16 Tage clean: Ein Verhaltensrückfall & der Kampf gegen den Suchtdruck

16 Tage clean: Ein Verhaltensrückfall & der Kampf gegen den Suchtdruck


Hey Berlin, hey an den Rest der Leser. 18:51 Uhr. Ich bin seit zwei Minuten zu Hause und direkt am Laptop – als Skill, um den Druck zu kanalisieren. Meine Hände zittern, ich habe Schweißausbrüche und mein Hyde versucht gerade, jede positive Zelle in meinem Hirn zu killen. 🤯

Ich war wieder so naiv zu denken, ich hätte langsam die Kontrolle. Aber heute kamen ein paar Faktoren zusammen, die mich an den Rand gedrängt haben.

Das Helfersyndrom: Wie eine „gute“ Absicht zum Fehler wurde

Alles begann mit einer Entscheidung von gestern Abend: Ich wollte andere vor den neuen, miesen Tricks der Dealer schützen. Besonders wenn es um Frauen oder Familien geht, schaltet sich bei mir eine Art Helfersyndrom ein, bei dem ich meinen eigenen Schutz hintenanstelle.

Eine alleinerziehende Mutter aus meinem alten Umfeld, die ihr verschriebenes Medikament wegen der Feiertage und der kaputten Ärzte-Infrastruktur nicht bekam, landete natürlich bei mir – dem „Apotheker“.

Das miese System der Dealer

Ich muss das kurz erklären: Die neue Masche ist das „Kombi“-System. Du willst 1-2 Gramm, musst aber 10 nehmen. Das Geld fehlt, also bietet der Dealer dir den Rest auf Pump an. Ein paar Tage später macht er massiv Druck und bietet dir an, die Schulden „abzuarbeiten“ – mit deinem Körper. Oft wird den Leuten sogar gezielt Kokain angeboten, um eine Abhängigkeit zu erzeugen und sie gefügig zu machen.

Also dachte ich: „NeelixberliN, du musst helfen. Nur dieses eine Mal.“ Ich wollte dieser Frau und ein paar anderen helfen, die auch für mich da waren, als mein Hund starb. Ich wollte die Dealer für 1-2 Monate ausbremsen. Falsch gedacht. Lebensgefährlich falsch.


Eine Hand, die sich nach einer anderen ausstreckt, aber ein Stacheldraht ist dazwischen. Symbolisiert die gefährliche Gratwanderung zwischen Helfen und Selbstzerstörung. "Helfersyndrom bei Sucht", "gefährliche Hilfe", "Grenzen setzen im Entzug"

Der Trip nach Mordor: Zurück am Kottbusser Tor 🚇

Heute Morgen also aufgestanden, druck-frei und positiv. Geld für die Medikamente eingesammelt (ohne Aufschlag, nur zum Helfen, hat Hyde mir eingeredet) und dann in die U8 gestiegen. Ziel: Kotti.

Die Szene kennt mich, der Deal war schnell erledigt. Angebote für Pola, Metha, Diaz, Rivos konnte ich alle abwehren mit „Ich bin clean, organisiere nur.“ Aber je mehr Leute ich traf, desto mehr spürte ich es: Dieses Kribbeln im Darm, das Zittern vor Vorfreude, das Adrenalin. Der Körper, kurz vor dem Konsum. 😱 Ich erkannte es und bin sofort zurück. Die Infos, wer wieder gestorben ist oder sich einen Arm weggeballert hat, reichten als Dosis Realität.

Ich lieferte alles ab und war kurz stolz auf mich (dafür könnte ich mich selbst ohrfeigen), dass ich nicht rückfällig geworden bin.

Der Anruf, der alles veränderte: Hyde übernimmt das Steuer

Ich ging direkt zu einer Leiterin einer Selbsthilfegruppe, um beim Vorkochen für eine Feier zu helfen. Dort konnte ich offen sein. Nach 10 Minuten habe ich von meinem Verhaltensrückfall berichtet.

Wir gingen dann gemeinsam zur Feier, aber es war laut, partyähnlich – ein Trigger. Und dann klingelte mein Handy.

Anrufer: „NeelixberliN?“

Ich: „Ja? Ich bin gerade in der Selbsthilfegruppe, kann nicht.“

Anrufer: „Kein Problem, wollte nur fragen, ob ich später auf ne Kippe vorbeikommen kann. Hab ’nen Haufen unterschiedliche Medikamente hier und wollte dir die bringen.“

Ich: „Äh, ja, aber das dauert hier noch 1-2 Stunden.“

Anrufer: „Kein Problem, meld dich, wenn du zu Hause bist.“

Ich: „Ok.“ Aufgelegt.

Zweiter Fehler. Ich hätte direkt NEIN sagen müssen. Aber in diesem Moment hatte Hyde bereits übernommen. Die Neugier, welche Medikamente ich da ausschlagen könnte, hat einen Suchtdruck ausgelöst, so extrem, dass es kaum auszuhalten war.


Ein Smartphone in einer Hand, das im Dunkeln leuchtet. Der Anruf ist anonym oder von einer unbekannten Nummer. Symbolisiert den Trigger, die Versuchung, die von außen kommt. "Trigger Anruf Sucht", "Versuchung widerstehen", "Suchtdruck durch Kontakt"

Showdown zu Hause: Die Tüte mit den Pillen

Meine Gedanken kreisten nur noch um diese Medikamente. Ich bin aus der Gruppe geflohen, Kopfhörer auf, laufen, Eistee geholt (bloß kein Alkohol!) und nach Hause. Und da sitze ich nun, schreibe diese Zeilen und weiß, er kommt gleich.

Update 20:11 Uhr: Er war da. Er ist wieder weg.

Ich hab ihn reingelassen. Das Risiko. Kaum „Hallo“ gesagt, hatte ich die Tasche mit den Packungen in der Hand. Hyde hatte zugegriffen und Dr. Jäckel hat nur zugesehen.

Wir packen aus. Das Erste, was ich sehe: Neuroleptika. Olanzapin, Amisulprid – beides gegen Schizophrenie. Für Junkies wie mich sofort uninteressant. Pures Glück.

Ich hab ihm das erklärt, gesagt, dass es dafür keinen Markt gibt. Und dann begann meine Leier: Dass ich clean bin, warum, und dass er morgen nicht wegen Geld für Koks ankommen braucht. Ich merkte, wie das „Heißreden“ über Substanzen begann. Ich hab das Gespräch sofort gestoppt. Dass es bei mir nur Eistee gab, machte es ihm wohl auch zu ungemütlich. Er ist gegangen.

Die Lehre des Tages: Ein Rückschritt, aber kein Rückfall

Ich habe es geschafft. Nichts Falsches angenommen. Klar gemacht, dass es mir ernst ist. Aber Hyde hatte heute viel zu viel Kontrolle. Wäre da was mit „-pam“ am Ende gewesen… es wäre nach hinten losgegangen.

Oh Mann, heute war echt ein Rückwurf. Wer meine letzten Artikel gelesen hat, merkt den Unterschied.

Aber ich versuche, das Positive zu sehen:

  • Ich konnte am Ende nein sagen.
  • Die Dealer haben ein paar Umsätze weniger.
  • Ich bin noch immer clean!

Jetzt muss ich wieder raus. Jacke an, Kopfhörer auf, den letzten Druck weglaufen. Wir lesen uns morgen. Danke für deine Zeit.

Es ist jetzt genau 21:00 Uhr.


Häufige Fragen (FAQ) zum Thema „Verhaltensrückfall & Suchtdruck“


Was genau ist ein „Verhaltensrückfall“?

Ein Verhaltensrückfall bedeutet, dass man zwar keine Substanzen konsumiert, aber in alte, schädliche Verhaltensmuster zurückfällt. Dazu gehört, sich bewusst in riskante Situationen zu begeben (z.B. Treffen mit Dealern), alte Kontakte zu reaktivieren oder Ausreden zu finden, um sich der „Szene“ wieder anzunähern. Es ist oft die direkte Vorstufe zu einem Konsumrückfall.

Wie kann ein „Helfersyndrom“ im Entzug gefährlich werden?

Der Wunsch zu helfen ist menschlich, aber für einen Süchtigen kann er eine Falle sein. Die „gute Absicht“ wird oft unbewusst von der Sucht (dem „Hyde“) als perfekte Ausrede benutzt, um wieder Kontakt zur Drogenszene aufzunehmen und Grenzen zu überschreiten. Der eigene Schutz muss in der Recovery immer an erster Stelle stehen.

Was kann ich bei extremem, akutem Suchtdruck tun?

  1. Situation sofort verlassen: Geh raus, ändere den Raum.
  2. Skill anwenden: Tu etwas, das dich sofort ablenkt und fokussiert, wie Laufen, laute Musik hören, schreiben oder eine kalte Dusche.
  3. Rede darüber: Ruf sofort einen Vertrauten, deinen Therapeuten oder eine Hotline an. Sprich aus, was in dir vorgeht. Das nimmt dem Suchtdruck die Macht.
  4. Distanz schaffen: Gib dir Zeit. Der intensive Druck hält meist nur 15-20 Minuten an. Deine Aufgabe ist, diese Zeit zu überbrücken, ohne zu handeln.

Über den Autor: NeelixberliN


Über Gabriel Maetz

NeelixberliN teilt hier seine persönliche und ungefilterte Erfahrung auf dem Weg aus der Sucht. Nach Jahren der Abhängigkeit, unter anderem von Polamidon, kämpft er sich Tag für Tag zurück ins Leben. Dieser Blog ist sein persönliches Logbuch, eine Hilfe für sich selbst und hoffentlich auch eine stütze für andere, die einen ähnlichen Kampf führen.

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