Ein Artikel aus der „Die Psychologie der Sucht“-Serie von NeelixberliN
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Trigger-Warnung: Dieser Artikel ist eine unzensierte Kritik und ein Erfahrungsbericht über ärztliches Versagen, Opiat-Entzug und Medikamentenmissbrauch. Er ist KEIN medizinischer Rat.
Nach 28 Jahren Sucht & Recovery habe ich viele Geschichten über ärztliches Versagen gehört. Aber die schlimmsten sind die, die man selbst erlebt hat. Heute erzähle ich euch eine dieser Geschichten. Sie handelt von einem Medikament, das in Entzugskliniken wie Smarties verteilt wird, aber für einen Opiat-Abhängigen lebensgefährlich sein kann: Doxepin.
2018 war ich in der Nähe von Aschaffenburg, um substituiert zu werden. Obwohl ich eine cleane Blutprobe vorweisen konnte, weigerte sich der Arzt, mir sofort ein Substitut zu geben. Der Grund: Ich konnte nicht auf Kommando abpinkeln – schon gar nicht mit Blickkontakt auf mein Geschlechtsteil.
Also ließ er mich vier Tage lang im vollen, kalten Opiat-Entzug schmoren. Wer das kennt, weiß, was das heißt: unkontrollierte Krämpfe, Schmerzen, als würde einem die Seele aus dem Leib gerissen. Man verliert das Zeitgefühl.
Das „Einzige“, was er mir als „Hilfsmittel“ in einer extra großen und starken Packung gab, war Doxepin. Ein veraltetes Antidepressivum. Aber in meiner Not und meinem Delirium dachte ich: „Mehr hilft mehr.“ Ich wusste nicht mehr, wann ich wie viel genommen hatte. Innerhalb von 12 Stunden waren 50 Stück aufgebraucht. Es half natürlich nicht gegen den Opiat-Entzug, aber es brachte mich an den Rand des Todes.
Das ist keine „schlechte Behandlung“. Das ist ein Systemfehler, vor dem sogar die Bundesärztekammer explizit gewarnt hat. Es ist die „Pille-für-alles“-Lüge, die Symptome betäubt, aber die Ursache ignoriert – und dich dabei fast umbringt.
Doxepin bei Opiat-Entzug ist wie ein Pflaster auf eine Schusswunde. Es ist eine Beleidigung für den Schmerz des Patienten und ein Beweis für die gefährliche Inkompetenz eines Systems, das lieber ein ungeeignetes „Off-Label“-Medikament verschreibt, als seine eigenen, starren Regeln zu hinterfragen.
🎯 Die harten Fakten: Die offizielle Warnung, die ignoriert wird
📊 Die harten Fakten in Zahlen: Die offizielle Warnung, die ignoriert wird
Doxepin ist ein veraltetes Trizyklisches Antidepressivum (TCA) aus den 1960ern. Seine Verschreibung im Suchtkontext ist hochriskant – und das ist offiziell bekannt:
- Offizielle Warnung der Ärzte: Bereits 2018 warnte die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) im Deutschen Ärzteblatt explizit vor dem „möglichen Missbrauch des Antidepressivums Doxepin bei Suchtkranken“ (Dtsch Arztebl 2018; 115(15): A-684).
- Wofür es NICHT zugelassen ist (Off-Label-Use): Es ist NICHT zur Behandlung der Kernsymptome eines akuten Opiat-Entzugs zugelassen. Es wird „off-label“ oft fälschlicherweise als Beruhigungsmittel gegen die Unruhe eingesetzt.
- Die Risiken (Missbrauch & Überdosis): Doxepin hat ein eigenes Abhängigkeitspotenzial. Viel gefährlicher: Eine Überdosis (wie in meiner Geschichte mit 50 Pillen) ist hochgradig lebensgefährlich. Trizyklische Antidepressiva sind kardiotoxisch (giftig für das Herz) und können schnell zu tödlichen Herzrhythmusstörungen und Koma führen.
- Die „versteckte“ Gefahr: Da Doxepin oft ahnungslos „Off-Label“ gegen Schlafstörungen oder Schmerzen verschrieben wird, gerät es in die Hände von Suchtkranken, die ihr Problem nicht offen eingestehen. Diese versuchen dann, es als Ersatzdroge zu missbrauchen, was die Symptome oft verschlimmert und neue Gefahren schafft.
🔬 Wissenschaft: Warum Doxepin bei Opiat-Entzug versagt (und Substitol eine Falle ist)
Der Arzt in meiner Geschichte hat zwei fundamentale Fehler gemacht, die die Ignoranz des Systems zeigen:
1. Das Doxepin-Versagen:
- Ein Opiat-Entzug ist die Hölle, weil die **Opiat-Rezeptoren** im Gehirn leer laufen. Der Körper schreit nach Opiaten.
- Doxepin ist ein Antidepressivum. Es wirkt auf die **Serotonin- und Noradrenalin-Rezeptoren**.
- Es tut absolut **NICHTS**, um die schreienden Opiat-Rezeptoren zu befriedigen. Es macht den Patienten höchstens müde und dämpft ihn (sediert), während der körperliche Entzug darunter mit voller Wucht weiter tobt. Einem Verdurstenden ein trockenes Brot zu geben, ist nicht hilfreich.
2. Die Substitol-Falle:
- **Subutex (Buprenorphin):** Ist ein „Partial-Agonist“. Es besetzt die Rezeptoren, erzeugt aber nur eine Teil-Wirkung und einen „Deckeneffekt“ (mehr davon macht nicht mehr high). Es ist „cleaner“ und der Entzug davon ist oft leichter.
- **Substitol (Retardiertes Morphin):** Ist ein „Voll-Agonist“, genau wie Heroin. Es erzeugt die volle Opiat-Wirkung, die „warme Wolke“ und eine starke Euphorie, besonders wenn es missbraucht wird.
- Der Arzt nannte mich „unversaut“, weil ich Substitol nicht kannte – und hat mich DANN auf genau diese, oft als „schwieriger“ angesehene Substanz gesetzt, die mich in einen neuen, schweren Kreislauf führte.

🎭 Fallstudie des Systemversagens: 50 Pillen & die „Watte-Wolke“
Meine Geschichte ist ein Lehrbuchbeispiel für die Ignoranz und die perversen Anreize des Systems.
⚠️ Fallstudie des Systemversagens: Meine Erfahrung in Aschaffenburg (2018)
Hier ist der Ablauf der Katastrophe, wie ich sie erlebt habe:
- Die Regel-Hörigkeit: Der Arzt besteht auf einer Urinprobe unter Aufsicht, obwohl eine cleane Blutprobe vorliegt. Er stellt die Regel über den Menschen und nimmt 4 Tage schwersten Entzug billigend in Kauf.
- Die falsche „Hilfe“: Statt einer adäquaten Entzugs-Unterstützung verschreibt er Doxepin in einer riesigen Packung – ein Medikament, vor dessen Missbrauch die Ärztekammer explizit warnt.
- Die (erwartbare) Überdosis: Im Entzugs-Delirium, ohne Zeitgefühl und in unerträglichen Qualen, überdosiere ich das Medikament massiv („Mehr hilft mehr“) und gerate in Lebensgefahr. 50 Pillen in 12 Stunden.
- Der Psychologie-Fehler: Am nächsten Tag fragt er mich, ob ich Substitol kenne. Ich sage „Nein“. Seine Antwort: „Gut, dann sind Sie noch nicht versaut.“
- Der Trigger: Dieser Satz „noch nicht versaut“ war für mich wie ein Startschuss. Er triggerte meinen „Hunger nach Substanzwissen“. Ich wusste sofort: Dieses Zeug muss „besser“ sein als Subutex. Ich wusste innerhalb kürzester Zeit, wie ich es missbrauchen kann.
- Die fatale Entscheidung: Statt mich auf das „bessere“ Subutex einzustellen, hat er mich wissentlich auf das „versauende“ Substitol gesetzt und mich damit in die nächste „Watte-Wolke“ und einen neuen, schweren Kreislauf geschickt.

🛡️ Safer Use: Wie du dich als Patient schützt
Du bist diesem System nicht hilflos ausgeliefert. Du musst vom passiven Opfer zum mündigen, informierten Patienten werden.
🛡️ Safer Use: Werde zum mündigen Patienten
Meine Geschichte soll dich nicht entmutigen, sondern wütend und klug machen. Du musst dich selbst schützen.
- Hinterfrage „Off-Label“-Rezepte: Wenn du in einer Entgiftung bist und ein Medikament bekommst, frage immer: „Was ist das? Wofür ist es zugelassen? Und wogegen *genau* geben Sie es mir?“
- Die „Heimlicher Süchtiger“-Falle: Wenn du ein Suchtproblem hast, aber zum Arzt gehst und nur über „Schlafstörungen“ klagst: Sei dir bewusst, dass er dir vielleicht Doxepin oder Quetiapin verschreibt. Das ist kein harmloses Schlafmittel, sondern ein Psychopharmakon mit eigenen Risiken, das deine Sucht verschlimmern kann.
- Niemals „Mehr hilft mehr“: Verstehe, dass Psychopharmaka keine Drogen sind. Eine höhere Dosis führt nicht zu einer besseren Wirkung, sondern oft direkt in die Vergiftung und den Tod.
- Informiere dich über deine Substitution: Wenn du substituiert wirst, kenne den Unterschied! Frage, warum du Substanz A (z.B. Substitol) und nicht Substanz B (z.B. Subutex) bekommst. Es ist dein Körper und deine Zukunft.
🤔 Ausführliche FAQ
🤔 Macht Doxepin selbst süchtig?
✅ Ja, Doxepin (und andere trizyklische Antidepressiva) haben ein anerkanntes eigenes Abhängigkeitspotenzial. Es ist nicht dasselbe wie eine Opiat-Sucht, aber der Körper gewöhnt sich daran, und das Absetzen kann zu Entzugserscheinungen (Unruhe, Schlafstörungen) führen. Es ist keine „harmlose“ Schlaftablette.
❤️ Warum wird Doxepin im Entzug überhaupt gegeben?
✅ Weil es stark sedierend (müde machend) und angstlösend wirkt. Ärzte verschreiben es „off-label“ in der Hoffnung, die extreme Unruhe und Schlaflosigkeit des Entzugs zu „dämpfen“. Wie meine Geschichte zeigt, ist das ein Spiel mit dem Feuer, da es die Kernsymptome des Opiat-Entzugs nicht behandelt und bei Überdosierung lebensgefährlich ist.
🧠 Was wäre die „richtige“ Behandlung für einen Opiat-Entzug in der Klinik gewesen?
✅ Anstatt mich 4 Tage zu quälen, hätte der Arzt die cleane Blutprobe als Beweis akzeptieren und sofort mit der Substitutionseinstellung beginnen können. Zur Linderung der körperlichen Symptome gibt es wirksame, nicht-süchtigmachende Medikamente (wie Clonidin gegen die Unruhe) anstelle von Doxepin.
💪 Warum ist Substitol „schlechter“ als Subutex?
✅ „Schlechter“ ist subjektiv, aber Substitol (Morphin) ist ein Voll-Agonist. Es erzeugt bei vielen einen „Flash“ und eine stärkere Euphorie, was den Missbrauch (z.B. Spritzen) fördert und den „Kick“ der Sucht aufrechterhält. Subutex (Buprenorphin) ist ein Partial-Agonist mit „Deckeneffekt“, es macht weniger „high“ und blockiert oft den Beikonsum. Viele sehen es als den moderneren, „cleaneren“ Weg zur Stabilisierung.
😔 Mein Arzt verschreibt mir Doxepin für Schlafstörungen, aber ich habe ein Suchtproblem (das er nicht kennt).
✅ Das ist eine extrem gefährliche Situation. Doxepin hat ein Missbrauchspotenzial, vor dem die Ärztekammer warnt. Du musst brutal ehrlich zu deinem Arzt sein. Sag ihm: „Ich habe eine Suchtvergangenheit. Ist dieses Medikament sicher für mich oder gibt es Alternativen ohne Abhängigkeitspotenzial?“ Deine Ehrlichkeit kann dein Leben retten.
📚 Lesetipp zur Vertiefung
📖 Lesetipp zur Vertiefung
Unglück auf Rezept: Die Anti-Depressiva-Lüge und ihre Folgen von Peter Ansari & Mahinda Ansari
Dieser Artikel zeigt die „Off-Label“-Verschreibung von Antidepressiva in der Suchthilfe. Dieses Buch ist der perfekte Deep-Dive dazu. Es ist eine unzensierte, kritische Auseinandersetzung mit der „Pille-für-alles“-Mentalität und der Art und Weise, wie Psychopharmaka (wie Doxepin) oft nur Symptome betäuben, statt Ursachen zu heilen.
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🎬 NeelixberliN Fazit
Als ich an diesem Tag fast gestorben wäre, war das nicht die Schuld des Doxepins. Es war die Schuld eines Arztes, der einen Menschen im schwersten körperlichen und seelischen Ausnahmezustand mit einem ungeeigneten Medikament alleingelassen hat – einem Medikament, vor dessen Missbrauch in genau diesem Setting die Bundesärztekammer gewarnt hat.
Der Höhepunkt der Demütigung war aber sein Satz: „Gut, dann sind Sie noch nicht versaut.“ Er hat mich vier Tage durch die Hölle gehen lassen, nur um mich danach – statt auf das „bessere“, moderne Subutex – auf das „versauende“, alte Substitol zu setzen. Er hat mich nicht geheilt, er hat mich in den nächsten schweren Kreislauf geschickt.
Daran siehst du: Dem Arzt geht es nicht immer wirklich um dein Wissen, deine Erfahrung oder deine Zukunft. Viele arbeiten nur ein starres Lehrbuch ab, oft ohne die Realität der Substanzen (wie den Unterschied zwischen Subutex und Substitol) selbst zu verstehen.
Das ist die Lektion: Sei misstrauisch. Sei mündig. Hinterfrage alles. Die Pille, die dir als „Hilfe“ angeboten wird, könnte die nächste Falle sein.
📖 Quellen & Referenzen
- Deutsches Ärzteblatt (2018): „Möglicher Missbrauch des Antidepressivums Doxepin bei Suchtkranken“. Bekanntgabe der Bundesärztekammer (Link im Artikel erwähnt).
- NIDA (National Institute on Drug Abuse): Forschung zu Opiat-Entzug und geeigneten Behandlungsmedikamenten.
- Fachinformation Doxepin: Auflistung der zugelassenen Indikationen und Warnhinweise (z.B. Kardiotoxizität bei Überdosierung).
- Fachinformation Substitol & Subutex: Vergleich der Wirkstoffe Morphin (Vollagonist) und Buprenorphin (Partialagonist).