ADHS & Sucht: Was tust du, wenn dein innerer Hacker die Diagnose sabotiert?

ADHS & Sucht: Was tust du, wenn dein innerer Hacker die Diagnose sabotiert?

Ein Artikel aus der „Die Psychologie der Sucht“-Serie von NeelixberliN

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Trigger-Warnung: Dieser Artikel behandelt die Themen ADHS, Sucht, Selbst-Sabotage und den Missbrauch von Stimulanzien. Er stellt keine medizinische Beratung oder Eigendiagnose dar.


Nach 28 Jahren Sucht & Recovery dachte ich, ich kenne meinen Feind. Aber erst in den letzten Jahren bekam mein vielleicht ursprünglichster Gegner einen Namen: ADHS. Vor meinem Opiat-Entzug vor drei Jahren sollte ein Test gemacht werden, da die Vermutung im Raum stand. Das ständige Jonglieren mehrerer Programmier-Aufgaben gleichzeitig. Der unaufhörliche Strom neuer Ideen, die sofort umgesetzt werden müssen. In Gesprächen über Probleme bereits im Kopf die Lösungen zu programmieren. Aber dann ging der Test im Chaos unter.

Heute stehe ich vor einem brutalen Dilemma. Durch meine Hacker-Tätigkeit kenne ich alle ADHS-Tests auswendig. Selbst die, für die es keine Lösungen im Darknet gibt, kann ich anhand ihrer Auswertungsmuster durchschauen und so die optimalen Ergebnisse für ein Elvanse- oder Ritalin-Rezept erzielen.

Und genau da liegt die Falle: Ein Teil von mir sehnt sich nach einer Erklärung und echter Hilfe. Aber ein anderer Teil, das Suchtgedächtnis, der alte Hacker, schreit nach der potenziellen „Lösung“ in Pillenform. Was also tun, wenn man sich selbst nicht trauen kann? Wenn der eigene Verstand zu gut darin ist, Systeme zu manipulieren – auch die, die einem helfen sollen?

Für viele Süchtige ist die ADHS-Diagnose ein rettender Schlüssel. Aber was, wenn dein Suchtgedächtnis und deine alten Überlebens-Skills so stark sind, dass sie dich daran hindern, diesen Schlüssel ehrlich zu empfangen? Der wahre Kampf ist nicht die Sucht gegen das ADHS, sondern dein Wunsch nach Heilung gegen deinen inneren, manipulativen Hacker.


🎯 Die harten Fakten: Die Zwillings-Epidemie ADHS & Sucht

📊 Die harten Fakten in Zahlen: Die Zwillings-Krankheiten

Der Zusammenhang zwischen ADHS und Sucht ist eine der stärksten bekannten Komorbiditäten in der Psychiatrie:

  • Massiv erhöhtes Risiko: Erwachsene mit ADHS haben ein 2- bis 3-fach höheres Risiko, eine Substanzgebrauchsstörung zu entwickeln, als die Allgemeinbevölkerung. Bei Jugendlichen ist das Risiko noch höher.
  • Hohe Rate in der Suchthilfe: Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 25-40% aller Erwachsenen in Suchtbehandlung ein unerkanntes ADHS haben.
  • Die Dopamin-Mangel-Hypothese: Die führende Theorie besagt, dass das ADHS-Gehirn unter einem chronischen Mangel an dem Neurotransmitter Dopamin leidet. Substanzen wie Stimulanzien, Nikotin oder auch riskantes Verhalten werden unbewusst genutzt, um diesen Mangel auszugleichen.
  • Behandlung als Prävention: Mehrere große Studien haben gezeigt, dass eine frühzeitige und korrekte medikamentöse Behandlung von ADHS im Kindes- und Jugendalter das Risiko für die spätere Entwicklung einer Suchterkrankung signifikant senken kann.

🔬 Wissenschaft: Ein Gehirn auf ständiger Suche nach dem Kick

Das ADHS-Gehirn ist neurobiologisch auf die Sucht vorprogrammiert, wenn es unbehandelt bleibt:

  • Der leere Dopamin-Tank: Dein Gehirn startet jeden Tag mit einem niedrigeren Dopamin-Level. Das führt zu Antriebslosigkeit, Konzentrationsproblemen und einer ständigen Suche nach Stimulation („Novelty Seeking“). Drogen sind der schnellste, aber schmutzigste Weg, diesen Tank künstlich zu fluten.
  • Schwache Impulskontrolle: Der für die „Bremse“ zuständige präfrontale Kortex ist bei ADHS weniger aktiv. Das „Erst handeln, dann denken“-Prinzip macht es extrem schwer, dem unmittelbaren Reiz einer Droge zu widerstehen.
  • Emotionale Dysregulation: Menschen mit ADHS erleben Gefühle oft viel intensiver und können Stimmungsschwankungen schlecht regulieren. Substanzen werden zum Betäubungsmittel gegen diese unerträgliche emotionale Achterbahn.
  • Die paradoxe Wirkung: Wie du selbst erlebt hast, können Stimulanzien (Koks, Speed) bei einem ADHS-Gehirn kurzfristig eine „paradoxe“, also beruhigende und strukturierende Wirkung haben. Man fühlt sich „normal“. Dieser Effekt ist extrem verführerisch und verstärkt das Gefühl, die Droge zu „brauchen“.

🎭 Der innere Saboteur: Wenn der Hacker die Heilung verhindert

Eine Person, deren Spiegelbild ein Hacker mit einem Cheat-Sheet ist, als Symbol für die Selbst-Sabotage bei der ADHS-Diagnostik durch Suchtkranke.
Dein größter Gegner bei der Suche nach einer ehrlichen Diagnose bist oft du selbst – dein Suchtgedächtnis und die alten Überlebens-Skills, die jedes System austricksen wollen.

Das Dilemma, das ich beschrieben habe, ist der Kern des Problems für viele intelligente, sucht-erfahrene Menschen. Es ist ein Konflikt zwischen dem Wunsch nach Heilung und dem antrainierten Drang zur Manipulation.

⚠️ Der Hacker im Kopf: Warum du deine eigene Diagnose sabotierst

Die größte Hürde ist oft nicht die Krankheit, sondern die eigenen, über Jahre perfektionierten Überlebens-Skills, die sich nun gegen dich wenden:

  • Das Suchtgedächtnis will die Pille: Dein Verstand sehnt sich nach einer ehrlichen Diagnose, aber dein Suchtgedächtnis sieht nur die Chance auf ein legales Rezept für Stimulanzien. Es will nicht Heilung, es will Stoff. Diese Gier kann deinen Wunsch nach Ehrlichkeit untergraben.
  • Der Hacker will das System schlagen: Wenn du es gewohnt bist, Systeme zu analysieren und zu knacken, wird der diagnostische Test zu einer weiteren Challenge. Der Drang, „gewinnen“ zu wollen (also das gewünschte Ergebnis zu erzielen), kann stärker sein als der Wunsch, ein „echtes“ Ergebnis zu bekommen.
  • Die reale Angst vor Missbrauch: Deine Sorge als Polytox-User ist absolut berechtigt. Die Gefahr, ein verschriebenes Stimulans nicht wie vorgesehen, sondern im alten Sucht-Muster zu missbrauchen (z.B. tagelang wach bleiben), ist real. Diese Angst führt zur Vermeidung des Themas.

🛡️ Safer Use: Wege aus der Diagnose-Falle

Alt-Text: Eine Person legt in der Therapie zwei Karten auf den Tisch: "Ich brauche Hilfe" und "Ich werde versuchen, dich zu verarschen". Symbol für radikale Ehrlichkeit bei der Doppeldiagnose.
Der mutigste Satz in der Therapie ist nicht „Ich habe ein Problem“, sondern „Ich habe ein Problem und ich habe Angst, dass ich dich anlügen werde, um es nicht lösen zu müssen.“

Wenn du deinem eigenen Verstand nicht traust, musst du lernen, deine Strategie zu ändern. Es geht nicht mehr darum, schlauer zu sein als das System, sondern ehrlicher.

🛡️ Safer Use: Wie du trotzdem eine ehrliche Antwort bekommst

Wenn du deinem eigenen Verstand nicht traust, musst du deine Strategie ändern. Es geht nicht mehr darum, schlauer zu sein als das System, sondern ehrlicher.

  1. Radikale Ehrlichkeit beim Arzt: Das ist der ultimative Hack. Gehe zum Psychiater und lege alle Karten auf den Tisch: „Ich vermute, ich habe ADHS. Ich habe eine lange Drogenkarriere. Ich kenne die Tests und habe Angst, dass ich Sie unbewusst manipulieren werde, weil mein Suchtgedächtnis nach Stimulanzien schreit. Wie können wir GEMEINSAM einen Weg zu einer ehrlichen Diagnose finden?“
  2. Fordere eine umfassende Diagnostik: Eine gute ADHS-Diagnose besteht nicht nur aus einem Fragebogen. Sie umfasst eine ausführliche Biografie-Analyse, Fremd-Anamnese (Zeugnisse, Gespräche mit Angehörigen) und computergestützte Tests, die schwerer zu manipulieren sind.
  3. Erprobe nicht-medikamentöse Strategien: Dein aktueller Weg ist genau der richtige erste Schritt. Nutze Verhaltenstherapie, Coaching, Sport, Entspannungsübungen und strenge Tagesstrukturen, um die Symptome zu managen. Das ist die Basis für alles Weitere.
  4. Diskutiere Behandlungs-Alternativen: Wenn eine Medikation in Frage kommt, sprich mit dem Arzt über alle Optionen. Es gibt nicht nur Stimulanzien (wie Ritalin/Elvanse), sondern auch nicht-stimulierende Medikamente (wie Atomoxetin), die kein Suchtpotenzial haben.

🤔 Ausführliche FAQ

🤔 Wie kann ich sicher sein, dass ich wirklich eine ehrliche Diagnose will und nicht nur mein Suchtgedächtnis spricht?

✅ Die Tatsache, dass du dir diese Frage stellst, ist der beste Beweis, dass dein Wunsch nach Heilung echt ist. Das Suchtgedächtnis ist plump und will nur den Stoff. Dein gesunder Anteil ist der, der diesen inneren Konflikt erkennt und nach einem ehrlichen Weg sucht. Vertraue diesem Teil von dir.

❤️ Wird ein Arzt mir überhaupt Stimulanzien verschreiben, wenn ich eine Drogenvergangenheit habe?

✅ Erfahrene Sucht-Psychiater kennen dieses Dilemma. Sie werden extrem vorsichtig sein. Eine Verschreibung erfolgt oft nur unter strengen Auflagen (z.B. regelmäßige Drogentests, Abgabe nur für eine Woche, begleitende Therapie). Deine Offenheit über deine Bedenken ist der Schlüssel, um überhaupt Vertrauen aufzubauen und als behandelbarer Patient zu gelten.

🧠 Gibt es ADHS-Medikamente, die kein Suchtpotenzial haben?

✅ Ja. Wirkstoffe wie Atomoxetin oder Guanfacin sind keine Stimulanzien und fallen nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Sie wirken anders (auf das Noradrenalin-System) und haben kein Rausch- oder Suchtpotenzial. Sie sind oft die zweite Wahl in der Behandlung, aber für Suchtkranke eine sehr wichtige Alternative.

💪 Meine „Hacker-Fähigkeiten“ (schnelles Denken, Mustererkennung) haben mir oft geholfen. Muss ich sie aufgeben?

✅ Nein! Das ist deine Superkraft, dein „Hyperfokus“. Es geht nicht darum, sie aufzugeben, sondern sie bewusst und ethisch zu steuern. Lerne, sie für deine Projekte und deine Heilung einzusetzen, anstatt um Systeme oder Menschen zu manipulieren. Es ist wie der Unterschied zwischen einem Meisterdieb und einem genialen Sicherheits-Experten – die Fähigkeit ist dieselbe, nur das Ziel ist ein anderes.

😔 Was, wenn ich die Diagnose bekomme, aber Angst vor den Medikamenten habe?

✅ Das ist eine absolut gesunde und berechtigte Angst für einen trockenen Süchtigen. Besprich sie offen mit deinem Arzt. Niemand kann dich zwingen, Medikamente zu nehmen. Du kannst dich entscheiden, es zuerst weiterhin mit reinen Verhaltenstherapien und Skills zu versuchen. Die Diagnose allein ist schon die halbe Miete, weil sie dir endlich erklärt, warum du so tickst.

📚 Lesetipp zur Vertiefung

📖 Lesetipp zur Vertiefung

Zwanghaft zerstreut (Original: „Driven to Distraction“) von Hallowell & Ratey

Dies ist DER Klassiker über ADHS bei Erwachsenen, geschrieben von zwei Ärzten, die selbst betroffen sind. Es ist kein trockenes Lehrbuch, sondern ein extrem mitfühlender und augenöffnender Blick in die chaotische, aber auch kreative Welt des ADHS-Gehirns. Es hilft wie kein zweites Buch, die eigene Funktionsweise ohne Scham zu verstehen.

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🎬 NeelixberliN Fazit

Ein ganzheitlicher Behandlungsplan mit Medikamenten, Sport und Struktur, als Symbol für die richtige Behandlung von ADHS und Sucht.
Die richtige Behandlung ist niemals nur eine Pille. Sie ist ein ganzer Werkzeugkoffer aus medizinischer, therapeutischer und Verhaltens-Unterstützung.

Die Erkenntnis, dass mein eigener Verstand mein größter Saboteur sein könnte, war erschreckend und zugleich unheimlich wichtig. Sie hat mich dazu gezwungen, einen Schritt zurückzutreten. Anstatt die Abkürzung über ein potenziell erschummeltes Rezept zu suchen, wähle ich im Moment den anstrengenderen, aber ehrlicheren Weg.

Ich versuche es mit langen Spaziergängen, mit Entspannungsübungen, mit klaren Strukturen. Ich beobachte mich selbst und lerne meine Muster kennen. Ich akzeptiere, dass ich als Polytox-User ein extremes Risiko habe und ein Stimulanzien-Rezept für mich eine tickende Zeitbombe sein könnte.

Es ist der Weg der Demut. Der Weg, der anerkennt, dass der schnellste Hack nicht immer der beste ist. Vielleicht kommt irgendwann der Tag, an dem ich bereit bin, einem Arzt diese ganze, komplizierte Wahrheit anzuvertrauen. Bis dahin arbeite ich mit den Werkzeugen, die ich sicher handhaben kann.

Und das ist vielleicht die größte Lektion: Echte Recovery bedeutet nicht, die cleverste Lösung zu finden. Es bedeutet, die ehrlichste zu wählen.


📖 Quellen & Referenzen

  • Barkley, Russell A. (2015). Attention-Deficit Hyperactivity Disorder, Fourth Edition: A Handbook for Diagnosis and Treatment. (Das wissenschaftliche Standardwerk zu ADHS).
  • Wilens, T. E., et al. (2008). „The Clinical Dilemma of Using Stimulant Medications to Treat ADHD in Patients With Comorbid Substance Use Disorders.“ Journal of Clinical Psychiatry.
  • National Institute on Drug Abuse (NIDA): „Comorbidity: Substance Use Disorders and Other Mental Illnesses.“
  • ADHS Deutschland e.V.: Größter deutscher Selbsthilfeverband für Menschen mit ADHS.

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Über Gabriel Maetz

NeelixberliN teilt hier seine persönliche und ungefilterte Erfahrung auf dem Weg aus der Sucht. Nach Jahren der Abhängigkeit, unter anderem von Polamidon, kämpft er sich Tag für Tag zurück ins Leben. Dieser Blog ist sein persönliches Logbuch, eine Hilfe für sich selbst und hoffentlich auch eine stütze für andere, die einen ähnlichen Kampf führen.

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