„Unsere Tochter (16) ist süchtig“: Eine unzensierte Antwort an Eltern in Angst

„Unsere Tochter (16) ist süchtig“: Eine unzensierte Antwort an Eltern in Angst

Ein Artikel aus der „Recovery & Beziehungen“-Serie von NeelixberliN

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Trigger-Warnung: Dieser Artikel behandelt die Themen Sucht bei Jugendlichen, elterliche Hilflosigkeit und Co-Abhängigkeit. Er enthält direkte Handlungsanweisungen.


Nach 28 Jahren Sucht & Recovery erhalte ich viele Nachrichten, die mich berühren. Aber keine trifft mich so sehr wie diese. Weil sie zeigt, dass Eltern hinschauen. Das ist mehr, als ich hatte. Die folgende Nachricht habe ich anonymisiert. Ich nenne die Absender „Besorgte Eltern“.

„Lieber Gabriel, wir glauben, unsere Tochter (16) rutscht ab. Sie ist verschlossen, ihre Noten sind im Keller, sie lügt uns an. Wir haben leere Flaschen in ihrem Zimmer gefunden. Wir haben solche Angst, alles falsch zu machen. Druck? Verständnis? Reden? Schweigen? Wir sind wie gelähmt. Bitte, was sollen wir tun?“

Liebe Eltern,

ich höre eure Angst und eure Lähmung in jeder Zeile. Und ich antworte euch aus einer besonderen Perspektive: als das Kind, dessen Probleme nicht gesehen wurden.

Ich war kein klassisches „Problemkind“, das nach außen rebelliert hat. Meine Eltern haben meinen Konsum nie mitbekommen. Ich war ein stiller Überlebender eines schwierigen Elternhauses, der seinen Schmerz mit Drogen betäubt hat. Als ich mit 15 in meine erste eigene Wohnung zog, gab es keine Kontrolle mehr – und ich bin vollends in die Sucht abgerutscht. Vielleicht hätte ein ehrliches Gespräch, eine frühe Intervention, alles verändert.

Deshalb ist hier meine unzensierte Antwort an euch, die ihr jetzt die Chance habt, hinzusehen.

Die Pubertät ist ein Sturm. Die Sucht ist ein Tsunami. Eure Aufgabe als Eltern ist nicht, den Tsunami aufzuhalten – das könnt ihr nicht. Eure Aufgabe ist es, einen verdammt stabilen Leuchtturm zu bauen, der Orientierung gibt, und ein Rettungsboot bereitzustellen, anstatt selbst mit ins Wasser zu springen und zu ertrinken.


🎯 Die harten Fakten: Sucht im Jugendalter in Deutschland

📊 Die harten Fakten in Zahlen: Sucht im Jugendalter in Deutschland

Eure Sorge ist keine Überreaktion. Die Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zeigen ein klares Bild:

  • Alkohol-Erfahrung ist normal: Über 70% der 12- bis 17-Jährigen haben schon einmal Alkohol getrunken. Regelmäßiger Konsum ist das eigentliche Alarmsignal.
  • Cannabis als Einstiegsdroge Nr. 1: Cannabis ist die mit Abstand am häufigsten konsumierte illegale Droge unter Jugendlichen. Das Einstiegsalter sinkt.
  • Früher Start, hohes Risiko: Je früher der regelmäßige Konsum von Substanzen beginnt, desto höher ist das Risiko, eine lebenslange Abhängigkeit zu entwickeln, da das Gehirn noch in der Entwicklung ist.
  • Familiäres Risiko: Kinder aus suchtbelasteten Familien (auch Alkoholismus) haben ein bis zu 6-fach höheres Risiko, später selbst eine Suchterkrankung zu entwickeln.

🔬 Wissenschaft: Warum das pubertäre Gehirn auf Risiko steht

Die Pubertät ist neurobiologisch eine Hochrisiko-Phase. Im Gehirn deines Kindes passiert Folgendes:

  • Gaspedal voll durchgetreten: Das Belohnungs- und Emotionszentrum (limbisches System) ist in der Pubertät extrem aktiv. Der Wunsch nach neuen Reizen, nach Kicks, nach intensiven Gefühlen und sozialer Anerkennung ist riesig.
  • Die Bremse ist noch nicht fertig gebaut: Der für rationales Denken, Impulskontrolle und das Abwägen von Konsequenzen zuständige präfrontale Kortex ist erst mit Mitte 20 vollständig ausgereift.
  • Das Ergebnis: Ein hochmotorisierter Rennwagen (starker Drang nach Belohnung) mit schwachen Bremsen (geringe Impulskontrolle). Drogen wirken in dieser Phase wie ein Turbo-Knopf, dessen Gefahren nicht realistisch eingeschätzt werden können.

🎭 Helfen vs. Enabling: Der schmale Grat, auf dem Eltern balancieren

Ein Jugendlicher balanciert auf einem Drahtseil zwischen Pubertät und Sucht, als Symbol für die schwierige Situation der Eltern.
Die Gratwanderung zwischen normaler Pubertät und beginnender Sucht ist für Eltern ein nervenaufreibender Drahtseilakt.

Deine größte Herausforderung als Elternteil ist es, den Unterschied zwischen liebevoller Hilfe und schädlichem „Enabling“ (Ermöglichen) zu verstehen.

⚠️ Helfen oder Ermöglichen? Der schmale Grat, auf dem Eltern balancieren

Eure größte Herausforderung ist es, den Unterschied zwischen liebevoller Hilfe und schädlichem „Enabling“ (Ermöglichen) zu verstehen.

  • HILFE ist…
    • …ein offenes, vorwurfsfreies Gespräch anbieten.
    • …klare, unmissverständliche Grenzen für das Zusammenleben zu setzen.
    • …gemeinsam eine professionelle Beratungsstelle aufzusuchen.
    • …deine Tochter zu ermutigen, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen.
  • ENABLING ist…
    • …ihr die negativen Konsequenzen ihres Konsums abzunehmen (z.B. sie in der Schule krankmelden, wenn sie verkatert ist).
    • …ihr Geld zu geben, von dem du ahnst, dass es für Drogen verwendet wird.
    • …ihr Verhalten vor anderen zu vertuschen oder zu entschuldigen.
    • …deine eigenen Grenzen immer wieder aufzuweichen, weil du Angst vor dem Konflikt hast.

Helfen stärkt die Verantwortung deines Kindes. Enabling füttert die Krankheit.


🛡️ Safer Use: Euer Schlachtplan als Eltern

Ein Kompass in den Händen von Eltern, der auf Selbstfürsorge statt auf das Kind zeigt. Symbol dafür, dass Eltern sich zuerst um sich selbst kümmern müssen.
Dein wichtigster Kompass in dieser Krise ist nicht dein Kind. Es ist deine eigene Stabilität und Selbstfürsorge. Nur von dort aus kannst du wirklich helfen.

Vorwürfe und Panik führen nur dazu, dass sich eure Tochter noch mehr verschließt. Ein ruhiges, klares und strategisches Vorgehen ist entscheidend.

🛡️ Safer Use: Dein Schlachtplan – ruhig, klar und konsequent

Panik ist ein schlechter Ratgeber. Was ihr jetzt braucht, ist ein klarer Plan.

  1. Holt euch ZUERST selbst Hilfe: Geht als Paar oder allein zu einer Suchtberatungsstelle für Angehörige. Das ist der wichtigste Schritt. Ihr braucht einen neutralen Profi, der euch hilft, die Situation zu sortieren und einen gemeinsamen Kurs festzulegen.
  2. Sucht das Gespräch (aber richtig): Wählt einen ruhigen Moment. Nutzt Ich-Botschaften: „Wir machen uns große Sorgen, weil wir bemerkt haben, dass… Wir haben Angst um dich.“ Hört zu, ohne zu verurteilen. Versucht zu verstehen, was hinter dem Konsum steckt.
  3. Setzt klare, gemeinsame Grenzen: Formuliert als Eltern eine klare, unmissverständliche Regel. Z.B.: „Wir dulden keinen Konsum in diesem Haus. Wenn wir Drogen oder Alkohol finden, ist die Konsequenz, dass wir dein Taschengeld streichen, bis wir gemeinsam bei einer Familienberatung waren.“
  4. Seid KONSEQUENT: Das ist der härteste Teil. Wenn ihr eine Konsequenz androht, müsst ihr sie zu 100% durchziehen. Jede inkonsequente Handlung untergräbt eure Glaubwürdigkeit und stärkt die Sucht.

🤔 Ausführliche FAQ

🤔 Meine Tochter leugnet alles, obwohl ich Beweise habe. Was soll ich tun?

✅ Das Leugnen ist ein Teil der Krankheit. Vermeide eine „Gerichtsverhandlung“. Sage stattdessen ruhig: „Ich habe das hier gefunden und mache mir große Sorgen um dich. Ich will dich nicht bestrafen, ich will verstehen, was los ist. Lass uns gemeinsam zu einer Beratungsstelle gehen und einfach nur reden.“ Bleib bei deiner Sorge, nicht beim Vorwurf.

❤️ Soll ich meiner Tochter den Drogenkonsum verbieten und sie bestrafen?

✅ Klare Regeln („Kein Konsum im Haus“) sind wichtig. Aber reine Strafen (wie wochenlanger Hausarrest) ohne ein Hilfsangebot führen oft nur zu mehr Heimlichtuerei. Die bessere Konsequenz ist an eine Handlung geknüpft: „Wir können dein Taschengeld nicht geben, bis wir gemeinsam bei einer Beratung waren.“ Es ist eine Konsequenz, die auf eine Lösung abzielt.

🧠 Was sind die „Drei K’s“ der Co-Abhängigkeit?

✅ Eine wichtige Eselsbrücke für euch: 1. **K**rankheit: Ihr habt die Sucht nicht verursacht. 2. **K**ontrolle: Ihr könnt sie nicht kontrollieren. 3. **K**urieren: Ihr könnt sie nicht heilen. Das hilft, die eigene Machtlosigkeit zu akzeptieren und sich auf das zu konzentrieren, was ihr kontrollieren könnt: euer eigenes Verhalten.

📚 Lesetipp zur Vertiefung

📖 Lesetipp zur Vertiefung

Außer Kontrolle: Unsere Kinder, ihre Süchte – und was wir dagegen tun können von Sonja Vukovic

Die renommierte Journalistin Sonja Vukovic liefert einen schonungslosen, aber dringend notwendigen Einblick in die Lebenswelt von süchtigen Jugendlichen und die Hilflosigkeit der Eltern. Dieses Buch ist kein trockener Ratgeber, sondern eine tief recherchierte Reportage, die aufklärt, wachrüttelt und gleichzeitig konkrete Lösungswege aufzeigt. Es ist die perfekte Lektüre für alle Eltern, die nicht nur verstehen wollen, *was* passiert, sondern auch *warum* – und was sie jetzt tun können.

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🎬 NeelixberliN Fazit

Eine große Hand bietet einer kleinen, zögerlichen Hand Hilfe an. Symbol für das richtige Hilfsangebot an suchtkranke Kinder.
Du kannst die Hand nur ausstrecken. Ergreifen muss sie dein Kind selbst. Aber wenn es so weit ist, muss deine Hand da sein – stark und verlässlich.

Als das Kind, dessen Konsum unbemerkt blieb, kann ich euch sagen: Eure Sorge, eure Einmischung, eure Grenzen – auch wenn sie zu Streit führen – sind ein Zeichen von Liebe. Sie sind das Geländer, an dem sich eure Tochter festhalten kann, selbst wenn sie wütend dagegen tritt.

Ich hatte dieses Geländer nicht, und der Fall war tief.

Eure wichtigste Aufgabe ist nicht, die perfekten Eltern zu sein. Es gibt sie nicht. Eure wichtigste Aufgabe ist, die stabilen Eltern zu sein. Ein Fels in der Brandung. Ein Leuchtturm, der auch im größten Sturm der Sucht nicht aufhört zu leuchten. Seid präsent. Seid unbequem. Seid die Eltern, die hinschauen, auch wenn es wehtut. Es ist die größte Chance, die ihr eurer Tochter geben könnt.


📖 Quellen & Referenzen

  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Die Drogenaffinitätsstudie Jugendlicher. (Regelmäßige Erhebung zum Konsumverhalten).
  • Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS): Jahrbuch Sucht. (Umfassende Statistiken zu Sucht in Deutschland).
  • Siegel, D. J. (2014). Brainstorm: The Power and Purpose of the Teenage Brain. (Grundlagenwerk zum Verständnis des pubertären Gehirns).
  • ELSA – Elternkreise für suchtgefährdete und suchtkranke Söhne und Töchter e.V.: Die zentrale deutsche Selbsthilfeorganisation für Eltern.

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Über Gabriel Maetz

NeelixberliN teilt hier seine persönliche und ungefilterte Erfahrung auf dem Weg aus der Sucht. Nach Jahren der Abhängigkeit, unter anderem von Polamidon, kämpft er sich Tag für Tag zurück ins Leben. Dieser Blog ist sein persönliches Logbuch, eine Hilfe für sich selbst und hoffentlich auch eine stütze für andere, die einen ähnlichen Kampf führen.

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