22:36 Uhr – Guten Abend Berlin, guten Abend an den Rest der Welt!
Was ein Tag. Irgendwie werden meine Tage immer ausgefüllter, aber auf eine gute Art. Es gibt tatsächlich so viel zu tun im Leben, und es kann verdammt viel Spaß machen, wenn man die guten Momente wieder zu schätzen weiß.
Der Morgen danach: Wenn der Affe dich aus dem Bett wirft 🐒
Mein Tag begann so, wie der Abend geendet ist: nicht zu Hause. Es war ein schöner, gemütlicher Abend, der mir wieder gezeigt hat, wie besonders cleane Situationen sein können. Aber wie ich schon vorgewarnt hatte, war die Nacht kurz.
Gegen 6 Uhr morgens brach mein persönlicher Zappelphilipp, Affe, oder wie auch immer man das Restless Syndrom nennen will, wieder aus. Ich musste raus aus dem Bett, um die Person, bei der ich war und die ihren Urlaub genießt, nicht zu nerven. In der Wohnung bleiben und auf Langeweile warten, ist für meinen Clean-Status noch keine gute Idee. Ich brauchte meine Struktur.
Also: Leise anziehen, wie jemand, der sich nach einem One-Night-Stand verpieseln will, ein leises „Ich muss leider gehen“ ins Ohr flüstern und dann raus. Kopfhörer auf, Amy Winehouse an und ab unter meine eigene Dusche.
Ein Tag voller Action: Von der Entzugsstation zum Bürgeramt 🏥
Dann meine Routine: Frühstücken, kurz einkaufen und ab Richtung Krankenhaus – mein neues zweites Zuhause, wie es mir vorkommt. 😄 Dort auf der Entzugsstation zwei Patienten besucht. Kaffee trinken und echte, gute Gespräche mit Menschen führen, die es auch wirklich schaffen wollen. Allein diese Momente sind mehr wert, als ich die letzten Jahre drauf in einer ganzen Woche erleben konnte.
Das Alien: Eine Erinnerung an den härtesten Kampf
Was mich an dieser Station besonders beeindruckt: Als ich dort vor ca. 2 Jahren meinen Polamidon-Entzug durchmachte, war der Körperklaus so schlimm, dass ich mir einen Brocken Ton schnappte, um mich irgendwie abzulenken. Daraus ist ein Alien entstanden (perfekt, weil sich der „Affe“ anfühlt, als würde ein Alien aus deiner Brust brechen). Dieses Alien steht dort immer noch, mit meinen Initialen und dem Datum, auf einer Fensterbank. Eine krasse Erinnerung.
Danach zum Bürgeramt, einen gefundenen Schlüsselbund abgeben und bei der Gelegenheit direkt meinen verstorbenen Hund abgemeldet. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Wieder zu Hause, viele Stunden an der Webseite gearbeitet, bis ich gegen 15 Uhr ein 40-Minuten-Nickerchen auf dem Sofa riskierte. Dann gab ich auf. Dieses blöde Vieh in mir lässt mich einfach nicht zur Ruhe kommen.

Das wichtigste Gespräch: Vertrauen, Ängste & ehrliche Kommunikation ❤️🩹
Dann kam eine Nachricht von der Person, bei der ich den Morgen verbracht hatte. Dass sie mir wieder Vertrauen schenkt und mich überhaupt in ihr Leben lässt, ist ein Wunder. Dass ich ehrlich kommunizieren und zuhören kann, ein noch viel größeres.
Sie nannte mir ihre Ängste und Sorgen, was mich betrifft, und ich konnte es so gut nachvollziehen. Clean bin ich ein völlig anderer Mensch. Aber mach das mal jemandem klar, den du Jahre mit Halbwahrheiten, Ausreden und Lügen (wegen Konsum und Kriminalität) an der Nase herumgeführt hast.
Ich sagte mir selbst: Ich kann viel reden, aber ich muss es dauerhaft zeigen, damit man mir wieder vertrauen kann.
Das Gespräch fand spontan bei mir zu Hause statt. Es war offen, ehrlich und endete für uns beide mit einem guten Gefühl für die Zukunft. Das ging wieder nur mit ehrlicher Kommunikation, Kritikfähigkeit und einem Lächeln auf beiden Seiten beim Abschied. Ein unglaubliches Geschenk.
Die große Erkenntnis: Was „Fühlen“ wirklich bedeutet 💡
Direkt danach habe ich noch einem Nachbarn im Keller geholfen und sitze nun hier. Ich weiß noch, wie ich mir nicht vorstellen konnte, dass ich nicht „richtig“ fühle, als man es mir damals erklären wollte. Nach 13 Jahren auf Polamidon dachte ich, meine Gefühle wären echt, meine Gedanken richtig, meine Handlungen nicht egoistisch.
Aber jetzt, wo ich die ersten Wochen richtig clean bin – also clean von allem, ohne Hintertüren wie „nur mal einen rauchen“ – verstehe ich endlich, was meine Vergangenheit mir immer zeigen wollte. Und dass man es erst verstehen kann, wenn man den großen Schritt wagt.
Natürlich ist mein Leben jetzt nicht jeden Tag zu 100% perfekt. Aber ich weiß, wie ich aus Tiefs schnell wieder rauskomme. Ich habe „ECHTE“ Freunde und Menschen um mich, die mich mit Vertrauen so beschenken, dass es ein unglaublich gutes Gefühl ist. Früher war das einzige natürliche Gefühl, das ich kannte, die Liebe zu meinen Kindern, als sie noch klein waren.
Doch nun kenne ich es: das Gefühl zu leben, Dankbarkeit und Vertrauen zu spüren. Dieses Gefühl will ich nicht mehr tauschen. Das muss ich meinem Hyde klarmachen, sollte er wieder die Kontrolle übernehmen wollen.
Probiert es aus. Egal, wie sehr ihr euer Leben gerade an die Wand gefahren seht – ihr könnt das auch erleben. In diesem Sinne, gute Nacht & danke für deine Zeit!
Häufige Fragen (FAQ) zum Thema Vertrauen & Gefühle in der Recovery
Wie kann ich nach Jahren der Lügen das Vertrauen meiner Liebsten zurückgewinnen?
Wie mein heutiger Tag zeigt, ist es ein langer Prozess. Er beginnt mit radikaler Ehrlichkeit. Aber Worte allein reichen nicht. Es braucht konsistente, zuverlässige Handlungen über einen langen Zeitraum, um zu beweisen, dass die Veränderung echt ist. Geduld und das Verständnis dafür, dass das Misstrauen der anderen Person berechtigt ist, sind dabei entscheidend.
Warum fühlt man sich im Entzug oft so rastlos und kann nicht schlafen (der „Affe“)?
Das ist ein sehr häufiges körperliches Entzugssymptom, besonders nach langjährigem Opiat- oder Substitutionskonsum. Das Nervensystem ist quasi „überreizt“ und muss erst wieder lernen, sich ohne die dämpfende Wirkung der Substanz selbst zu regulieren. Es wird oft als Restless-Legs-Syndrom (RLS) im ganzen Körper beschrieben.
Verändert eine langjährige Substitution (z.B. mit Polamidon) wirklich die Gefühle?
Ja, viele Menschen in Recovery berichten von einer ähnlichen Erfahrung. Während der Substitution glaubt man oft, normal zu fühlen. Erst nachdem man vollständig clean ist, merkt man, wie stark die Emotionen tatsächlich gedämpft oder verfälscht waren. Die Rückkehr von intensiven, echten Gefühlen – sowohl den guten als auch den schlechten – kann überwältigend sein, ist aber ein zentraler Teil der echten Genesung.
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