Umfassendes Drogenlexikon von NeelixberliN – Wissenschaftlich fundiert, ehrlich und aktuell
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Hey Du, heute reden wir über ein Schmerzmittel, das viele für harmlos halten. Es wird von Ärzten oft als „schwaches“ Opioid bezeichnet und leichter verschrieben als Morphin oder Oxycodon. Aber lass dich nicht täuschen: Tramadol ist eine hochpotente Substanz mit einer tückischen Doppelwirkung, einem massiven Suchtpotenzial und einem der brutalsten Entzüge.
Ich kenne es selbst aus meiner Zeit im Medikamentenhandel nur zu gut. Es war, genau wie Tilidin, immer einfach zu organisieren und auf dem Schwarzmarkt eine beliebte und günstige Alternative, bis der „richtige“ Stoff da war. Diese scheinbare Harmlosigkeit ist die größte Lüge und die größte Gefahr von Tramadol.
🧠 Hauptwirkstoff-Definition: Ein Opioid mit zwei Gesichtern
Tramadol ist ein vollsynthetisches Schmerzmittel aus der Gruppe der Opioide. Lange dachte man, es sei rein künstlich, bis man den Wirkstoff 2013 überraschenderweise auch in der Wurzelrinde eines afrikanischen Baumes fand.
Das Besondere und Tückische an Tramadol ist seine duale Wirkungsweise:
- Opioide Wirkung: Es bindet an die μ-Opioid-Rezeptoren im Gehirn. Diese Bindung ist zwar schwächer als die von Morphin, sorgt aber für die typische schmerzlindernde und leicht euphorische Wirkung.
- Antidepressive Wirkung: Gleichzeitig hemmt Tramadol die Wiederaufnahme der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin im Gehirn. Es wirkt also zusätzlich wie ein SNRI-Antidepressivum (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer).
Diese Kombination aus leichter Opioid-Entspannung und antidepressiver Stimmungsaufhellung macht es für viele so attraktiv – und den Entzug zu einer doppelten Hölle.
🧠 Der duale Wirkmechanismus: Opioid trifft Antidepressivum
Tramadol ist pharmakologisch einzigartig. Es greift an zwei völlig unterschiedlichen Systemen im Gehirn an:
- Das Opioid-System: Tramadol selbst ist nur ein schwacher Agonist am μ-Opioid-Rezeptor. Erst sein Abbauprodukt in der Leber, O-Desmethyltramadol (M1), ist ein potenter Opioid-Agonist und primär für die schmerzlindernde und euphorische Wirkung verantwortlich. Die Stärke der Wirkung hängt also stark von der individuellen Leberfunktion ab.
- Das Monoamin-System: Unabhängig davon wirkt Tramadol als SNRI (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer). Es blockiert die Transporter, die diese Botenstoffe aus dem synaptischen Spalt entfernen. Dadurch steigt deren Konzentration, was zu einer stimmungsaufhellenden, antriebssteigernden und antidepressiven Wirkung führt.
Diese Kombination macht das „High“ für viele attraktiver als das von reinen Opioiden – eine sanfte Euphorie gepaart mit einem Gefühl von emotionaler Wärme und Energie.

☠️ Die Risiken: Warum „schwach“ eine gefährliche Lüge ist
Die vermeintlich schwache Opioid-Wirkung verleitet viele zum Missbrauch in hohen Dosen, um einen stärkeren Rausch zu erzielen. Das hat massive und teils einzigartige Risiken.
WARNUNG: Das hohe Risiko für Krampfanfälle
Dies ist die spezifischste und eine der größten Gefahren von Tramadol. Durch seine starke Wirkung auf das Serotonin- und Noradrenalin-System senkt es die Krampfschwelle im Gehirn erheblich.
- Was bedeutet das? Die „Reizschwelle“, ab der Nervenzellen im Gehirn unkontrolliert und synchron „feuern“ (was einen epileptischen Anfall ausmacht), wird herabgesetzt. Das Gehirn wird also anfälliger für Krampfanfälle.
- Auslöser: Das Risiko steigt dramatisch mit der Dosis. Bereits Dosen über 400 mg (die therapeutische Tageshöchstdosis) können bei gesunden Menschen Anfälle auslösen. Bei Drogenkonsumenten, die oft weitaus höhere Dosen nehmen, ist das Risiko massiv.
- Gefährlicher Mischkonsum: Die Kombination mit anderen Substanzen, die ebenfalls die Krampfschwelle senken, ist extrem gefährlich. Dazu gehören vor allem Stimulanzien (Speed, Koks) und viele Antidepressiva (SSRIs, SNRIs).
Ein Tramadol-induzierter Krampfanfall kann plötzlich und ohne Vorwarnung auftreten.
Weitere akute Risiken:
- Serotonin-Syndrom: Eine potenziell tödliche Überstimulation des Serotonin-Systems. Das Risiko ist extrem hoch bei Mischkonsum mit anderen serotonergen Substanzen wie MDMA (Ecstasy), SSRI/SNRI-Antidepressiva oder MAO-Hemmern. Symptome sind u.a. Fieber, starkes Schwitzen, Muskelstarre, Verwirrung und Herzrasen. Ein medizinischer Notfall!
- Atemdepression: Wie bei allen Opioiden kann Tramadol, besonders in hohen Dosen oder in Kombination mit anderen „Downern“ (Alkohol, Benzodiazepine, GBL/GHB), die Atmung bis zum Stillstand verlangsamen.
- Abhängigkeit: Das psychische und körperliche Suchtpotenzial ist entgegen der landläufigen Meinung hoch und entwickelt sich oft schleichend.

⛓️ Der Entzug: Die doppelte Hölle
Der Entzug von Tramadol ist berüchtigt, weil er die Symptome von zwei völlig unterschiedlichen Medikamentenklassen kombiniert. Betroffene beschreiben es oft als unerträglich.
- Der typische Opioid-Entzug:
- Grippeähnliche Symptome: Gliederschmerzen, Frieren, Schwitzen
- Magen-Darm-Probleme: Übelkeit, Durchfall, Krämpfe
- Starke körperliche Unruhe (Restless-Legs-Syndrom)
- Der atypische Antidepressiva-Entzug (SNRI-Absetzsyndrom):
- Extreme Angstzustände, Panikattacken, Reizbarkeit
- Starke Depression und emotionale Instabilität
- Schwindel, Verwirrung, Konzentrationsstörungen
- Die gefürchteten „Brain Zaps“: Das Gefühl von kurzen, heftigen Stromschlägen im Kopf.
Dieser doppelte Entzug macht ein langsames, ärztlich begleitetes Ausschleichen (Tapering) absolut notwendig. Ein Kaltentzug ist extrem qualvoll und führt oft zu schnellen Rückfällen.
⛓️ Die doppelte Hölle: Opioid- und Antidepressiva-Entzug gleichzeitig
Stell dir vor, du hast eine schwere Grippe und gleichzeitig eine schwere Angststörung. So beschreiben viele den Entzug von Tramadol.
- Der Opioid-Entzug (körperlich):
- Fühlt sich an wie eine schwere Grippe: Gliederschmerzen, Schüttelfrost, Schwitzen, laufende Nase.
- Starke körperliche Unruhe, besonders in den Beinen (Restless-Legs).
- Magen-Darm-Hölle: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall.
- Der Antidepressiva-Entzug (psychisch):
- Extreme emotionale Dysregulation: Schwere Angst, Panikattacken, Weinkrämpfe, Aggressivität.
- „Brain Zaps“: Das Gefühl von kurzen, elektrischen Schlägen im Kopf bei Bewegung.
- Tiefe Depression, Derealisation und Depersonalisation (Gefühl, neben sich zu stehen).
Diese einzigartige Kombination macht den Entzug nicht nur extrem qualvoll, sondern auch komplexer in der Behandlung als bei reinen Opioiden.
Ausführliche FAQ
🤔 Ist Tramadol so stark wie Tilidin oder Morphin?
✅ In seiner reinen Opioid-Wirkung ist Tramadol schwächer als Morphin und etwa vergleichbar mit Tilidin. Der entscheidende Unterschied ist jedoch der zusätzliche Wirkmechanismus als Antidepressivum (SNRI), der die psychotrope Wirkung einzigartig macht und von vielen als „angenehmer“ empfunden wird, was das Suchtpotenzial erhöht.
seizures Warum kann ich von Tramadol einen Krampfanfall bekommen?
✅ Weil Tramadol durch seine Wirkung auf das Serotonin- und Noradrenalin-System die Krampfschwelle des Gehirns senkt. Das Gehirn neigt also eher zu unkontrollierten elektrischen Entladungen. Dieses Risiko steigt massiv mit der Dosis (besonders über 400mg/Tag) und bei Mischkonsum mit anderen Drogen wie Stimulanzien (Speed, Koks) oder bestimmten Antidepressiva.
😥 Ist der Entzug von Tramadol wirklich so schlimm?
✅ Ja, er wird von vielen Betroffenen als extrem unangenehm beschrieben. Der Grund ist, dass man quasi zwei Entzüge gleichzeitig durchmacht: Den körperlich schmerzhaften Opioid-Entzug und den psychisch extrem belastenden Antidepressiva-Entzug mit Angst, Panik und den gefürchteten „Brain Zaps“.
🍻 Darf man Tramadol und Alkohol mischen?
❌ Absolut nicht. Diese Kombination ist extrem gefährlich. Beide Substanzen dämpfen das zentrale Nervensystem und unterdrücken den Atemantrieb. Ihre Wirkungen potenzieren sich gegenseitig, was das Risiko einer tödlichen Atemdepression massiv erhöht. Zudem verstärkt die Kombination die sedierende Wirkung und das Risiko für Stürze und Unfälle.
🚗 Kann ich unter Tramadol Auto fahren?
❌ Nein. Tramadol beeinträchtigt das Reaktionsvermögen und die Konzentration erheblich, auch wenn man es ärztlich verschrieben bekommen hat und sich „normal“ fühlt. Das Fahren unter dem Einfluss von Tramadol ist grob fahrlässig und bei einem Unfall drohen massive rechtliche Konsequenzen, inklusive dem Verlust des Führerscheins.
⛓️ Wie schnell macht Tramadol abhängig?
✅ Die Abhängigkeit entwickelt sich oft schleichend und tückisch. Da die euphorische Wirkung sanfter ist als bei starken Opioiden, wird das Suchtpotenzial oft unterschätzt. Bereits nach wenigen Wochen regelmäßiger Einnahme kann sich eine körperliche und psychische Abhängigkeit entwickeln. Die psychische Komponente ist durch die antidepressive Wirkung besonders stark.
👨⚕️ Mein Arzt hat es mir verschrieben, also muss es doch sicher sein, oder?
✅ Es ist sicher, wenn es exakt nach ärztlicher Anweisung für einen kurzen Zeitraum und für eine spezifische Indikation eingenommen wird. „Sicher“ bedeutet aber nicht „risikofrei“. Sobald du die Dosis eigenmächtig erhöhst, es länger nimmst als vorgesehen oder es zur Stimmungsaufhellung missbrauchst, begibst du dich in den Bereich der Hochrisiko-Anwendung mit allen genannten Gefahren.
What’s a dangerous dose? Was ist eine gefährliche Dosis?
✅ Die therapeutische Tageshöchstdosis liegt bei 400 mg. Jede Dosis darüber hinaus erhöht das Krampfanfall-Risiko exponentiell. Eine „tödliche Dosis“ ist schwer zu definieren und hängt stark von der individuellen Toleranz und dem Mischkonsum ab. In Kombination mit Alkohol oder Benzodiazepinen können aber bereits therapeutische Dosen lebensgefährlich sein.
⚡ Was genau sind „Brain Zaps“?
✅ „Brain Zaps“ (dt. „Gehirn-Blitze“) sind ein typisches Symptom des Entzugs von Substanzen, die stark auf das Serotonin-System wirken (wie SSRI/SNRI-Antidepressiva und eben auch Tramadol). Betroffene beschreiben es als ein Gefühl von kurzen, plötzlichen elektrischen Schlägen oder einem „Zischen“ im Kopf, oft ausgelöst durch Augen- oder Kopfbewegungen. Sie sind zwar ungefährlich, aber extrem unangenehm und beunruhigend.
💡 Gesündere Alternativen & Strategien
Oft werden Drogen missbraucht, um ein tieferliegendes Problem zu betäuben. Hier sind nachhaltigere Strategien, statt zu Substanzen wie Tramadol zu greifen:
- Bei chronischen Schmerzen:
- Bewegungstherapie: Physiotherapie, Yoga oder gezieltes Krafttraining können die Ursachen von Schmerzen oft besser bekämpfen als Medikamente.
- Achtsamkeitsbasierte Schmerztherapie (MBSR): Techniken wie Meditation und Bodyscans können die Wahrnehmung von Schmerz verändern und die Lebensqualität deutlich verbessern.
- Alternative Methoden: Akupunktur oder manuelle Therapie können bei vielen Schmerzarten wirksam sein.
- Bei depressiver Verstimmung oder emotionalem Schmerz:
- Professionelle Psychotherapie: Insbesondere die Verhaltenstherapie (KVT) ist extrem wirksam, um die Ursachen von Depressionen zu bearbeiten.
- Sport & Bewegung: Regelmäßiger Ausdauersport ist eines der besten nachgewiesenen Antidepressiva.
- Soziale Verbindung: Einsamkeit ist ein starker Treiber für Drogenkonsum. Aktive Pflege von Freundschaften und sozialen Kontakten ist essenziell für die psychische Gesundheit.
Wichtig: Diese Strategien ersetzen keine ärztliche Diagnose. Sprich immer mit einem Arzt oder Therapeuten, bevor du eine bestehende Behandlung änderst.
📚 Wissenschaftliche Quellen & Referenzen
- Fachinformationen zu Tramadol:
- Gelbe Liste / Rote Liste: Deutsche Arzneimittelverzeichnisse mit detaillierten Fachinformationen zu Wirkmechanismus, Nebenwirkungen und Kontraindikationen.
- Studien zum Krampfanfallrisiko:
- Nakhaee, S., et al. (2021). Seizure and its related factors in tramadol-intoxicated patients: a cross-sectional study. BMC Pharmacology and Toxicology.
- Informationen zum Entzug:
- Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS): Bietet Informationen und eine Suchfunktion für lokale Beratungsstellen.
- Fachliteratur zum „SSRI/SNRI Discontinuation Syndrome“ (Absetzsyndrom).
- Notfall-Kontakte:
- Notruf (bei Krampfanfall/Atemnot): 112
- Giftnotrufzentrale (z.B. Berlin): 030 19240
- Sucht & Drogen Hotline: 01806 / 313031
NeelixberliN Fazit: Ein Medikament mit versteckten Gefahren
Tramadol ist ein wirksames Schmerzmittel, wenn es kurzfristig und unter strenger ärztlicher Aufsicht eingesetzt wird. Aber die Bezeichnung „schwaches Opioid“ ist eine der gefährlichsten Verharmlosungen in der modernen Pharmakologie. Sein dualer Wirkmechanismus macht es zu einer Substanz mit hohem Suchtpotenzial und einem einzigartig qualvollen Entzug. Es ist das perfekte Beispiel dafür, dass man die Risiken eines Medikaments niemals unterschätzen sollte, nur weil es vom Arzt kommt und nicht den Ruf von Morphin oder Heroin hat.