird es in der Anklage genannt) wurde auf nächste Woche verschoben und zu den anderen Haftbefehlen und Co gibt es auch noch keine neuen Infos. Den künftigen Presseartikel durfte ich vorher nochmal einsehen und er ist nun frei gegeben. Ich will jetzt nichts falsches Versprechen, aber evtl. kann ich es mir nun wieder angewöhnen, Euch täglich einen kleinen Bericht da zu lassen, es kommt auf jeden Fall auf die To-Do-Liste. Das Wichtigste ist zumindest, ich bin weiter clean & trocken!

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