Der Frauenkörper als Schlachtfeld: Wenn die Sucht auf eine Essstörung trifft

Der Frauenkörper als Schlachtfeld: Wenn die Sucht auf eine Essstörung trifft

Ein Artikel aus der „Frauen & Sucht“-Serie von NeelixberliN

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Trigger-Warnung: Dieser Artikel behandelt die Themen Essstörungen (Anorexie, Bulimie, Binge-Eating), Sucht, Körperhass und Selbstverletzung.


Nach 28 Jahren Sucht & Recovery habe ich in Meetings Frauen kennengelernt, die stolz von ihrer Abstinenz von Alkohol oder Drogen erzählten, aber ihr wahres, geheimes Schlachtfeld lag woanders: auf dem Teller und vor dem Spiegel. Ich habe die Verzweiflung in ihren Augen gesehen, wenn sie zugaben, dass sie zwar nicht mehr tranken, aber dafür hungerten. Dass sie nicht mehr koksten, aber dafür exzessiv erbrachen. Ihre Sucht war nicht verschwunden. Sie hatte nur die Substanz gewechselt – von der Flasche zur Waage, vom Pulver zur Fressattacke.

Die unheilige Allianz von Sucht und Essstörung ist eine der tödlichsten Kombinationen, die es gibt. Es ist ein Krieg auf zwei Fronten, der im Verborgenen gegen den eigenen Körper geführt wird. Es ist der verzweifelte Versuch, die Kontrolle über ein inneres Chaos zu erlangen, indem man das Einzige kontrolliert, was man kontrollieren zu können glaubt: das Gewicht, die Kalorien, den Rausch.

Dieser Artikel beleuchtet die dunkle Verbindung zwischen diesen beiden Krankheiten. Wir werden aufdecken, warum sie so oft Hand in Hand gehen, welche gemeinsamen Wurzeln sie haben und warum eine Heilung nur möglich ist, wenn man aufhört, sie als getrennte Probleme zu betrachten.

Die Kombination aus Sucht und Essstörung ist keine Laune der Natur, sondern die fast logische Konsequenz einer Gesellschaft, die Frauen lehrt, ihre Körper zu hassen und ihre Gefühle zu unterdrücken. Beide Krankheiten sind oft nur unterschiedliche Symptome derselben tiefen Wunde: dem Gefühl, nicht gut genug zu sein.


🎯 Die harten Fakten: Die tödliche Doppeldiagnose

📊 Die harten Fakten in Zahlen: Die tödliche Doppeldiagnose

Die Überschneidung von Essstörungen und Sucht ist kein Zufall, sondern ein statistisch belegtes, hochriskantes Phänomen:

  • Bis zu 50% Komorbidität: Laut der National Eating Disorders Association (NEDA) leiden bis zu 50% der Menschen mit einer Essstörung auch an einer Substanzgebrauchsstörung. Umgekehrt haben bis zu 35% der Menschen mit einer Sucht auch eine Essstörung.
  • Geteilte Hirnregionen: Forschungen zeigen, dass sowohl bei Sucht als auch bei Essstörungen dieselben Hirnregionen, die für Belohnung und Impulskontrolle zuständig sind (insbesondere das Dopaminsystem), fehlreguliert sind.
  • Höchste Mortalitätsrate: Anorexie (Magersucht) hat eine der höchsten Sterblichkeitsraten aller psychischen Erkrankungen. Die Kombination mit einer Substanzabhängigkeit potenziert dieses Todesrisiko.
  • „Drunkorexia“ als Trend: Besonders unter jungen Frauen ist das Phänomen „Drunkorexia“ verbreitet – das bewusste Hungern, um die Kalorien für exzessiven Alkoholkonsum „einzusparen“. Dies verbindet restriktives Essverhalten direkt mit Rauschtrinken.

🔬 Wissenschaft: Warum Sucht und Essstörung Zwillinge sind

Sucht und Essstörungen sind oft unterschiedliche Ausdrucksformen derselben zugrundeliegenden Probleme:

  • Gemeinsame Wurzeln: Beide Krankheiten wurzeln häufig in niedrigem Selbstwertgefühl, Perfektionismus, einem tiefen Gefühl der Unzulänglichkeit, Kontrollverlust und oft in unverarbeitetem Trauma.
  • Geteilte Neurobiologie: Das Gehirn reagiert auf das „High“ des Hungerns, einer Fressattacke oder des Erbrechens ähnlich wie auf eine Droge. Es werden Botenstoffe wie Dopamin und Endorphine freigesetzt, die eine kurzfristige Erleichterung oder Euphorie verschaffen und so einen Suchtkreislauf in Gang setzen.
  • Symptom-Management: Die beiden Krankheiten dienen oft dazu, sich gegenseitig zu „managen“. Stimulanzien wie Kokain oder Amphetamine werden gezielt eingesetzt, um den Appetit zu unterdrücken und das Hungern zu erleichtern. Alkohol wird genutzt, um Hemmungen für eine Fressattacke abzubauen oder die Scham danach zu betäuben.

🎭 Die Gesichter der Zerstörung: Wie Sucht und Essstörung zusammenarbeiten

Eine Frau, deren zerbrochenes Spiegelbild sowohl eine trinkende als auch eine magersüchtige Version von ihr zeigt, als Symbol für die fragmentierte Identität bei einer Doppeldiagnose aus Sucht und Essstörung.
Sucht und Essstörung sind zwei Seiten derselben Medaille der Selbstzerstörung. Sie zerbrechen die Wahrnehmung des eigenen Ichs in unzählige, schmerzhafte Teile.

Die Kombination aus Sucht und Essstörung ist ein perfekt aufeinander abgestimmtes System der Selbstzerstörung. Die eine Krankheit füttert die andere.

⚠️ Die tödlichen Kombinationen: Wie die Krankheiten sich gegenseitig füttern

Die Wechselwirkungen sind vielfältig und extrem gefährlich:

  • Bulimie & Alkohol/Stimulanzien: Alkohol senkt die Hemmschwelle und kann massive Fressattacken auslösen. Die Scham darüber führt zum Erbrechen. Stimulanzien am nächsten Tag sollen den „Schaden“ begrenzen und den Appetit zügeln. Ein perfekter Kreislauf.
  • Anorexie & Stimulanzien/Nikotin: Der Wunsch nach maximaler Appetitunterdrückung macht Stimulanzien wie Kokain, Speed oder auch hohe Dosen Nikotin zur perfekten „Diätpille“. Der Körper wird doppelt ausgezehrt.
  • Binge-Eating & Cannabis/Alkohol: Substanzen werden genutzt, um in den „Fress-Modus“ zu kommen oder um die unerträgliche Scham und das Völlegefühl nach einer Attacke zu betäuben.
  • „Drunkorexia“: Eine besonders bei jungen Frauen verbreitete Form, bei der tagsüber bewusst gehungert wird, um die „gesparten“ Kalorien abends in Alkohol investieren zu können. Dies kombiniert die Gefahren von Mangelernährung und Rauschtrinken.

🛡️ Safer Use: Wege zur doppelten Heilung

Eine Frau, die lernt, in Frieden mit dem Essen zu sein, während eine Hand des Selbstmitgefühls sie stützt. Symbol für die Heilung von einer Essstörung.
Heilung beginnt nicht mit Kontrolle, sondern mit Frieden. Der Weg aus der Essstörung und der Sucht ist ein Weg des radikalen Selbstmitgefühls.

Du kannst diesen Krieg auf zwei Fronten nicht allein gewinnen. Und du kannst nicht nur eine Front bekämpfen. Echte Heilung erfordert einen integrierten Ansatz und radikale Ehrlichkeit.

🛡️ Safer Use: Dein Schlachtplan für die doppelte Front

Du kämpfst einen Krieg an zwei Fronten. Du brauchst eine Strategie, die beide Schlachtfelder im Blick hat.

  1. Integrierte Behandlung ist NICHT verhandelbar: Das ist der wichtigste Punkt. Du brauchst ein Behandlungsteam (Klinik, Therapeuten, Ärzte), das Erfahrung mit BEIDEN Erkrankungen hat. Eine reine Suchttherapie, die die Essstörung ignoriert (oder umgekehrt), ist zum Scheitern verurteilt.
  2. Radikale Ehrlichkeit in BEIDE Richtungen: Sei in deiner Sucht-Selbsthilfegruppe ehrlich über deine Essstörung. Sei in deiner Essstörungs-Therapie ehrlich über deine Sucht. Die Geheimniskrämerei zwischen den beiden Krankheiten muss aufhören.
  3. Beginne, Frieden mit deinem Körper zu schließen: Das ist eine Lebensaufgabe. Beginne mit kleinen Schritten. Konzentriere dich darauf, was dein Körper für dich TUT, nicht nur, wie er aussieht. Informiere dich über Konzepte wie „Body Neutrality“ oder „Health At Every Size“.
  4. Heile die Wurzel, nicht nur die Symptome: Frage dich (am besten mit einem Therapeuten): „Welches Gefühl versuche ich mit dem Hungern/Erbrechen/Trinken/Koksen zu kontrollieren oder zu betäuben?“. Oft liegt die gemeinsame Wurzel in einem unverarbeiteten Trauma.

🤔 Ausführliche FAQ

🤔 Ich war süchtig, aber jetzt kontrolliere ich nur noch mein Essen. Ist das nicht besser?

✅ Das nennt man Suchtverlagerung. Du hast eine zerstörerische Bewältigungsstrategie durch eine andere ersetzt. Eine Essstörung ist nicht „besser“, sie ist oft sogar gesundheitlich gefährlicher und hat eine höhere Sterblichkeitsrate. Die zugrundeliegende Krankheit ist dieselbe geblieben, nur das Symptom hat sich geändert.

❤️ Was ist „Drunkorexia“ genau?

✅ „Drunkorexia“ ist ein umgangssprachlicher Begriff für ein hochriskantes Verhalten, bei dem eine Person die Nahrungsaufnahme stark einschränkt, um die „gesparten“ Kalorien für Alkoholkonsum zu „nutzen“. Man will sich betrinken, ohne zuzunehmen. Dies kombiniert die Gefahren von Mangelernährung, Elektrolytstörungen und exzessivem Alkoholkonsum.

🧠 Wo finde ich Hilfe, die beide Krankheiten versteht?

✅ Suche gezielt nach Kliniken oder Therapeuten mit dem Schwerpunkt „Doppeldiagnose“ oder „Komorbidität“. Spezifische Fachkliniken für Essstörungen haben oft auch eine Abteilung für Suchterkrankungen. Wichtige Anlaufstellen in Deutschland sind der Bundesfachverband Essstörungen (BFE) und lokale Suchtberatungsstellen, die oft weitervermitteln können.

💪 Mein Partner sagt, ich soll „einfach normal essen“. Er versteht es nicht. Was tun?

✅ Das Unverständnis von Angehörigen ist sehr schmerzhaft. Erkläre ihm ruhig, dass es sich um eine ernsthafte psychische Krankheit handelt, nicht um eine Frage des Willens – genau wie bei der Sucht. Lade ihn ein, sich zu informieren (z.B. durch diesen Artikel) oder sogar zu einem Beratungsgespräch für Angehörige mitzukommen. Sein Verständnis ist wichtig, aber deine Heilung darf nicht davon abhängig sein.

😔 Kann ich jemals wieder ein „normales“ Verhältnis zu Essen und meinem Körper haben?

✅ Ja. Absolut. Aber es wird ein neues „Normal“ sein. Es ist ein langer und harter Weg, aber es ist möglich, Frieden mit dem Essen und dem eigenen Körper zu schließen. Es geht nicht darum, wieder „unbeschwert“ zu werden wie jemand, der diese Krankheiten nie hatte. Es geht darum, bewusst, achtsam und selbstfürsorglich zu werden und die alten Dämonen zu managen, anstatt von ihnen gemanagt zu werden.

🎬 NeelixberliN Fazit

Hände, die Wasser loslassen und dadurch aufblühen, als Symbol dafür, dass die Aufgabe des Kontrollzwangs bei Sucht und Essstörungen zu wahrer Heilung führt.
In der Sucht dachte ich, ich hätte die Kontrolle verloren. Viele Frauen versuchen, sie sich über ihren Körper zurückzuholen. Aber wahre Kontrolle ist nicht, deinen Körper zu beherrschen. Wahre Kontrolle ist, den Mut zu haben, die Kontrolle abzugeben und Frieden mit ihm zu schließen.

Der gemeinsame Nenner von Sucht und Essstörungen ist der verzweifelte Versuch, ein unerträgliches inneres Gefühl durch eine äußere Handlung zu kontrollieren. Ob du zur Flasche greifst oder die Kalorien zählst – das Ziel ist dasselbe: die Betäubung. Die Illusion von Kontrolle.

Ich habe Frauen gesehen, die ihre Abstinenz feierten, während ihre Anorexie sie langsam umbrachte. Sie hatten die Substanz ausgetauscht, aber die Krankheit war dieselbe geblieben. Die Wurzel war unberührt.

Die Heilung von dieser Doppeldiagnose ist eine der härtesten Reisen in der Recovery. Sie verlangt von dir, nicht nur auf die Droge zu verzichten, sondern auch den Krieg gegen deinen eigenen Körper zu beenden. Sie verlangt, dass du lernst, dich selbst zu nähren – emotional und physisch. Es ist ein langer Weg. Aber es ist der einzige Weg, der nicht nur zu einem cleanen, sondern zu einem wirklich freien und lebendigen Leben führt. Ein Leben, in dem du nicht mehr überleben, sondern einfach nur sein darfst.


📚 Quellen & Referenzen

  • National Eating Disorders Association (NEDA): Statistiken und Informationen zur Komorbidität von Essstörungen und Sucht.
  • Bundesfachverband Essstörungen e.V. (BFE): Deutsche Statistiken und Hilfsangebote.
  • Journal of Substance Abuse Treatment: Diverse Studien zur Wirksamkeit von integrierten Behandlungsansätzen.
  • ANAD e.V. (Anorexia Nervosa and Associated Disorders): Einer der größten Verbände für Essstörungen in den USA mit umfassenden Informationen.

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Über Gabriel Maetz

NeelixberliN teilt hier seine persönliche und ungefilterte Erfahrung auf dem Weg aus der Sucht. Nach Jahren der Abhängigkeit, unter anderem von Polamidon, kämpft er sich Tag für Tag zurück ins Leben. Dieser Blog ist sein persönliches Logbuch, eine Hilfe für sich selbst und hoffentlich auch eine stütze für andere, die einen ähnlichen Kampf führen.

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