Verhaltenssüchte: Wenn der Alltag zur Sucht wird

Verhaltenssüchte stellen ein zunehmendes Problem in unserer Gesellschaft dar. Sie unterscheiden sich von stoffgebundenen Süchten wie Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, da sie nicht durch den Konsum von Substanzen, sondern durch exzessives Verhalten entstehen. Doch was genau sind Verhaltenssüchte, welche Anzeichen deuten darauf hin und wie kann man ihnen vorbeugen? In diesem Blogbeitrag gehen wir auf die wichtigsten Aspekte dieses Themas ein.  

Was sind Verhaltenssüchte?

Verhaltenssüchte, auch bekannt als nicht-stoffgebundene Süchte, werden definiert als anhaltender Kontrollverlust über bestimmte Verhaltensweisen. Sucht ist ein Zustand, in dem ein starkes Verlangen oder ein Zwang besteht, eine Substanz zu konsumieren oder etwas immer wieder zu tun. Dieses Verlangen kann so stark sein, dass Betroffene die Kontrolle über ihr Verhalten verlieren und dieses trotz negativer Konsequenzen fortsetzen. Körper und Psyche gewöhnen sich an den „Kick“ des Suchtverhaltens, sodass immer mehr davon benötigt wird, um den gleichen Effekt zu erzielen. Kommt es zu einem Aussetzen des Suchtverhaltens, treten Entzugserscheinungen wie Nervosität, Aggressionen oder Schlafstörungen auf. Ein weiteres Merkmal von Sucht ist die Ausbildung eines sogenannten „Suchtgedächtnisses“, welches dazu führt, dass selbst nach langer Abstinenz ein Rückfallrisiko besteht.  

Obwohl die Verhaltensweisen, die zu einer Sucht führen, zunächst normal und angenehm erscheinen mögen, entwickeln sie sich bei Betroffenen zu einem zwanghaften Muster. Ähnlich wie bei stoffgebundenen Süchten werden auch bei Verhaltenssüchten ähnliche Prozesse im Gehirn beobachtet, die das Belohnungssystem und die Ausschüttung des Glückshormons Dopamin betreffen.  

Die internationale Krankheitsklassifikation (ICD-11) erkennt verschiedene Störungen aufgrund von Suchtverhalten an. Neben problematischem Geldspiel („Gambling“) und Videospielen („Gaming“) , können auch andere Verhaltensweisen suchtartige Symptome aufweisen:  

Internetsucht

Internetsucht ist eine Form der Verhaltenssucht, die durch die exzessive Nutzung des Internets gekennzeichnet ist. Betroffene verbringen oft Stunden online, vernachlässigen dabei wichtige soziale Kontakte, Verpflichtungen und andere Lebensbereiche. Die Internetsucht kann sich in verschiedenen Formen manifestieren, wie z.B. der suchtartigen Nutzung von sozialen Medien, Online-Spielen, Online-Pornografie oder Online-Shopping.  

Spielsucht

Spielsucht, im ICD-11 als „Gaming Disorder“ bezeichnet, bezieht sich auf die exzessive Nutzung von Videospielen. Betroffene verlieren die Kontrolle über die Zeit, die sie mit Spielen verbringen, und vernachlässigen andere wichtige Lebensbereiche. Sie spielen oft, um negative Emotionen zu regulieren oder dem Alltag zu entfliehen.  

Arbeitssucht

Arbeitssucht ist eine Verhaltenssucht, bei der Betroffene zwanghaft arbeiten, auch wenn dies negative Konsequenzen für ihre Gesundheit, ihre Beziehungen und ihr soziales Leben hat. Arbeitssüchtige definieren sich oft über ihre Arbeit und haben Schwierigkeiten, abzuschalten und Zeit für andere Aktivitäten zu finden.  

Symptome und Anzeichen von Verhaltenssüchten

Die Symptome einer Verhaltenssucht ähneln denen einer stoffgebundenen Abhängigkeit. Betroffene verspüren ein starkes Verlangen nach der jeweiligen Tätigkeit und erleben währenddessen einen Kontrollverlust. Das Verhalten wird trotz negativer Konsequenzen wie finanziellen Schwierigkeiten, dem Verlust sozialer Kontakte, gesundheitlichen Problemen oder Problemen am Arbeitsplatz fortgesetzt. Weitere Anzeichen können sein:  

  • Zunehmende Eskalation des Verhaltens, um den gewünschten Effekt zu erzielen (Toleranzentwicklung)  
  • Vernachlässigung anderer Interessen und Hobbys  
  • Sozialer Rückzug  
  • Flucht vor Problemen oder negativen Emotionen durch das Suchtverhalten  
  • Starker Leidensdruck  
  • Entzugserscheinungen wie Nervosität und Aggressionen beim Versuch, die Sucht zu bekämpfen  
  • Verheimlichung des Suchtverhaltens  
  • Schuldgefühle nach dem Ausführen des Suchtverhaltens  

Am Beispiel der Glücksspielsucht lassen sich diese Symptome gut veranschaulichen: Betroffene denken ständig ans Spielen, verlieren die Kontrolle über Zeit und Geld und verheimlichen ihre Sucht vor ihrem Umfeld. Sie reagieren unruhig und aggressiv, wenn sie nicht spielen können, und erleben den Gewinn wie ein „High“, das sie immer wieder erleben wollen. Sie schwänzen die Schule oder die Arbeit, um spielen zu können, und machen Schulden, um ihre Sucht zu finanzieren.  

Ursachen und Risikofaktoren

Die Entstehung einer Verhaltenssucht ist auf ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren zurückzuführen:  

  • Genetische Veranlagung: Menschen mit einer familiären Vorbelastung für Suchterkrankungen sind anfälliger.  
  • Psychologische Faktoren: Psychische Probleme wie Depressionen, Angstzustände oder traumatische Erlebnisse erhöhen das Risiko.  
  • Soziale Faktoren: Umfeld, Gruppenzwang und soziale Normen spielen eine Rolle.  
  • Umweltfaktoren: Stress, Langeweile und mangelnde soziale Unterstützung können die Entstehung von Suchtverhalten begünstigen.  
  • Lernmechanismen: Das Gehirn lernt, das Suchtverhalten mit positiven Gefühlen zu verbinden. Dies geschieht durch die Ausschüttung von Dopamin, einem Botenstoff, der Teil des Belohnungssystems im Gehirn ist. Wird Dopamin ausgeschüttet, empfinden wir Freude, was uns dazu anregt, das Verhalten zu wiederholen. Bei regelmäßiger Dopaminausschüttung durch das Suchtverhalten gewöhnt sich das Gehirn jedoch daran und benötigt immer mehr, um den gleichen Effekt zu erzielen.  
  • Kognitive Verzerrungen: Betroffene überschätzen beispielsweise die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen (Glücksspiel) oder nehmen Verluste weniger stark wahr.  
  • Suchtgedächtnis: Im Verlauf der Suchtentwicklung bilden sich im Gehirn dauerhafte Veränderungen, die auch nach langer Abstinenz zu einem Rückfall führen können.  

Auswirkungen von Verhaltenssüchten

Verhaltenssüchte haben weitreichende negative Folgen für die Betroffenen und ihr Umfeld. Neben den bereits genannten sozialen und finanziellen Problemen können auch psychische und körperliche Beeinträchtigungen auftreten. Soziale Isolation, Schlafstörungen, Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung sind häufige Begleiterscheinungen. Im Extremfall kann es zu Suizidgedanken oder Verwahrlosung kommen.  

Auch die Angehörigen von Menschen mit Verhaltenssüchten leiden unter den Folgen. Sie erleben die Veränderungen im Verhalten und Gesundheitszustand des Betroffenen mit und leiden unter Angst, Schuldgefühlen, Wut und Hilflosigkeit. Oftmals geraten Angehörige in eine Co-Abhängigkeit, in der sie versuchen, dem Suchtkranken zu helfen, aber selbst in die Suchtstruktur hineingezogen werden.  

Vorbeugung von Verhaltenssüchten

Die Prävention von Verhaltenssüchten setzt an verschiedenen Punkten an:  

  • Stärkung der inneren Balance: Ein gesunder Umgang mit Stress und Emotionen hilft, Herausforderungen zu meistern und Krisen zu bewältigen. Entspannungstechniken, Achtsamkeitsübungen, Sport und Zeit in der Natur können dazu beitragen.  
  • Bewusster Konsum: Verzicht auf Substanzen, die schnell süchtig machen, und ein achtsamer Umgang mit potenziellen Suchtmitteln.  
  • Soziale Kompetenzen: Förderung von Impulskontrolle, sozialen und emotionalen Fähigkeiten.  
  • Positive Lebensgestaltung: Aufbau von Freundschaften, ein erfüllendes Freizeitverhalten und ein positives Selbstbild stärken die Widerstandsfähigkeit.  
  • Frühe Aufklärung: Kinder und Jugendliche sollten frühzeitig über Sucht und ihre Gefahren aufgeklärt werden.  
  • Verhältnisprävention: Gesetzliche Regelungen und Kontrollmechanismen, z. B. im Glücksspielbereich, können dazu beitragen, das Suchtpotenzial zu minimieren.  

Hilfsangebote und Therapiemöglichkeiten

Für Menschen mit Verhaltenssüchten gibt es verschiedene Hilfsangebote:  

  • Beratungsstellen: bieten Unterstützung und Informationen für Betroffene und Angehörige.  
  • Selbsthilfegruppen: ermöglichen den Austausch mit anderen Betroffenen.  
  • Therapie: Psychotherapie, z. B. kognitive Verhaltenstherapie, kann helfen, die Sucht zu überwinden. In der Therapie lernen Betroffene, ihre Denk- und Verhaltensmuster zu erkennen und zu verändern, alternative Verhaltensweisen zu entwickeln und mit Risikosituationen umzugehen. Da bei Verhaltenssüchten eine vollständige Abstinenz oft schwierig ist (z.B. im Falle der Internetsucht), liegt der Fokus der Therapie auf einem kontrollierten Umgang mit dem Suchtverhalten.  
  • Online-Angebote: bieten anonyme und ortsunabhängige Unterstützung, z. B. bei der Reduktion des Glücksspielkonsums.  
  • Familientherapie: Da Verhaltenssüchte oft auch das familiäre Umfeld belasten, kann die Einbeziehung von Familienmitgliedern in die Therapie hilfreich sein.  
SuchttypSymptomeAuswirkungen
SpielsuchtÜbermässiger Konsum von Videospielen, Vernachlässigung von Verpflichtungen, sozialer RückzugSchlafstörungen, Vereinsamung, Probleme in Schule/Beruf
InternetsuchtExzessive Nutzung des Internets, Vernachlässigung sozialer Kontakte, KontrollverlustVereinsamung, Depressionen, körperliche Beschwerden
KaufsuchtUnkontrolliertes Kaufverhalten, Verschuldung, Verheimlichung der EinkäufeFinanzielle Probleme, Beziehungsprobleme, psychische Belastung
ArbeitssuchtZwanghaftes Arbeiten, Vernachlässigung von Freizeit und Familie, ErschöpfungBurnout, Beziehungsprobleme, soziale Isolation

Persönliche Geschichten

Kinder, die in suchtbelasteten Familien aufwachsen, leiden besonders unter den Folgen der Sucht. Sie erleben ihre Eltern verändert, haben Angst um sie und fühlen sich oft schuldig oder verantwortlich für die Situation. Die fehlende Stabilität und Verlässlichkeit im familiären Umfeld kann die Entwicklung der Kinder beeinträchtigen und zu psychischen Problemen führen.  

Fallbeispiel

Ein Beispiel für die Entstehung und die Auswirkungen einer Verhaltenssucht ist die Geschichte von Markus, einem jungen Mann, der in die Computerspielsucht geriet. Anfangs spielte er nur gelegentlich, doch mit der Zeit wurde das Spielen zu seiner wichtigsten Freizeitbeschäftigung. Er vernachlässigte seine Freunde, sein Studium und seine Gesundheit. Schließlich erkannte er seine Sucht und suchte Hilfe in einer Beratungsstelle.  

Fazit

Verhaltenssüchte sind ernstzunehmende Erkrankungen mit schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen und ihr Umfeld. Sie entstehen durch ein komplexes Zusammenspiel von genetischen, psychologischen, sozialen und umweltbedingten Faktoren. Die Symptome ähneln denen stoffgebundener Süchte und umfassen Kontrollverlust, Toleranzentwicklung, Entzugserscheinungen und die Ausbildung eines Suchtgedächtnisses. Prävention, frühzeitige Erkennung und professionelle Hilfe sind entscheidend, um den Teufelskreis der Sucht zu durchbrechen. Es gibt verschiedene Hilfsangebote wie Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und Therapie, die Betroffenen und ihren Angehörigen Unterstützung bieten. Wichtig ist, dass Betroffene sich nicht scheuen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, denn es gibt Wege aus der Sucht.

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