Was ist ein trockener Rückfall?

Im Kontext von Suchterkrankungen ist ein trockener Rückfall ein Zustand, in dem eine Person, die abstinent lebt, wieder in alte Verhaltens- und Denkmuster zurückfällt, ohne jedoch die Substanz selbst zu konsumieren. Es ist kein Rückfall in die Sucht im klassischen Sinne, sondern ein Rückfall in alte Verhaltensweisen, die oft mit dem Suchtmittelkonsum verbunden waren. Betroffene erleben beispielsweise starke Gefühlsschwankungen, erhöhte Reizbarkeit und kehren zu alten Gewohnheiten zurück, die sie mit dem Suchtmittelkonsum verbanden. Sie besuchen vielleicht wieder Orte, an denen sie früher getrunken haben, oder treffen sich mit alten Freunden aus der Drogenszene.

Es ist wichtig, die verschiedenen Definitionen von Rückfall zu verstehen:

  • Enge Rückfalldefinition: Hier wird jeglicher Konsum des Suchtmittels nach einer Phase der Abstinenz als Rückfall angesehen.
  • Fehltritt (Lapse): Kurzfristiger und geringfügiger Konsum des Suchtmittels, der bei ernsthafter Reflexion und anschließendem Anknüpfen an die Abstinenz ein einmaliger Vorfall bleiben kann.
  • Schwerer Rückfall (Relapse): Rückfall in alte Konsummuster in Bezug auf Menge, Trinkfrequenz und Trinkdauer.

Der trockene Rückfall ist somit kein „echter“ Rückfall im engeren Sinne, sondern kann als Warnsignal interpretiert werden. Er zeigt, dass die zugrunde liegende Suchtproblematik nicht vollständig überwunden ist und die Gefahr besteht, in alte Muster zurückzufallen.

Anzeichen und Symptome eines trockenen Rückfalls

Die Anzeichen eines trockenen Rückfalls sind oft subtil und unterscheiden sich von Person zu Person. Hier sind einige typische Symptome:

  • Verhaltensänderungen:
    • Die Person kehrt zu alten Gewohnheiten und Verhaltensweisen zurück, die mit dem Suchtmittelkonsum in Verbindung standen. Sie besucht beispielsweise wieder Bars oder Kneipen, in denen sie früher getrunken hat, oder trifft sich mit alten Freunden mit denen sie konsumiert hatte.
    • Sie zeigt eine gesteigerte Impulsivität und Risikobereitschaft. Entscheidungen werden unüberlegt getroffen und die möglichen Konsequenzen nicht bedacht.
    • Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen werden vernachlässigt. Termine werden nicht eingehalten, Aufgaben nicht erledigt und Versprechungen gebrochen.
    • Die Person zieht sich sozial zurück und isoliert sich von Freunden und Familie.
  • Emotionale Veränderungen:
    • Stimmungsschwankungen treten häufiger auf. Die Person ist leicht reizbar, reagiert überempfindlich auf Kritik und neigt zu Wutausbrüchen.
    • Angstzustände und depressive Verstimmungen können auftreten.
    • Die Person fühlt sich innerlich unruhig und unwohl.
    • Negative Gedanken und Selbstzweifel nehmen zu.
  • Kognitive Veränderungen:
    • Die Person hat Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren.
    • Entscheidungen fallen ihr schwer.
    • Sie verleugnet das Problem und bagatellisiert das Risiko eines Rückfalls.
  • Körperliche Anzeichen:
    • Schlafstörungen treten auf. Die Person kann nicht einschlafen, wacht nachts häufig auf oder schläft unruhig.
    • Es können körperliche Symptome wie Zittern, Unruhe, Herzrasen und Schwitzen auftreten, die an Entzugserscheinungen erinnern.
    • Der Appetit lässt nach.

Es ist wichtig zu beachten, dass diese Anzeichen auch auf andere Probleme hindeuten können. Wenn Du jedoch mehrere dieser Symptome bei Dir oder einem Angehörigen feststellst, ist es ratsam, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Ursachen und Risikofaktoren für einen trockenen Rückfall

Verschiedene Faktoren können das Risiko eines trockenen Rückfalls erhöhen:

  • Suchtgedächtnis: Auch nach langer Abstinenz bleiben im Gehirn Spuren der Sucht, das sogenannte Suchtgedächtnis, bestehen. Bestimmte Reize, wie Orte, Personen oder Situationen, die mit dem Suchtmittelkonsum verbunden waren, können dieses Gedächtnis aktivieren und das Verlangen wieder auslösen. Das Suchtgedächtnis speichert Wahrnehmungen aus belastenden Situationen zusammen mit dem durch den Substanzkonsum ausgelösten Dopamin-Kick als vermeintliche Belohnung ab. Ohne die Droge gerät der Dopaminhaushalt in einer solchen Situation aus dem Gleichgewicht, und es entsteht Verlangen nach dem Suchtmittel (Suchtdruck, Craving).
  • Stress und Belastung: Stress im Beruf, in der Familie oder im sozialen Umfeld erhöht die Anfälligkeit für einen Rückfall. Alkohol wurde oft als Mittel zur Stressbewältigung genutzt, und in belastenden Situationen kann der Wunsch nach dieser vermeintlichen Entlastung wieder auftauchen.
  • Negative Emotionen: Der Umgang mit negativen Emotionen wie Angst, Wut, Trauer oder Einsamkeit stellt für viele Betroffene eine große Herausforderung dar. Alkohol oder eine Droge kann diese Gefühle kurzfristig betäuben, und in emotional schwierigen Zeiten kann die Versuchung groß sein, zu diesem alten Bewältigungsmuster zurückzukehren.
  • Soziale Einflüsse: Kontakt mit Personen, die Alkohol oder Drogen konsumieren oder zum Mittrinken auffordern, erhöht das Rückfallrisiko. Der soziale Druck, in Gesellschaft Alkohol zu trinken, kann schwer zu widerstehen sein.
  • Unzureichende Bewältigungsstrategien: Fehlende oder unzureichende Strategien im Umgang mit Stress, negativen Emotionen und Risikosituationen erhöhen die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls. Betroffene müssen lernen, mit diesen Herausforderungen umzugehen, ohne zu Suchtmitteln zu greifen.
  • Mangelnde soziale Unterstützung: Das Fehlen eines stabilen sozialen Netzwerks, das Unterstützung und Rückhalt bietet, kann dazu führen, dass Betroffene sich in schwierigen Situationen allein gelassen fühlen und eher rückfällig werden.
  • Geringe Abstinenzmotivation: Wenn die Entscheidung zur Abstinenz nicht aus eigener Überzeugung getroffen wurde, sondern beispielsweise auf Druck von Angehörigen oder des Arbeitgebers, ist das Rückfallrisiko höher. Die eigene Motivation, auf Alkohol zu verzichten, ist entscheidend für den langfristigen Erfolg der Abstinenz. Wer die positiven Veränderungen durch die Abstinenz erkennt und wertschätzt, ist weniger gefährdet, rückfällig zu werden.
  • Körperliche Beschwerden: Schmerzen oder Schlafstörungen können das Verlangen nach Alkohol und Drogen verstärken. Alkohol oder eine Droge kann Schmerzen lindern und den Schlaf fördern, weshalb Betroffene in solchen Situationen versucht sein können, wieder zu trinken.

Angehörige und trockener Rückfall

Angehörige spielen eine wichtige Rolle im Umgang mit Suchterkrankungen. Sie können dazu beitragen, einen trockenen Rückfall zu erkennen und den Betroffenen zu unterstützen.

Wie erkennen Angehörige einen trockenen Rückfall?

Angehörige kennen den Betroffenen gut und können Veränderungen im Verhalten, in den Emotionen und in der Denkweise oft frühzeitig wahrnehmen. Sie sollten auf die oben genannten Anzeichen und Symptome achten und diese ernst nehmen. Veränderungen in der Stimmung, im Schlafverhalten, im Umgang mit Verantwortlichkeiten oder ein zunehmender sozialer Rückzug können Warnsignale sein.

Wie können Angehörige den Betroffenen unterstützen?

  • Offene Kommunikation: Schaffe eine Atmosphäre des Vertrauens, in der der Betroffene offen über seine Probleme sprechen kann.
  • Emotionale Unterstützung: Biete dem Betroffenen emotionale Unterstützung und zeige ihm, dass Du für ihn da bist.
  • Motivation stärken: Ermutige den Betroffenen, an seiner Abstinenz festzuhalten und erinnere ihn an die positiven Veränderungen in seinem Leben.
  • Hilfestellung bei der Suche nach professioneller Hilfe: Unterstütze den Betroffenen bei der Suche nach einer geeigneten Therapie oder Selbsthilfegruppe.
  • Vermeidung von Co-Abhängigkeit: Achten Sie darauf, dass Sie nicht in Co-Abhängigkeit geraten. Übernehme nicht die Verantwortung für den Betroffenen, sondern unterstütze ihn dabei, selbst Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen.

Was können Angehörige bei einem Rückfall tun?

  • Keine Vorwürfe: Vermeide Vorwürfe und Schuldzuweisungen. Ein Rückfall ist kein Zeichen von Versagen, sondern ein Teil des Genesungsprozesses.
  • Unterstützung bei der Rückkehr zur Abstinenz: Helfe dem Betroffenen, die Trink- oder Drogenphase so schnell wie möglich zu unterbrechen und wieder in die Abstinenz zurückzukehren.
  • Gemeinsames Erlernen von neuen Strategien: Arbeite gemeinsam mit dem Betroffenen an einem Plan, um zukünftige Rückfälle zu vermeiden.

Tipps und Strategien zur Vermeidung eines trockenen Rückfalls

Es gibt verschiedene Strategien, die helfen können, einen trockenen Rückfall zu vermeiden:

  • Frühwarnzeichen erkennen: Achte auf die Anzeichen und Symptome eines trockenen Rückfalls und nehmen Sie diese ernst. Je früher Du die Warnsignale erkennst, desto besser kannst Du gegensteuern.
  • Stressbewältigung: Entwickele gesunde Strategien zur Stressbewältigung, wie z. B. Entspannungstechniken, Sport oder Hobbys. Finden Sie Aktivitäten, die Ihnen helfen, Stress abzubauen und sich zu entspannen, ohne dabei auf Alkohol oder Drogen zurückzugreifen.
  • Emotionsregulation: Lerne, mit negativen Emotionen umzugehen, ohne zu Suchtmitteln zu greifen. Suche Unterstützung bei Therapeuten oder in Selbsthilfegruppen, um neue Bewältigungsstrategien zu erlernen.
  • Soziale Unterstützung: Bauen Sie ein stabiles soziales Netzwerk auf, das Ihnen Rückhalt und Unterstützung bietet. Sprechen Sie mit Freunden, Familie oder einem Therapeuten über Ihre Probleme und suche Dir Menschen, die Dich auf Deinem Weg unterstützen.
  • Vermeidung von Risikosituationen: Meide Orte, Personen und Situationen, die Du mit Deinem früheren Suchtmittelkonsum verbindest. Wenn Du weist, dass bestimmte Situationen für Dich riskant sind, versuche, diese zu vermeiden.
  • Ablenkungstechniken: Wenn Du das Verlangen nach Alkohol oder Drogen verspürst, lenken Dich ab. Gehe spazieren, treibe Sport, lese ein Buch oder rufe einen Freund an. Finde Aktivitäten, die Dir helfen, Deine Gedanken von Alkohol oder Drogen abzulenken.
  • Achtsamkeit: Achten Sie auf Ihre Gedanken und Gefühle. Wenn Du merkst, dass Du in alte Muster zurückfällst, unterbreche diese und suche Dir Hilfe. Reflektiere regelmäßig über Dein Verhalten und Deine Gefühle, um frühzeitig Warnsignale zu erkennen.
  • Notfallplan: Erstelle einen Notfallplan für den Fall, dass Du rückfällig wirst. Überlege Dir im Voraus, was Du in einer solchen Situation tun wirst, wen Du kontaktierst und wo Du Hilfe bekommen könntest. Schreibe Deinen Notfallplan auf und tragen ihn immer bei Dir.
  • Kontrolliertes Trinken: Für manche Menschen kann kontrolliertes Trinken eine Alternative zur Abstinenz sein. Dies sollte jedoch nur unter professioneller Anleitung und mit einem klaren Plan erfolgen.
  • Motivation erhalten: Erinnere Dich regelmäßig an die Gründe für Deine Abstinenz und die positiven Veränderungen in Ihrem Leben. Führe ein Tagebuch, in dem Du Deine Fortschritte festhalten und Deine Erfolge dokumentierst.

Ressourcen und Unterstützungsmöglichkeiten

Es gibt verschiedene Anlaufstellen, die Menschen mit Suchtproblemen und deren Angehörige unterstützen:

  • Suchtberatungsstellen: bieten Beratung, Therapie und Unterstützung bei der Bewältigung von Suchtproblemen.
  • Selbsthilfegruppen: bieten die Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen.
  • Kliniken und Therapieeinrichtungen: bieten stationäre und ambulante Therapien zur Behandlung von Suchterkrankungen.
  • Online-Angebote: bieten Informationen, Beratung und Unterstützung im Internet.
  • Suchtlotsen: bieten individuelle Begleitung und Unterstützung auf dem Weg aus der Sucht.

Telefonnummern der Suchtberatung:

  • Schweiz: 0800 104 104 (Gratisnummer)
  • Deutschland: 01805-313031

Schlussfolgerung

Ein trockener Rückfall ist ein ernstes Warnsignal, das nicht ignoriert werden sollte. Er zeigt, dass die zugrunde liegende Suchtproblematik noch nicht vollständig überwunden ist und die Gefahr eines vollständigen Rückfalls besteht. Gleichzeitig bietet ein trockener Rückfall aber auch die Chance, frühzeitig zu intervenieren und den vollen Rückfall in den Substanzkonsum möglicherweise noch zu verhindern. Betroffene sollten einen trockenen Rückfall als Lernprozess nutzen, um ihre Abstinenz langfristig zu stärken. Sie können ihre persönlichen Risikofaktoren identifizieren, ihre Bewältigungsstrategien verbessern und sich Unterstützung in ihrem sozialen Umfeld oder bei professionellen Helfern suchen.

Durch das Erkennen der Anzeichen, das Verstehen der Ursachen und die Anwendung von geeigneten Strategien kann ein trockener Rückfall verhindert oder frühzeitig gestoppt werden. Es ist wichtig, sich Unterstützung zu suchen und nicht aufzugeben, denn der Weg aus der Sucht ist ein Prozess, der Zeit und Geduld erfordert.

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