1 Monat & 18 Tage clean: Die größte Erkenntnis – Ich kann wieder fühlen! Podcast und Tagebuch Artikel Titelbild

1 Monat & 18 Tage clean: Die größte Erkenntnis – Ich kann wieder fühlen!



Guten Morgen Berlin, guten Morgen an den Rest der Welt!

Heute nehme ich mir endlich wieder die Zeit für einen Tagebucheintrag. Die letzten 7 Tage waren vollgepackt mit Arbeit für die Webseite, für Selbsthilfegruppen und mit Gesprächen mit betroffenen Eltern.

Ich fange an, bestimmte Dinge zu vernachlässigen, weil ich so in meiner neuen Aufgabe aufgehe. Daher heißt es für diese Woche: wieder mehr Struktur, um mich selbst nicht zu verlieren. Denn cleane Kontakte und meine Skills müssen Priorität bleiben. In diesem Artikel berichte ich von den wichtigsten Erlebnissen der letzten Woche und einer riesigen Erkenntnis.

Die größte Erkenntnis: Ich kann wieder fühlen! ❤️‍🩹

Eine sehr wichtige Person in meinem Leben hat mir jahrelang versucht zu erklären, dass ich auf Drogen und Polamidon nicht „richtig“ fühle. Ich dachte immer: „So ein Quatsch, ich fühle doch.“ Heute, nach über einem Monat komplett clean, weiß ich: Sie hatte so verdammt recht.

Der Entzug von Polamidon hat bei mir fast 2 Jahre gedauert, bis die echten Emotionen überhaupt zurückkamen. Und erst jetzt verstehe ich den Unterschied.

Was ich auf Drogen nie gespürt habe

Wir Süchtigen kennen die Worte für Gefühle – Wut, Trauer, Freude. Aber wir spüren die körperlichen Reaktionen darauf nicht mehr. Die Sucht macht uns zu Emotionszombies. Was ich jetzt neu erlebe:

  • Das Kribbeln im Bauch bei Aufregung.
  • Die Schnur, die sich um den Hals legt, bei Angst oder Trauer.
  • Der Druck in der Brust, wenn etwas berührt (nicht der Affe!).
  • Echte Gänsehaut bei Musik, die unter die Haut geht.
  • Wahre Empathie: Den Schmerz anderer fühlen, als wäre es der eigene.
  • Das Gefühl von Erfolg, das dich wortwörtlich hochfliegen lässt – höher als Koks es je könnte.
  • Selbstbewusstsein, das dich wieder stolz durch die Straßen laufen lässt.
  • Morgendliche Motivation, bei der du wie auf Ecstasy die ganze Welt umarmen könntest, nur ohne Nebenwirkungen und zerkauten Kiefer.

All das steckt bereits in uns. Aber Pharma, Alkoholindustrie und Dealer programmieren unser Gehirn so um, dass wir glauben, wir könnten das ohne ihre Substanzen nicht erreichen. Sie machen uns zu Gegenständen in ihrem Uhrwerk, die jederzeit austauschbar sind.


Eine stilisierte Grafik. Links eine graue, schemenhafte Silhouette mit einem "ausgeschalteten" Gehirn. Rechts die gleiche Silhouette, aber in lebendigen Farben, mit einem leuchtenden Herzen und einem aktiven Gehirn. Symbolisiert die Rückkehr der Gefühle. "Gefühle nach Entzug", "Emotionen in Recovery", "wieder fühlen lernen"

Der Alltag: Zwischen Vater-Reflexion und Trigger-Management

Diese neuen Emotionen wurden durch verschiedene Erlebnisse in den letzten Tagen ausgelöst.

Der Film, der traf

Bei einer Freundin habe ich den Film „I Love My Dad“ gesehen. Ein Vater, der seinen suizidgefährdeten Sohn „catfisht“, um ihm wieder nahezukommen, weil er früher nie für ihn da war. Das hat mich hart an meine eigene Vaterrolle erinnert. Auch ich war wegen meiner Sucht nie richtig für meine Kinder da. Einer meiner größten Wünsche ist es, mich irgendwann aufrichtig entschuldigen zu können und bis dahin bewiesen zu haben, dass ich ein anderer Mensch geworden bin. Allein dafür muss ich stark bleiben.

Der Nachbar, der triggert

Die Wut ist die einzige Emotion, die mir derzeit noch gefährlich werden kann. Und mein Nachbar, über den ich schon berichtet habe, schafft es immer noch, sie in mir auszulösen. Er sitzt mit seinem Rollator (den er nicht braucht) unter meinem Fenster und hetzt andere Nachbarn gegen den „Junkie“ auf. Es sollte mir egal sein, aber noch schafft er es. Bisher ignoriere ich ihn und verteile meine Klatschen nur gedanklich. 😉


Ein Bild einer Person, die nachdenklich auf einem Sofa sitzt und einen Film schaut. Das Gesicht zeigt eine starke emotionale Reaktion. Symbolisiert die neue Fähigkeit zur Empathie. "Empathie fühlen", "emotionale Reaktion", "neue Gefühle entdecken"

Mein Fazit: Das Leben findet jetzt statt

Die letzten Tage waren wieder eine Achterbahn. Ich habe mit einer Mutter gesprochen, deren jugendliches Kind von einem mir bekannten Dealer zu einem bewaffneten Raubüberfall gezwungen wurde. Ich arbeite im Hintergrund weiter an meiner Mission, solchen Systemen das Handwerk zu legen. Ich habe einen Termin beim Chefarzt meiner alten Klinik bekommen, der mich nun persönlich weiterbehandelt. Ich habe mitbekommen, dass ich vor Gericht als Zeuge gegen einen Dealer aussagen soll, der mich vor zwei Jahren fast abgestochen hätte – aber da kann ich mit zwei offenen Haftbefehlen gerade schlecht hin.

Es ist ein Chaos. Aber es ist ein lebendiges Chaos. Ich habe das Kochen für mich entdeckt, arbeite an meinem Podcast und werde ab heute wieder täglich berichten. Weil ich merke, wie wichtig diese Momente sind. Und sie sind mehr wert als jeder Rausch.

Danke für Deine Zeit in diesem Artikel!


Häufige Fragen (FAQ) zum Thema Emotionen in der Recovery


Warum fühlen sich Emotionen nach einem langen Drogen- oder Substitutionsentzug so intensiv und neu an?

Weil Opioide und andere dämpfende Substanzen das emotionale Erleben massiv unterdrücken oder verfälschen. Dein Gehirn und Körper „verlernen“, wie sich echte, ungefilterte Freude, Trauer oder Wut mit all ihren körperlichen Begleiterscheinungen (z.B. Kribbeln, Kloß im Hals) anfühlen. Wenn diese Fähigkeit in der Recovery zurückkehrt, ist es oft überwältigend und intensiv, weil es eine völlig neue oder sehr lange vergessene Erfahrung ist.

Wie unterscheidet sich eine „Drogen-Emotion“ von einer echten Emotion?

Wie im Artikel beschrieben, ist eine Drogen-Emotion oft nur ein „Gedanke“ an ein Gefühl, ohne die dazugehörige, tiefe körperliche Empfindung. Es ist eine flache Kopie. Die künstliche Euphorie einer Droge ist nicht dasselbe wie die tiefe, verdiente Freude über einen echten Erfolg oder die herzzerreißende Empathie in einem traurigen Moment. Echte Emotionen sind eine ganzheitliche Erfahrung aus Körper und Geist.

Ist Wut ein besonders gefährlicher Trigger für einen Rückfall?

Ja, für viele Menschen ist Wut (genau wie Angst oder Trauer) ein extrem starker Trigger. Sie ist eine sehr energiereiche und unangenehme Emotion. Die Sucht hat das Gehirn darauf konditioniert, dass Substanzen eine schnelle „Lösung“ bieten, um diese Anspannung sofort loszuwerden. Das Erlernen von gesunden Strategien zum Umgang mit Wut ist daher ein zentraler Bestandteil jeder erfolgreichen Therapie.


Über den Autor: NeelixberliN

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