1 Monat und 11 Tage clean: Zwischen Haftbefehl, neuen Skills & dem ganz normalen Wahnsinn. Podcast und Tagebuch Artikel Titelbild

1 Monat und 11 Tage clean: Zwischen Haftbefehl, neuen Skills & dem ganz normalen Wahnsinn



Guten Morgen Berlin, guten Morgen an den Rest der Welt!

Gestern gab es keinen Tagebucheintrag. Ich war mehr mit sozialen Kontakten und fremden Betten beschäftigt. Das muss auch mal sein. 🙂 Aber heute, am 1 Monat und 11. Tag clean, wird es Zeit für ein Update, denn die letzten 48 Stunden waren eine Achterbahnfahrt.

Und ein riesiges Danke an die Leserin, die mir nachts per WhatsApp geschrieben hat – deine Nachricht und das Angebot haben mich umgehauen!

Der Morgen: Guter Schlaf, alte Dämonen & ein Ausflug

Die Nacht war ein Wunder: Nach Wochen habe ich mal wieder ca. 5 Stunden am Stück durchgeschlafen! Der Opiat-Affe war leise. Ein riesiger Erfolg.

Der Vormittag war gefüllt mit positiven Dingen: Ich habe den Hund einer Freundin ausgeführt und danach einen spontanen Video-Call mit einer Leserin gehabt, um ihr ein paar Ratschläge zu geben. Anschließend ging es mit einer anderen Freundin nach Brandenburg an der Havel.

Ich bin dort geboren, hatte aber seit Ewigkeiten keinen Bezug mehr dazu. Mein Vater hatte sich dort durch seinen Konsum das Leben genommen, der Rest der Familie hatte kein Interesse. Aber es war ein innerliches Bauchgefühl, nochmal hinzufahren. Der Spaziergang an der Havel bei sonnigem Wetter war wunderschön. Wir waren sogar noch beim Asklepios Klinikum, um dort Mitarbeiter zu besuchen. Direkt daneben: die JVA Brandenburg. Ironie des Schicksals, da ich ja schon zwei „Einladungen“ habe. 😄


Eine sonnige, friedliche Aufnahme von der Havel in Brandenburg. Ein Steg, Wasser, Bäume. Symbolisiert den ruhigen, positiven Teil des Tages und das Erkunden neuer, cleaner Orte. "Ausflug nach Brandenburg", "positive Erlebnisse in Recovery", "neue Wege gehen"

Die Konfrontation: Wenn die Vergangenheit anruft

Schon am Abend davor wurde es hart. Ein Anruf von einem alten Freund, der immer wieder Rückfälle hat. Wir hatten die Regel: „Bist du clean?“ ist die erste Frage. Diesmal nicht. Er war drauf und wollte von mir wissen, wo es Stoff gibt.

Ich habe abgelehnt. Ihm erklärt, dass die Stellen observiert werden und er nicht mit seinem Sohn dort auftauchen sollte. Er wurde wütend, voller Selbstmitleid. „Ich schwimme halt in der Scheiße, bin dumm und naiv. Zieh du durch.“

Meine Antwort: „Das werde ich, weil ich gerade wieder sehe, wie scheiße das Zeug ist und wie sehr es Menschen verändert.“ Danach kam nur noch „kein Bock“ und ein „Daumen hoch“ von mir. Innerlich war das sein letzter Strike. Ich kann Menschen nicht helfen, die sich nicht helfen lassen wollen und meine eigene Stabilität gefährden.

Der Rückschlag & die neuen Skills

Nach dem Telefonat hat mich die Wut über sein Verhalten wieder voll in den Suchtdruck getrieben. Aber ich habe meine Skills genutzt. Der wichtigste war, bei einer Freundin zu sein, die selbst seit Kurzem clean ist. Ihre Stärke hat mich motiviert.

Aber die Grippe, die mich erwischt hat, wurde schlimmer. Eine andere Freundin, die ich in der Selbsthilfegruppe begleiten wollte, hat mich dann mit nach Hause genommen und mir ein Inhaliergerät und pflanzliche Mittel gegeben.

Zusatzinfo: Die Apotheke im Kopf

Sie weiß, dass ich nichts anderes nehmen kann. Ich könnte aus den meisten rezeptfreien Mitteln wunderbare Drogen zaubern. Nasenspray mit Epinephrin, Hustenstiller mit DXM, Durchfalltabletten mit Bitter Lemon… Ich kenne die Rezepte. Aber ich darf mich diesem Risiko nicht mehr aussetzen. Dieser bewusste Verzicht ist ein harter, aber wichtiger Kampf.


Eine stilisierte Grafik einer Weggabelung im Gehirn. Ein Weg führt zu einem chaotischen Knäuel ("Alte Muster"), der andere zu einem Werkzeugkasten ("Neue Skills"). Eine Figur wählt bewusst den Werkzeugkasten. "bewusste Entscheidung gegen Sucht", "Skills anwenden", "Recovery ist Arbeit"

Mein Fazit: Wachsen an den Herausforderungen

Zuhause angekommen, habe ich geschlafen wie ein Baby. Das erste Mal seit Wochen. Heute Morgen bin ich erholt aufgewacht.

Später stand ein Gerichtstermin an (als Opfer/Zeuge), den ich aber wegen der offenen Haftbefehle und meiner psychischen Verfassung abgesagt habe. Stattdessen habe ich den Krankenschein dafür bei meiner neuen Hausärztin geholt. Selbst das war ein Erfolg: Anstatt mich abwimmeln zu lassen, weil ich keine Maske dabeihatte, habe ich im Nachbarhaus geklingelt und eine besorgt. Ich gebe nicht mehr auf.

Ihr merkt, mein Leben ist ein Mix aus alten Konsequenzen und neuen, positiven Momenten. Aber die Abstände zwischen den schlechten Momenten und dem Suchtdruck werden spürbar größer. Und wenn sie kommen, schaffe ich es schneller wieder heraus. Weil ich einfach weitermache.

Danke für Deine Zeit in diesem Artikel!


Häufige Fragen (FAQ) zur Alltagsbewältigung in der Recovery


Ist es normal, den Kontakt zu Freunden abbrechen zu müssen, die noch konsumieren?

Ja, das ist oft ein notwendiger und sehr schmerzhafter Schritt, besonders in der frühen Recovery. Wie mein Beispiel zeigt, kann der Kontakt zu aktiv konsumierenden Freunden ein massiver Trigger sein und deine eigene Stabilität gefährden. Es geht um radikalen Selbstschutz. Echte Freunde, die deine Entscheidung respektieren, werden dir Zeit geben und da sein, wenn du stabiler bist.

Wie gehe ich damit um, wenn ich weiß, wie ich mir Drogen „selbst herstellen“ könnte?

Dieses Wissen ist eine besondere Belastung und Gefahr. Es erfordert eine extrem bewusste Entscheidung, dieses Wissen nicht anzuwenden. Der Schlüssel ist, die dahinterliegende Notwendigkeit zu erkennen: Du darfst dich keinem Risiko aussetzen. Diese klare Regel und das offene Sprechen darüber (z.B. mit Therapeuten oder in Selbsthilfegruppen) helfen, die Versuchung zu kontrollieren.

Warum sind „normale“ Aktivitäten wie ein Spaziergang oder ein Arztbesuch plötzlich so wichtige Erfolge?

Weil die Sucht den Alltag komplett zerstört. Termine werden nicht wahrgenommen, man verlässt das Haus nicht mehr, jede kleine Aufgabe fühlt sich wie ein unüberwindbarer Berg an. In der Recovery ist die Fähigkeit, diese normalen Dinge wieder zuverlässig und ohne den Filter der Sucht zu erledigen, ein riesiger Schritt zurück ins Leben und ein Beweis für die wachsende Stabilität.


Über den Autor: NeelixberliN

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