Ein Artikel aus der „Die Psychologie der Sucht“-Serie von NeelixberliN
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Trigger-Warnung: Dieser Artikel behandelt die Themen Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS), Sucht, schwere emotionale Dysregulation, Selbstverletzung und chronische Suizidalität.
Nach 28 Jahren Recovery habe ich unzählige Menschen kennengelernt, die in einer doppelten Hölle lebten. Sie galten als „die Süchtigen“. Die „Junkies“. Die „Alkoholiker“. Aber das war nur die halbe Wahrheit.
Es waren die Menschen mit der unerträglichsten inneren Anspannung, die ich je gesehen habe. Menschen, die von 0 auf 100 in Wut explodiert sind. Die von himmelhochjauchzend in suizidale Abgründe fielen. Menschen, die von einer chronischen, alles verschlingenden inneren Leere sprachen – einem schwarzen Loch in der Brust, das nichts füllen konnte.
Und ihre Sucht? War nie das Problem. Sie war die „Medizin“. Sie war der verzweifelte, aber genial-zerstörerische Lösungsversuch für eine Krankheit, die oft unerkannt darunter lag: die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS).
Wenn du das Gefühl hast, dass deine Emotionen dich verbrennen, dass die Leere dich zerreißt und die Sucht die einzige „Bremse“ oder der einzige „Kick“ ist, der das Leben aushaltbar macht, dann ist dieser Artikel für dich.
Deine Sucht ist nicht deine Persönlichkeit. Sie ist der Schutzschild, den du dir gebaut hast, um mit einer unerträglichen emotionalen Realität zu überleben. Solange du nur die Sucht bekämpfst, kämpfst du gegen dein eigenes Schutzschild, anstatt die Wunde darunter zu heilen. Es ist Zeit, die wahre Ursache anzuerkennen.
🎯 Die harten Fakten: Die Zwillings-Diagnose BPS & Sucht
📊 Die harten Fakten in Zahlen: Die Zwillings-Diagnose BPS & Sucht
Die Überschneidung zwischen Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) und Substanzgebrauchsstörungen (Sucht) ist eine der höchsten in der gesamten Psychiatrie:
- Massive Komorbidität: Je nach Studie haben bis zu **78%** aller Menschen mit einer BPS-Diagnose irgendwann in ihrem Leben auch die Kriterien einer Suchterkrankung erfüllt.
- Sucht als Symptom: Die Forschung ist sich weitgehend einig, dass bei dieser Doppeldiagnose meist die BPS (bzw. das zugrundeliegende Trauma) zuerst da war. Die Sucht entwickelt sich als Versuch der Selbstmedikation.
- Hohes Risiko: Menschen mit BPS haben ein signifikant höheres Risiko für Hochrisiko-Konsum, Mischkonsum und den Gebrauch von intravenösen Drogen, da die zugrundeliegende Impulsivität und der Drang zur Selbstzerstörung extrem hoch sind.
- Therapie-Goldstandard: Die **Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT)**, entwickelt von Marsha Linehan (die selbst betroffen war), gilt als die wirksamste Behandlung. Sie wurde speziell für diese Patientengruppe entwickelt und kombiniert Verhaltenstherapie mit radikaler Akzeptanz und Achtsamkeit.
🔬 Wissenschaft: Mehr als nur „emotional instabil“
Das Stigma „Borderliner sind schwierig“ ist Bullshit. BPS ist eine schwere psychische Verletzung, die oft aus massivem Kindheitstrauma (Missbrauch, Vernachlässigung) resultiert. Es ist eine **Störung der Emotionsregulation**. Stell dir vor, du lebst ohne emotionale Haut.
Die drei Kern-Höllen von BPS sind:
- 1. Emotionale Dysregulation: Deine Gefühle sind kein Thermostat, sie sind ein Lichtschalter. Es gibt keinen Dimmer. Du gehst von 0 (normal) auf 100 (unerträgliche Wut, Panik oder Verzweiflung) in Sekunden.
- 2. Chronische innere Leere: Ein tiefes, schwarzes Loch-Gefühl. Eine furchtbare innere Stille und Sinnlosigkeit, die fast schmerzhafter ist als die Gefühlsausbrüche.
- 3. Identitäts- & Beziehungsstörung: Eine ständige Angst vor dem Verlassenwerden, die zu extremen, instabilen „Schwarz-Weiß“-Beziehungen (Idealisierung vs. Entwertung) und oft zu selbstverletzendem oder suizidalem Verhalten führt.

🎭 Die perfekte, tödliche „Medizin“: Wie die Sucht deine BPS-Symptome „löst“
Die Sucht ist bei BPS kein Zufall. Sie ist eine hochgradig funktionale (aber destruktive) Selbstmedikation, die perfekt auf die Kernsymptome zugeschnitten ist.
⚠️ Die (fatale) Logik der Selbstmedikation bei BPS
Die Sucht ist bei BPS kein Zufall. Sie ist eine hochgradig funktionale (aber destruktive) Selbstmedikation, die perfekt auf die Kernsymptome zugeschnitten ist:
1. Die „Bremse“ (Downer-Konsum):
- Symptom: Emotionale Tsunami-Wellen, unerträgliche Anspannung (Hyperarousal).
- „Medizin“: Du nutzt **Alkohol, Opiate (Heroin) oder Benzodiazepine (Tavor)**, um diese unkontrollierbaren Gefühle zu dämpfen, zu betäuben und endlich Ruhe im Kopf zu haben.
2. Der „Kickstarter“ (Upper-Konsum):
- Symptom: Das chronische „Schwarze Loch“, die innere Leere, Dissoziation (Hypoarousal).
- „Medizin“: Du nutzt **Kokain, Speed oder Amphetamine**, um dich überhaupt lebendig zu fühlen, um aus der Taubheit auszubrechen und die Leere mit künstlicher Euphorie zu füllen.
In beiden Fällen ist die Droge die einzige „Fähigkeit“ (Skill), die du gelernt hast, um diese extremen Zustände auszuhalten.

🛡️ Safer Use: Hacke den Goldstandard – DBT-Skills für deinen Alltag
Du kannst nicht „beschließen“, keine Borderline-Symptome mehr zu haben. Aber du kannst lernen, mit ihnen umzugehen. Der Goldstandard dafür ist die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT).
🛡️ Safer Use: Der Goldstandard – Hacke die DBT-Skills
Die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) ist der Goldstandard. Sie bringt dir bei, was dir als Kind gefehlt hat. Hier sind die 4 Module, gehackt für dich:
- Achtsamkeit (Das „Was“): Lerne, deine Gefühle zu beobachten, ohne sie zu sein. Sage: „Ich bemerke das Gefühl von Wut“, statt „Ich BIN wütend.“ Das schafft die entscheidende Sekunde Distanz.
- Stresstoleranz (Der „Notfallkoffer“): Was tust du, wenn die Welle kommt? DBT lehrt „TIPP-Skills“: **T**emperatur (eiskaltes Wasser ins Gesicht), **I**ntensive Bewegung (Liegestütze), **P**acing (Atmung verlangsamen), **P**aared Muscle Relaxation (Anspannen/Entspannen). Das sind gesunde Alternativen zur Droge oder zur Selbstverletzung.
- Emotionsregulation (Der „Dimmer“): Lerne, die Wellen vorherzusehen und abzuschwächen. Erkenne deine Trigger. Baue positive Erlebnisse in deinen Tag ein. Sorge für deinen Körper (Schlaf, Ernährung).
- Zwischenmenschliche Fähigkeiten (Beziehungen): Lerne, wie du „Nein“ sagst, ohne die Beziehung zu zerstören. Lerne, wie du nach Hilfe fragst, ohne zu manipulieren. Lerne, gesunde Grenzen zu setzen.
🤔 Ausführliche FAQ
🤔 Bin ich „Borderliner“, nur weil ich Stimmungsschwankungen habe und Drogen nehme?
✅ Nein. Eine echte BPS-Diagnose ist komplex und muss von einem Facharzt gestellt werden. Viele Süchtige erleben durch den Konsum selbst extreme Stimmungsschwankungen (z.B. Koks-Hoch, Alk-Tief). BPS-Patienten haben diese extreme emotionale Dysregulation aber auch im nüchternen Zustand, oft seit der Jugend.
❤️ Was soll ich zuerst behandeln? Die Sucht oder die BPS?
✅ Das ist die Henne-Ei-Frage. Die moderne Antwort lautet: Beides gleichzeitig (integrierte Behandlung). Eine Suchttherapie ohne BPS-Verständnis scheitert, weil die Ursache (die Leere) ignoriert wird. Eine BPS-Therapie ohne Suchtbehandlung scheitert, weil der Patient nie nüchtern genug ist, um die Skills zu lernen. Du brauchst einen Therapeuten, der BEIDES versteht.
🧠 Sind Borderline-Patienten nicht „untherapierbar“ oder „manipulativ“?
✅ Das ist ein bösartiges, veraltetes Stigma. BPS ist absolut behandelbar! DBT hat hervorragende Erfolgsquoten. Das, was oft als „Manipulation“ gesehen wird, ist in Wahrheit die verzweifelte, ungelernte Art eines Menschen in extremem Schmerz, seine Bedürfnisse (z.B. nach Sicherheit) zu kommunizieren.
💪 Was sind „TIPP-Skills“ (Stresstoleranz) genau?
✅ Das ist ein Notfall-Hack aus der DBT, um einen emotionalen Tsunami sofort zu stoppen. **T** = Temperatur (tauche dein Gesicht in eiskaltes Wasser, das löst den „Tauchreflex“ aus und beruhigt das Nervensystem sofort). **I** = Intensive Bewegung (mach 20 Liegestütze, renn die Treppe hoch). **P** = Pacing (verlangsame deine Atmung, z.B. 4 Sek. ein, 6 Sek. aus). **P** = Paared Muscle Relaxation (Muskeln stark anspannen und abrupt loslassen).
😔 Wo finde ich Hilfe für DBT und Doppeldiagnose?
✅ Suche gezielt nach „Doppeldiagnose“-Kliniken oder Therapeuten mit einer „DBT-Ausbildung“. Der „Dachverband DBT“ in Deutschland hat Therapeutenlisten. Auch viele Suchtberatungsstellen kennen sich mit der Komorbidität aus und können dich richtig vermitteln.
📚 Lesetipp zur Vertiefung
📖 Lesetipp zur Vertiefung
Ich hasse dich – verlass mich nicht von Kreisman & Straus
Dies ist der absolute Klassiker und das beste Buch für Betroffene und Angehörige, um BPS zu verstehen. Es erklärt die innere Zerrissenheit, die Angst vor dem Verlassenwerden und die emotionale Achterbahn auf eine unglaublich klare und mitfühlende Weise. Es nimmt die Scham und ersetzt sie durch Verständnis. Pflichtlektüre.
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🎬 NeelixberliN Fazit
Ich habe so viele Menschen getroffen, die als „untherapierbare Junkies“ abgestempelt wurden. In Wahrheit waren sie unbehandelte Borderline-Patienten. Sie waren nicht „willensschwach“ oder „drogensüchtig“ – sie waren Überlebende im Dauereinsatz, die unerträgliche seelische Schmerzen aushalten mussten.
Die Drogen waren ihre Rüstung.
Wenn du dich in diesem Artikel wiedererkennst, ist das Wichtigste, was ich dir sagen kann: Nimm die Scham von dir. Du bist nicht „kaputt“ oder „schlecht“. Du bist ein Mensch mit extrem feinen Antennen, dessen „Lautstärkeregler“ für Gefühle kaputt ist. Deine Sucht war der Beweis deiner unglaublichen Überlebenskraft – du hast einen Weg gefunden, mit dem Unerträglichen zu leben.
Jetzt ist es an der Zeit, diesen alten, zerstörerischen Skill (die Sucht) durch neue, konstruktive Skills (DBT) zu ersetzen. Du musst nicht mehr nur überleben. Du kannst lernen zu leben.
📖 Quellen & Referenzen
- NIDA (National Institute on Drug Abuse): „Comorbidity: Addiction and Other Mental Disorders.“ (Statistiken zur Komorbidität von BPS und Sucht).
- Linehan, Marsha M. (2015). DBT® Skills Training Manual, Second Edition. (Das Standardwerk der DBT-Therapie).
- American Psychiatric Association (2013). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5). (Kriterien für BPS und Substanzgebrauchsstörungen).
- Kreisman, J. J., & Straus, H. (1989). I Hate You—Don’t Leave Me: Understanding the Borderline Personality. (Klassiker zum Verständnis von BPS).